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Mitarbeiter müssen Wissen selektiv weitergeben – und erwerben

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Thomas Davenport
Thomas Davenport

Mr. Davenport, welche Beziehung besteht zwischen Wissens-Management und Human Capital Management (HCM)?

Davenport: Wissensmanagement ist eine der Möglichkeiten, mit denen Organisationen den Wert des Humankapitals steigern können. Wenn Mitarbeiter ihr Wissen anderen zur Verfügung stellen, steigt ihr eigener Wert und auch der Wert der Mitarbeiter, die dieses Wissen nutzen. Das Wissensmanagement verschmilzt zunehmend mit der Aus- und Weiterbildung im Unternehmen, einer weiteren Möglichkeit zum Aufbau von Humankapital.

Welche Rolle sollte die Technologie im Wissens-Management spielen?

Davenport: Ursprünglich nutzten die meisten Organisationen die Technologie zum Aufbau von Depots. Wir alle haben jedoch immer weniger Zeit, auf diese Depots zuzugreifen und sie durch eigene Beiträge zu ergänzen. Deshalb bin ich mittlerweile davon überzeugt, dass die optimale Nutzung der Technologie darin besteht, das Wissen in den Arbeitsablauf selbst zu integrieren. Hierzu könnten beispielsweise Workflow-Tools oder rollenspezifische Portale dienen. Im Rahmen meiner Zusammenarbeit mit SAP versuche ich, effiziente Nutzungsmöglichkeiten der Portaltechnologie zu identifizieren, um Wissen und wichtige Informationen in die Arbeitsabläufe einzubetten.

Welche Aspekte des Human Capital Management sind für Sie wichtig?

Davenport: Meine Kollegen von Accenture und ich konzentrieren uns bei der Zusammenarbeit mit SAP darauf, wie sich Humankapital messen lässt. Eine verbreitete Binsenweisheit besagt: “Was man nicht messen kann, kann man auch nicht managen”. Eine ganze Reihe von Management-Untersuchungen bestätigt uns, dass viele Führungskräfte Humankapital für eine außerordentlich wichtige Ressource halten, jedoch nur sehr wenige ein gutes Gespür für die Qualität und Quantität der Personalentwicklungsmaßnahmen in ihrem Unternehmen im Vergleich zu anderen Organisationen haben. Accenture und SAP arbeiten an einer sehr umfassenden Methode zur Messung des Humankapitals.

Welche Fehler sollte man vermeiden?

Davenport: Der größte Fehler im Hinblick auf HCM besteht darin, nicht in HCM zu investieren und die Mitarbeiter nicht als entscheidendes Unternehmenskapital zu betrachten. Leider ist dieser Fehler sehr weit verbreitet! Sobald wir einen Rahmen für eine konkrete Messung haben, kann sicherlich auch eine ganze Reihe von Fehlern auftreten — aber von diesem Punkt sind die meisten Organisationen noch weit entfernt.

Wie können Unternehmen ihren Wert durch höhere Mitarbeiterproduktivität steigern?

Davenport: Eine Vielzahl von Untersuchungen legt nahe, dass Unternehmen, die ihre Mitarbeiter gut behandeln, also ihr Humankapital effizient verwalten, eine bessere Performance vorweisen können als Unternehmen, die dies nicht tun. Das anschaulichste Beispiel dafür ist, dass die Unternehmen, die vom Magazin Fortune unter dem Titel “100 Best Companies to Work For” ermittelt werden, regelmäßig über dem Index S&P 500 (Standard & Poor’s 500 Index) liegen. Im Dreijahresvergleich übertraf ihr Total Shareholder Return beispielsweise den Index S&P 500 um 19 Prozent. Unternehmen mit einer höheren Produktivität können den Kunden einen höheren Wert und attraktivere Preise bieten. Insbesondere wenn Sie die Produktivität allgemein definieren — als Produktion eines höheren und hochwertigen Output mit weniger Input — ist sie die Grundlage eines erheblichen Wettbewerbsvorsprungs. Und auf einer weniger allgemeinen Ebene gilt: Mitarbeiter mit höherer Produktivität behalten ihren Job.

…und Mitarbeiter mit einer niedrigeren Produktivität müssen um ihren Arbeitsplatz bangen?

Davenport: Ja, wenn ein Unternehmen sehr an der Produktivitätsmessung interessiert ist, kann es bedeuten, dass die Mitarbeiter entweder gute Ergebnisse erzielen müssen oder das Unternehmen die Arbeit möglicherweise an einen externen Dienstleister oder eine Tochtergesellschaft im Ausland vergibt. Oder es kann einfach bedeuten, dass das Unternehmen versucht, die Produktivität seines vorhandenen Personals zu verbessern.

Kann man das Wissen von Mitarbeitern messen und direkt mit anderen vergleichen?

Davenport: Ich denke, es ist sehr schwer, die Vergleichbarkeit und den Wert des Wissens losgelöst vom Individuum zu ermitteln, da der Wert des Wissens durch den Anwender bestimmt wird. Derjenige, der das Wissen erzeugt oder zur Verfügung stellt, hat möglicherweise eine Vorstellung vom potenziellen Wert seines Wissens, dies ist jedoch nur ein ungefährer Anhaltspunkt für den Wert des Wissens. Wissen, das für einen Einzelnen zu einem bestimmten Zeitpunkt wertlos ist, kann zu einem anderen Zeitpunkt oder für eine andere Person sehr wertvoll sein. Ich habe das Thema Wissen mit einer ganzen Reihe von Unternehmen bearbeitet, jedoch noch kein Unternehmen gesehen, das Wissen erfolgreich messen kann.

Was müssen Führungskräfte tun, um ihre Unternehmen auf die Idee des Wissens-Managements einzuschwören?

Davenport: Es kommt darauf an zu zeigen, dass Wissen für das Unternehmen wichtig ist, dass positives Verhalten im Umgang mit Wissen honoriert wird, und dass bestimmtes Wissen wichtiger ist als anderes.

Wie sieht der ideale Mitarbeiter aus, der anderen sein Wissen zur Verfügung stellt?

Davenport: Ich habe immer geglaubt, dass der ideale Mitarbeiter all sein Wissen an jeden anderen Mitarbeiter weitergibt und Wissen innerhalb und außerhalb der Organisation aktiv ausfindig macht. Inzwischen bin ich jedoch zu dem Schluss gekommen, dass die Mitarbeiter sorgfältig auswählen müssen, welches Wissen sie weitergeben und welches Wissen sie suchen. Wir alle werden von Informationen und Wissen überflutet, daher sollten wir nur qualitativ hochwertiges Wissen weitergeben und ausfindig machen. Der ideale Mitarbeiter würde die Informationen aussortieren, die nur wichtig für seine Stelle sind, und jedem Kollegen nur die Informationen weitergeben, die jeweils für seine Arbeit relevant sind. Das setzt voraus, dass sich die Mitarbeiter ihrer Verantwortung für das gesamte Unternehmen bewusst sind.

Auf der organisatorischen und individuellen Ebene muss man sich im Klaren darüber sein, welches Wissen für den Unternehmenserfolg wirklich wichtig ist, und diese Form des Wissens dann optimal verwalten. Das könnte man als “Wissensstrategie” bezeichnen. Meiner Ansicht nach ist es jedoch wichtig, dass die Einzelnen benötigte Informationen bereitwillig weitergeben.

Gelten im öffentlichen Sektor oder in Geheimdiensten andere Regeln?

Davenport: Im Allgemeinen gelten dieselben Regeln. Es ist auch dort wichtig, Prioritäten zu setzen und Wissen bereitwillig weiterzugeben, wenn es benötigt wird. In einigen Ländern ist das Beschäftigungsverhältnis im öffentlichen Sektor stabiler; hierdurch erhöht sich oft die Bereitwilligkeit, Informationen weiterzugeben. Die Katastrophe vom 11. September 2001 ist für mich ein Beispiel dafür, was passiert, wenn die Weitergabe von Informationen zwischen den Organisationen so genannter Geheimdienste nicht richtig funktioniert.

Sind Geheimdienste also von Natur aus ineffizient?

Davenport: Eine umfassende Weitergabe von Wissen mag ineffizient sein, weil Sie mehr Informationen sichten müssen. In diesem Fall ist das Setzen von Prioritäten noch wichtiger. Vor dem 11. September wurde dem Wissen über nationalen Terrorismus in den USA eine zu geringe Priorität beigemessen. Heute erhält das Wissen zum Themengebiet Terrorismus sehr viel mehr Aufmerksamkeit. Primär konzentriert man sich jedoch auf die Methode der terroristischen Anschläge vom 11. September, nämlich auf die Entführung von Flugzeugen. Meiner Meinung nach ist es aber unwahrscheinlich, dass dies auch beim nächsten Mal die bevorzugte terroristische Methode sein wird.

In welchen Unternehmen hat sich Ihre “Big Idea” bewahrheitet?

Davenport: Bei einigen Untersuchungen in der jüngsten Vergangenheit haben mich Unternehmen wie Intel, Cisco und Novartis stark beeindruckt. Keines dieser Unternehmen ist perfekt, aber sie verwenden sehr viel Mühe darauf, es zu werden! Momentan beschäftige ich mich damit, wie die Produktivität und Performance so genannter Wissensarbeiter gesteigert werden kann. Wir haben erhebliche Verbesserungen bei der manuellen und administrativen Arbeit erzielt, die Wissensarbeiter wurden jedoch größtenteils sich selbst überlassen. Ich prüfe sowohl Methoden des Wissensmanagements auf organisatorischer Ebene als auch die Möglichkeiten des einzelnen Mitarbeiters, seine Produktivität zu steigern. Sicherlich werden Human Capital Management und Wissensmanagement in diese Methoden integriert sein – wie genau, wird sich noch zeigen.