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Wenn die Einwohner von Baden-Württemberg liebevoll von ihrem “Ländle” sprechen, stellt sich manch einer darunter eine beschauliche Region im Südwesten der Bundesrepublik vor. Tatsächlich jedoch ist Baden-Württemberg ein Bundesland, das mit den großen europäischen Wirtschaftsregionen im Wettbewerb steht. In keiner anderen Region der Welt wurde die Entwicklung der menschlichen Mobilität so nachhaltig beeinflusst: Hier “lernten die Räder laufen”, als 1886 Dr. Carl Benz das erste Automobil patentieren ließ.
Moderne Verwaltungsstrukturen sind längst zu einem bedeutenden Standortfaktor geworden. Um die Spitzenposition Baden-Württembergs nachhaltig zu sichern, hat das Land ein umfassendes Reformprojekt für die Landesverwaltung begonnen und die erste Phase im November 2002 abgeschlossen.

Mit NSI zur schlanken und modernen Serviceverwaltung

Mit den “Neuen Steuerungsinstrumenten” möchte die Landesverwaltung verbesserte Entscheidungsgrundlagen schaffen, um effizienter auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren zu können. Ausgehend von der liquiditätsorientierten Kameralistik als herkömmlicher Rechnungslegungsmethode der öffentlichen Verwaltung soll die Leistungsfähigkeit der Verwaltungstätigkeit gesteigert und durch mehr Wettbewerb unter den Landesbehörden die Bürgerfreundlichkeit verbessert werden. Die Eckpfeiler des Projekts bilden SAP-Lösungen für ein IT-gestütztes Haushaltsmanagement mit dezentraler Budgetierung und integrierter Kosten- und Leistungsrechnung, ein Führungs-Informationssystem sowie ein durchgängiges Controlling für die Landesbehörden.

Größere Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns

Als im Dezember 1999 der Startschuss fiel, waren bereits Pilotprojekte mit über 20 Landesbehörden erfolgreich abgeschlossen. Diese hatten die Landesregierung in ihrer Auffassung bestätigt, dass der Aufbau betriebswirtschaftlicher Steuerungsinstrumente die Grundlage für eine Verwaltungskultur ist, die sich noch stärker als bisher an der Wirtschaftlichkeit ihres Vorgehens orientiert.
SAP-Lösungen boten nach Empfehlung des Generalunternehmers die besten Voraussetzungen für die betriebswirtschaftliche Planung sowie die Steuerung und Kontrolle der Verwaltungsabläufe, da das Haushaltsmanagement- und Controllingsystem miteinander verknüpft sind. Es führte flächendeckend die Branchenlösung SAP for Public Sector mit dem Haushaltsmanagement (IS-PS), dem Rechnungswesen (FI/CO) und der Anlagenbuchhaltung (AA) ein. Dabei legte die Landesverwaltung großen Wert darauf, dass neben den zentralen Anforderungen des Landes auch die spezifischen Ressortvorstellungen berücksichtigt wurden. Diese anspruchsvolle Aufgabe setzt der IT-Dienstleister T-Systems als Generalunternehmer um, der die europaweite Ausschreibung für sich entschieden hat. “Der Rollout für rund 1.000 Einzelbehörden war die größte Herausforderung während der ersten Phase”, stellt Manfred Essl, Program Manager NSI bei T-Systems, rückblickend fest.

Mehr Transparenz über Kosten und Leistungen

Seit November 2002 sind die ersten Eckpfeiler verwirklicht: die Grundsysteme eines Haushaltsmanagement-Systems sowie einer Kostenstellen- und Kostenartenrechnung. Das Haushaltsmanagementsystem bildet die informationstechnische Plattform für die klassischen Prozesse der Mittelbewirtschaftung. Außerdem laufen hierüber sämtliche Zahlungsvorgänge der Behörden automatisiert ab. In der Folge wurde auch die erste Stufe einer dezentralen Finanzverantwortung durch den Landtag freigegeben. Die Dienststellen gewinnen an Entscheidungsfreiheit; Fach- und Finanzverantwortung liegen in einer Hand. Durch größere Eigenverantwortung der Mitarbeiter soll die Effizienz wesentlich verbessert werden. Ein weiterer Pluspunkt liegt darin, dass die von einer Dienststelle erfassten Abrechnungsdaten ohne Medienbruch an die Landesoberkasse weitergeleitet werden können. Aktuell arbeiten mehr als 5.000 Anwender in rund 1.000 Behörden im Haushaltsvollzug mit dem neuen System.

Die Zukunft: Strategische Ziele abbilden

Derzeit läuft die zweite Phase des Projekts, in deren Verlauf die Kostenträgerrechnung und durchgängige Controllingfunktionen implementiert werden. Die auf den SAP-R/3-Komponenten IS-PS und CO basierende Kosten- und Leistungsrechnung liefert die benötigten Informationen für eine wirtschaftlich sinnvolle Steuerung dezentraler Budgets. Dazu wird das gesamte Leistungsspektrum der Landesverwaltung über einen landesweiten Produktkatalog systematisiert, beschrieben und messbar gemacht. Die Aufwände einer Behörde lassen sich so direkt ihren Leistungen gegenüberstellen, wodurch Entscheidungsträger aktuell sehen werden, welche Kosten an welcher Stelle angefallen sind. Auf diese Weise kann die Arbeit von Dienststellen verglichen werden. “NSI läutet eine neue Ära der Verwaltungskultur ein”, stellt Essl heraus. “So wird sich zeigen lassen, warum etwa die Bearbeitung eines Einkommenssteuerbescheids in dem einen Finanzamt mehr Verwaltungskosten verursacht als im anderen.” Die Ergebnisse werden die Behörden in die Lage versetzen, laufend ihre Kosten- und Leistungsstruktur zu analysieren und daraus Ziele für deren Optimierung zu entwickeln.

Landesweites Führungsinformationssystem

Um die Ressource Personal abzurechnen, baut T-Systems eine kostenträgerbezogene Zeit- und Mengenerfassung auf. Außerdem plant das Land ein landesweites Führungsinformationssystem, das auf den SAP-Komponenten für Controlling und Finanzbuchhaltung sowie dem SAP Business Information Warehouse (SAP BW) aufsetzt. Über das Informationssystem werden Führungskräfte in der Lage sein, die Verwaltungsabläufe durchgängig zu steuern: Da Kosten und Leistungen transparent sind, können sie Abweichungen von Zielvereinbarungen rechtzeitig erkennen und dadurch frühzeitig entgegenwirken. Das Gesamtprojekt wird 2004 abgeschlossen sein.
Darüber hinausgehend prüft die Landesverwaltung in einem Pilotvorhaben die Verwendung von SAP-Software für E-Procurement. Außerdem wird derzeit der Einsatz einer Balanced Scorecard in ausgesuchten Fachbereichen aller Ressorts erprobt, um darüber strategische Ziele und deren Veränderungen sicher abzubilden. Doch schon jetzt bleibt das Fazit: Das “Ländle” hat getreu seinem Motto “Wir können alles, außer Hochdeutsch” die Weichen im IT-Bereich auf Zukunft gestellt.

Hannes Ziegler