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“SAP-Software für den Mittelstand hat deutlich an Komplexität verloren”

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Martin Boll
Martin Boll

Herr Boll, was erwarten Mittelständler allgemein von einer Software-Lösung?

Boll: Die Software muss zunächst einmal funktional so reichhaltig sein, dass sie die Bedürfnisse des Kunden abdeckt. Zudem soll sie preiswert sein, und das Projekt soll in überschaubarer Zeit fertiggestellt werden können. Die umfassende Funktionalität ermöglicht es unseren Kunden, ihre Geschäftsprozesse vollständig abzubilden. Wir wissen aus unserer täglichen Erfahrung, dass die SAP-Software die Bedürfnisse unserer Kunden sowohl in der Breite – es existieren 23 Branchenlösungen – als auch im Detail bestens abdeckt. Beim Customizing werden nicht benötigte Funktionalitäten dann ausgeblendet. Das entspricht der generellen SAP-Strategie, ein möglichst umfassendes Produkt anzubieten und beim Kunden die nicht genutzten Funktionalitäten zu deaktivieren.

Worauf liegt der Schwerpunkt im Mittelstand – Enterprise Resource Planning, Customer Relationship Management, Supply Chain Management, Human Resources…?

Boll: Zwar hat im Mittelstand die Nachfrage nach CRM in den vergangenen Monaten zugenommen, im Vordergrund steht aber weiterhin Enterprise Resource Planning (ERP). Es ist erstaunlich, wie groß der Nachholbedarf bei ERP-Lösungen immer noch ist. Das zeigen zum Beispiel auch verschiedene Studien. Ihnen zufolge arbeiten je nach Größe und Branche bis zu einem Drittel der mittelständischen Unternehmen noch mit Individualentwicklungen oder ganz ohne ein integriertes System. Wenn sich diese Unternehmen dafür entscheiden, Standardsoftware zu verwenden, fangen sie zunächst einmal mit ERP als dem Kernstück an. Diese Lösung wird dann später gegebenenfalls um eine CRM- oder auch SCM-Lösung ergänzt.

SAP-Lösungen standen bisher im Ruf, für den Mittelstand zu komplex und zu teuer zu sein. Hat sich dieses Bild gewandelt?

Boll: Dieses Bild hat sich noch nicht genügend gewandelt – auch wenn es längst nicht mehr den Tatsachen entspricht. Das Image hat historische Gründe und stammt noch aus der Zeit, als vor allem große Kunden auf den Mainframe und auf SAP R/2 gesetzt haben. Die Software der SAP ist jedoch mittlerweile deutlich günstiger geworden und hat auch an Komplexität verloren. Bei Steeb haben wir beispielsweise in den vergangenen Jahren den Implementierungsaufwand um 40-50 Prozent gesenkt. Wir wickeln heute Projekte für Kunden mit bis zu 30 Millionen Euro Umsatz in rund 150 Tagen ab. Dafür hätte man vor Jahren noch 400-500 Beratungstage veranschlagt. Diese Fortschritte gehen unter anderem auf Verbesserungen zurück, die SAP bei der Implementierungsmethodik und beim Customizing erreicht hat. So sind im ASAP heute eine ganze Reihe von Templates enthalten, die bei der Implementierung helfen. Ein ganz wesentlicher Faktor ist aber natürlich das Wissen und die Erfahrung unserer Berater, denn noch immer gilt “People make Projects”.

Muss nicht gerade ein Mittelständler befürchten, dass er seine Prozesse an die Software-Lösung anpassen muss statt umgekehrt?

Boll: Überhaupt nicht. Mittelständler haben meist eine eher eingeschränkte Prozesssicht, denn im Gegensatz zu Großunternehmen haben sie selten Prozesse mit ausgeprägter Arbeitsteilung. Diese relativ einfachen Prozesse bei mittelständischen Unternehmen beschränken sich meist auf die Kernprozesse und lassen sich ohne weiteres mit den Funktionalitäten der SAP-Produkte abdecken. Die Kernprozesse, zu denen beispielsweise im Bereich Beschaffung die Abfolge von Bestellung, Wareneingang, Rechnungsprüfung und Zahlung zählt, ähneln sich in den meisten Unternehmen. Genau darauf ist die SAP-Software zugeschnitten, Änderungen an den Prozessen sind daher selten erforderlich.

Wie würden Sie den Leistungsumfang von SAP-Produkten im Vergleich zu den Mitbewerbern einordnen? Gilt dieser Vergleich nur für Deutschland oder lässt er sich auch auf einen internationalen Rahmen ausweiten?

Boll: Die SAP AG hat heute die umfassendste betriebswirtschaftliche Standardsoftware weltweit. Keiner der Wettbewerber kann sich damit wirklich messen. Selbst wenn verschiedene Vorreiter für eine Zeit lang die technische Entwicklung anführen konnten, ist es der SAP AG doch immer wieder gelungen, sie einzuholen und inzwischen deutlich hinter sich zu lassen. So war Siebel früher bei CRM führend und auch i2, einstmals der hellste Stern am SCM-Himmel, ist mittlerweile fast verschwunden.

Wie bewerten Sie die Implementierungszeiten für die SAP-Mittelstandlösungen im Vergleich zum Wettbewerb? Und wie sieht es bei den Total Cost of Ownership aus?

Boll: Bei den Implementierungszeiten können wir mit den Wettbewerbern ohne Weiteres mithalten. Wir hatten vor kurzem die Möglichkeit, bei einem Angebot die Implementierungszeiten von SAP Business One mit denen der Lösung eines Wettbewerbers im Mittelstand zu vergleichen. Im Gegensatz zum Produkt des Wettbewerbers fehlten unserer Software SAP Business One bestimmte Funktionalitäten, die für den Kunden essentiell waren. Wir haben diese Funktionalitäten zusätzlich integriert. Trotz dieser Projekterweiterungen lagen wir im Gesamtaufwand noch immer unter dem Angebot des Wettbewerbers. Die bei diesem Projekt fehlenden Funktionalitäten werden in naher Zukunft bereits im Standard von SAP Business One integriert sein. Dann werden wir mit den Kosten sogar noch deutlicher unter denen vergleichbarer Produkte liegen.

Ähnlich schätze ich das bei den Total Cost of Ownership ein. Auf fünf bis acht Jahre betrachtet dürfte ein Kunde mit SAP günstiger fahren als mit einem unserer Wettbewerber. Die Supportkosten sind niedriger, die Stabilität ist höher. Zudem ist die Nutzungsdauer unserer Produkte erstaunlich lang. Viele unserer Kunden nutzen die Software länger als zehn Jahre und spielen in dieser Zeit lediglich die neuen Releases ein. Das alles trägt erheblich zur Reduzierung der Total Cost of Ownership bei.

Mittelständische Unternehmen fürchten einen teuren Beratertourismus. Wie ist sichergestellt, dass für SAP-Implementierungsprojekte die Beratungskompetenz in einigen wenigen Köpfen versammelt ist?

Boll: Bei Großkonzernen mit arbeitsteiligen Prozessen sind für die Detailarbeit Spezialisten gefordert. Der Mittelständler erwartet Berater mit breitem Prozesswissen. Darauf ist unsere Beraterausbildung ausgelegt. Berater sollen mehr als nur ein Modul beherrschen, sollen in ABAP programmieren und einfache Anpassungen selbst vornehmen können. Kostentreibenden Beratertourismus braucht ein mittelständisches Unternehmen daher nicht zu fürchten. Übrigens macht Steeb überwiegend Festpreisprojekte. So können unsere mittelständische Kunden ihre Projekte genau kalkulieren.

Wie würden Sie die Steeb Anwendungssysteme GmbH im SAP-Umfeld einordnen? Was ist Ihre Aufgabe? Macht sich die neue Produktstrategie von SAP bei Ihnen bemerkbar?

Boll: Die Steeb Anwendungssysteme GmbH ist einerseits eine 100prozentige Tochter der SAP AG und gleichzeitig auch ein Systemhaus. Unsere Aufgabe ist es, im Mittelstand eine Art Speerspitze zu bilden, um mittelständische Arbeitsweisen zu erproben und mittelständische Kunden zu gewinnen. Wir haben bisher über 350 SAP-Projekte im Mittelstand abgeschlossen, und das dabei gewonnene Know-how ist nach Walldorf in die Entwicklung zurückgeflossen. Die Software ist dadurch noch mittelstandsfreundlicher geworden. Das ist beispielsweise auch an dem aktuellen Projekt “People-centric User Interface” zu sehen. Es hat zum Ziel, die Benutzeroberfläche nutzerfreundlicher und einfacher zu gestalten und damit den Bedürfnissen des Mittelstands weiter entgegen zu kommen.

Die neue SAP-Produktstrategie mit den beiden Schwerpunkten SAP Business One für Kleinbetriebe mit bis zu 100 Mitarbeitern und mySAP All-in-One für mittelständische Unternehmen bis 1000 Mitarbeitern macht sich bei Steeb positiv bemerkbar. Viele mittelständische Unternehmen kommen auf uns zu und fragen gezielt nach solchen Branchenlösungen, weil sie auf einen bestimmten Zweck zugeschnitten sind und alle wichtigen Prozesse von Anfang an abbilden.

Wo liegt Ihrer Ansicht nach das größere Marktpotenzial: Bei SAP Business One oder bei mySAP All-in-One?

Boll: Das Segment des kleinen Mittelstandes wird ja gerade erst erschlossen. Bei den Stückzahlen hat daher sicherlich SAP Business One das größere Marktpotenzial, während beim Umsatz mySAP All-in-One noch deutlich vorne liegt. In Zukunft dürfte allerdings SAP Business One weiter an Boden gewinnen und im Mittelstand einmal die führende Rolle übernehmen.

Wo sehen Sie als Spezialist für den Mittelstand weiteres Verbesserungspotenzial bei den SAP-Lösungen?

Boll: Unsere Produkte und Funktionalitäten sind absolut mittelstandstauglich, aber beim Image haben wir ein Problem. Die Produkte der SAP gelten immer noch als zu komplex und zu teuer. Das ist im Wesentlichen ein Wahrnehmungsproblem, und daher hat das Referenzkundenmarketing hohe Priorität. Diese Aufgabe setzen wir bei Steeb seit Jahren konsequent um. Wir müssen – auch aufgrund der neuen Produkte und Einsatzfelder von SAP-Lösungen – allerdings ständig neue Referenzkunden gewinnen und die erzielten Erfolge progressiv nach außen kommunizieren.

Trifft es zu, dass die SAP das Beratungsgeschäft zunehmend ins eigene Haus holen will? Gilt dies auch für Projekte im Mittelstand? Welche Folgen wird das für Sie haben?

Boll: Nein, eine solche Tendenz sehe ich nicht, auch wenn ich hier nur für Steeb sprechen kann. Es war immer die Strategie der SAP, sich nur einen gewissen Marktanteil zu sichern, um die Qualität bestimmter Projekte zu gewährleisten und mit Referenzprojekten Maßstäbe zu setzen. Dazu genügt es aber, zehn bis zwanzig Prozent des Beratungsmarktes mit eigenen Kräften zu besetzen. SAP setzt weiterhin auf die Implementierungspartner.