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Fertigungsstraße bei Koehler
Fertigungsstraße bei Koehler

Papier ist geduldig, lautet ein bekanntes Sprichwort. Davon ist jedoch in modernen Papierfabriken wie dem Koehler-Werk in Kehl am Rhein nichts zu spüren: Mit einer Geschwindigkeit von 1500 Metern pro Minute läuft hier die Zellstoffbahn bei tosendem Lärm durch das überdimensionale Rollenwerk einer Fertigungsstraße. So flüssig wie in der Herstellung lief es in der IT des 1800 Mitarbeiter zählenden Unternehmens, das auf Selbstdurchschreibpapier und Dekorpapiere spezialisiert ist, in letzter Zeit nicht mehr. “Die Antwortzeiten im SAP-R/3-System ließen zu wünschen übrig, die Mitarbeiter empfanden die Unterbrechungen als lästig”, berichtet Alexander Fischer, der Teamleiter IT Basis bei dem badischen Unternehmen.
Dabei handelte es sich bei den Performance-Defiziten im Wesentlichen um Symptome eines grundlegenden Problems der Infrastruktur: Das bisherige SAP R/3-Release 4.6C lief unter Windows 2000 auf der üblichen 32-Bit-Intel-Plattform. Damit sind zwangsläufig Einschränkungen bei der Speichernutzung verbunden: 32-Bit-Betriebssysteme können maximal vier GB Speicher adressieren. Anwendungen mit großen Datenbanken, wie sie im SAP-Umfeld üblich sind, müssen die Daten somit ab einer gewissen Größe vom Arbeitsspeicher auf den viel langsameren Festplattenspeicher auslagern – die Anwendungsleistung sinkt. Die Zahlen zeigen die mittlerweile enorme Diskrepanz zwischen Datenbankgröße und verfügbarem Arbeitsspeicher: Bei Koehler belegt der SAP-Datenspeicher, der auf einem Microsoft SQL Server 2000 basiert, etwa 160 GB.
Hinzu kam bei Koehler die strategische Überlegung, im gesamten Unternehmen die Betriebssysteme auf Servern und Clients zu vereinheitlichen. Windows war die einzige Option, da das Unternehmen bereits in der Vergangenheit mit den Microsoft-Produkten gute Erfahrungen gemacht hatte. “Wir haben keine Entwickler, aber 14 IT-Mitarbeiter mit umfassendem Windows-Know-how, deshalb setzen wir so weit wie möglich auf Standard-Software ohne Anpassungsbedarf”, erläutert Fischer. Aus diesem Grund kam es dem Unternehmen gelegen, als SAP und Microsoft ihre neuen 64-Bit-Produktgenerationen ankündigten. Bei SAP sollte das Release SAP R/3 Enterprise 4.7 erstmals auf 64-Bit-Technologie basieren, Microsoft hatte das zeitgleiche Erscheinen der 64- mit der 32-Bit-Variante des Windows Server 2003 für Mitte 2003 angekündigt. Die 64-Bit-Plattform verspricht schon von den theoretischen Werten her eine deutliche Leistungssteigerung – der nahezu unbegrenzte Adressbereich des Arbeitsspeichers bietet die ideale Voraussetzung für Datenbank-Anwendungen.

Benutzerverwaltung vereinfacht

Erste Gespräche mit SAP und Microsoft führte die Koehler-Mannschaft bereits im Dezember 2002. Eine sorgfältige Vorbereitung war vor allem deshalb wichtig, weil keiner der Beteiligten über Erfahrungen mit der neuen Plattform im Produktiveinsatz verfügte. Als weitere Partner kamen Hewlett-Packard (HP) sowie das auf SAP-Lösungen spezialisierte Systemhaus Realtech hinzu. Als Hardwarepartner entschied sich Koehler ebenfalls für HP, weil der Hersteller die gewünschten Vier-Wege-Maschinen auf IA64-Basis liefern konnte.
Neben dem Plattformwechsel verknüpfte Koehler mit dem Projekt noch zwei weitere ehrgeizige Ziele: Die Benutzerverwaltung sollte mit der Komponente SAP HR (Human Ressources) gekoppelt werden, außerdem war geplant, im gesamten Unternehmen Single-Sign-On einzuführen. Die vereinfachte Verwaltung nutzt sowohl der Personalabteilung als auch der IT-Organisation. Durch die Anbindung von SAP HR an den Windows-Verzeichnisdienst Active Directory lassen sich bisher getrennte Arbeitsschritte zu einem Vorgang zusammenfassen. Ein neuer Mitarbeiter etwa musste zuvor in der Personaldatenbank und in der IT separat angelegt werden. Gab es Veränderungen oder schied ein Angestellter aus, waren wiederum an zwei Stellen Eingriffe vonnöten. Mit Unterstützung der Firma Realtech gelang es, hier einen automatischen Abgleich zu realisieren.
Single-Sign-On nimmt den Anwendern lästige Arbeitsschritte bei der Authentifizierung im System und in den Programmen ab. Ein einziges Passwort reicht nun aus, um Zugang zu den Unternehmensanwendungen zu erhalten. “Unsere Mitarbeiter sind bereits aus dem Intranet einen einfachen, einmaligen Login gewöhnt. Dasselbe wollten wir ihnen auch in Windows und SAP ermöglichen”, berichtet Fischer.

Umstieg auf SAP R/3 Enterprise hatte Vorrang

Im August 2003 ging das Umstellungsprojekt in die heiße Phase – schließlich war der 4. Oktober als “Tag Null” für die neue Systemumgebung gesetzt. Dabei waren – beinahe erwartungsgemäß bei einem Vorhaben dieser Art – auch unvorhergesehenen Probleme zu meistern. So lieferte ein Storage-System von Hewlett Packard in der 64-Bit-Umgebung viel zu niedrige Datendurchsatzraten. Unter Windows 2000 lief es hingegen problemlos. Nach aufwändiger Ursachenforschung gelang es Servicetechnikern von HP schließlich, den Fehler zu lokalisieren und mit einem überarbeiteten Treiber für den Fiber-Channel-Controller Abhilfe zu schaffen.
Auch mit dem neuen SAP-Release lief zunächst nicht alles reibungslos, wie Karl Haas, als Datenbankspezialist bei Koehler für das Projekt mitverantwortlich, zu berichten weiß: “In der bei uns installierten Konfiguration des SAP-Systems gelang es nicht, die neue Version mit allen Patches und Release-Ständen einzuspielen. SAP unterstützte uns aber gut und konnte rechtzeitig eine überarbeitete, fehlerfreie Version liefern.” Letztlich sei es der tatkräftigen Unterstützung der IT-Lieferanten zu verdanken, dass die Umstellung wie geplant und im vorgesehenen Zeitrahmen über die Bühne ging.
Haas räumt ein, dass das Projekt teilweise sogar auf der Kippe stand. “Entscheidend war für uns jedoch der Umstieg auf SAP R/3 4.7”, sagt Haas. Wäre also bis zum Stichtag nicht alles reibungslos gelaufen, so hätte das Unternehmen die SAP-Umstellung zunächst auf der vorhandenen 32-Bit-Plattform realisiert und die komplette Umstellung von SAP R/3, Windows Server 2003 und SQL Server 2000 auf 64-Bit später durchgeführt.

Das oberste Gebot heißt Betriebssicherheit

Lager mit Papierrollen
Lager mit Papierrollen

Für ihr vorsichtiges Vorgehen haben die IT-Verantworlichen gute Gründe, denn oberste Priorität hat im Unternehmen die reibungslose Papier-Produktion. Bei einem Systemausfall müsste die Produktion ab einer dreistündigen Unterbrechung gestoppt werden, erklärt Fischer. Beim vollständigen Stillstand einer Papiermaschine würde es dann etwa fünf Tage dauern, um die Anlage wieder hochzufahren. Ein neuralgischer Punkt ist dabei vor allem der Abtransport der aufgerollten Papierbahnen von den Maschinen. Im Falle eines Prozess-Staus müssten die etwa 20 Tonnen schweren Rollen mit Selbstdurchschreibepapier auf den Boden gehievt werden – mit der Folge, dass sich innerhalb von Sekundenbruchteilen Druckstellen durch die Rolle fortpflanzen und das Produkt unbrauchbar machen.

Orientierung an Standardprodukten

Eine wichtige Säule der auf Betriebssicherheit ausgelegten IT-Strategie ist bei Koehler die Orientierung an Standardprodukten. Daher stimmte das Unternehmen bei der SAP-Einführung die Geschäftsprozesse auf die Lösung ab und verzichtete auf aufwändige Systemanpassungen. Dieses Vorgehen spart nicht nur Kosten, sondern bestätigte sich auch in anderer Hinsicht, wie Fischer betont: “Rückblickend haben wir festgestellt, dass dank dieser Strategie auch hin und wieder Geschäftsprozesse hinterfragt werden.”
Aber auch die konsequente Migration der Windows-Plattform steht in diesem Kontext. Durch die Verfügbarkeit von 32-Bit sowie 64-Bit Windows Server können nun die SAP-Zentralinstanz sowie die Datenbank in der leistungsfähigeren Umgebung betrieben werden, die vielen übrigen Server im Unternehmen laufen ohne zusätzliche Hardware-Investitionen auf 32-Bit weiter. Die Administration bleibt dabei aufgrund des einheitlichen Betriebssystems einfach. Darüber hinaus bietet die Umstellung nun eine Grundlage für weitere Projekte im Papierkonzern. Auf SAP-Seite wurde die Einführung des Moduls DIMP (Discrete Industry Mill Paper) bereits durchgeführt, SAP BW (SAP Business Information Warehouse) befindet sich in der Testphase.

Neueste Technologien auch für Mittelständler bezahlbar

Die maßgebliche Unterstützung einer auf Innovation ausgerichteten IT-Strategie kommt dabei von Bruno Schwelling, dem CFO (Chief Financial Officer) des Unternehmens. “Unsere Projekte zeigen, dass neueste Technologien auch für Mittelständler bezahlbar sind”, sagt Schwelling. Die IT habe stets dabei geholfen, Kosten zu senken und die Produktivität zu steigern. Und auch einen weiteren wichtigen Punkt will Schwelling nicht unerwähnt lassen: “Eine moderne IT motiviert die Mitarbeiter, in schwierigen Zeiten wie diesen ist so etwas auch positiv für das Wir-Gefühl.”

Wolfgang Miedl
Wolfgang Miedl