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“Banken vollziehen Industrialisierung im Schnelldurchgang”

Feature
Wolfgang König
Wolfgang König

Was sind die Kernpunkte der aktuell diskutierten Neuordnung der Bankenlandschaft?

König: Um im verschärften Wettbewerb mit alten und neuen Wettbewerbern bestehen zu können, müssen viele Banken im großen Stil Kosten senken, wobei Branchenvorreiter hier bereits deutliche Erfolge verbuchen können. Dabei kann die Finanzindustrie von den Strategien im Automobilsektor sehr viel lernen. Es ist zu erwarten, dass weite Teile des Finanzsektors bald verstärkt einen ähnlichen “industriellen” Weg beschreiten, den Vorreiter wie Deutsche Bank und Postbank mit bereits substanziellem Erfolg in ersten Schritten umgesetzt haben.

Wie sieht diese Industrialisierung konkret aus?

König: Die Neubewertung und Reorganisation der Wertschöpfungsketten geht vor allem der Frage nach, wo die optimale Fertigungstiefe im Bankensektor liegt. Also letztlich der Frage, welche Leistungen selbst erstellt und welche von unternehmensexternen Partnern erbracht werden sollen. Die Automobilindustrie verfügt heute über eine Fertigungstiefe von etwa 25 Prozent, in der Finanzbranche sind es hingegen vielfach noch 70 Prozent und mehr. Dies macht deutlich, welches Potenzial für Spezialisierungs- und Skalenvorteile derzeit im Bankenumfeld ungenutzt bleibt. Typischerweise werden in diesem Zusammenhang Prozesse wie der Zahlungsverkehr oder die Wertpapierabwicklung genannt. Hier ist abzusehen, dass etwa durch Prozessfabriken und dadurch -bündelungen Spezialisierungs- und Skalenvorteile ausgenutzt werden. Dies führt natürlich auch zu einer Neugestaltung der gesamten Finanzwertschöpfungskette.

Also Supply-Chain-Management auch im Finanzsektor?

König: Exakt. In dem Maße, in dem Outsourcing an Bedeutung gewinnt, rückt auch die integrierte Planung, Durchführung und Abwicklung der Dienstleistungsproduktion in den Vordergrund. Die Banken werden hier reagieren und sich zunehmend das Wissen über ihre Geschäftsprozesse und die notwendigen Kenntnisse zu deren Optimierung aneignen. Allerdings lässt sich natürlich die Automobilmetapher nicht eins-zu-eins übertragen. Zum einen muss die Finanzindustrie wahrscheinlich nicht jahrzehntelange Umwege bis zum Ziel effizienter Prozesse gehen. Umgekehrt ist kurzfristig natürlich auch nicht das Ausmaß von Standardisierung, wie wir sie etwa aus der Automobil-Wertkette kennen, zu erreichen.

Das gleiche gilt interessanterweise für die Finanzprozesse in Industrieunternehmen, die dort Sekundärprozesse sind. Eine aktuelle Studie des E-Finance Lab zum Thema Financial-Chain-Management unter den deutschen Top-1.000-Unternehmen (ohne Banken und Versicherungen) zeigt, dass zwei Drittel der befragten Experten in den Unternehmen mit den eigenen Finanzprozessen unzufrieden sind. Besonders großes Verbesserungspotenzial sehen die Unternehmen dabei in den Teilprozessen der Rechnungsstellung und -abwicklung sowie der Zahlung. Gleichzeitig werden die Banken von den Verantwortlichen der Industrie als besonders kompetent erachtet, einen Teil der mit dieser Unzufriedenheit verbundenen Fragestellungen zu lösen. So gaben die befragten CFOs die Banken als kompetentesten Wunschpartner für Zahlung, Absicherung und Finanzierung an.

Welche Rolle spielt die Informationstechnologie in diesem Industrialisierungsprozess?

König: Die Spezialisierung der Unternehmen innerhalb der Wertschöpfungskette und die Koordination der Supply-Chain machen die Bedeutung von Standards und leistungsfähigen Datenverarbeitungs- und Kommunikationssystemen deutlich. Das E-Finance Lab als gemeinsame Forschungseinrichtung der Universität Frankfurt am Main und der Technischen Universität Darmstadt hat sich beispielsweise zum Ziel gesetzt, diese Entwicklung voranzutreiben. Gemeinsam mit unseren Partnern Accenture, Deutsche Bank, Deutsche Postbank, FinanzIT, IBM, Microsoft, Siemens, T-Systems, DAB bank, IS.Teledata und VR-NetWorld erarbeiten wir innovative Modelle im Bereich der Wertschöpfungsketten und erproben Methoden zur Gestaltung neuartiger Produkte in der Finanzbranche. In diesem Sektor lassen sich solche Neuerungen mit Hilfe netzbasierter Informations- und Kommunikationssysteme leichter durchsetzen, da die Prozesse grundsätzlich durchgängig digitalisierbar sind.

Wie steht es denn um die dazu auch im Finanzsektor notwendigen Standards?

König: Im Kontext der Integrations- und Standardisierungsprobleme kommt Banken eine besondere Stellung zu. Aufgrund unterschiedlicher nationaler und branchenspezifischer Rahmenbedingungen und IT-Strategien ist die Heterogenität der IT-Landschaften vergleichsweise stark. In Studien ist häufig zu lesen, dass innerhalb einer Bank zwischen 30 und 40 unterschiedliche Systeme einzelne Bankenprodukte unterstützen – häufig sogar noch mehr. Auch hier ist in den letzten Jahren ein deutlicher Trend zu erkennen, dass zumindest einige Vorreiter die Zeichen der Zeit erkannt und ihre Systeme standardfähig gemacht haben. Die Herausforderung war und ist immens. Nicht zuletzt durch die in der Vergangenheit eingeschränkte Verfügbarkeit von Standardsoftware für den Bankensektor ist hier der Anteil an Eigenentwicklungen mit geschätzten 60 Prozent recht hoch. Proprietäre Softwarelösungen und massive Medienbrüche verhinderten vielfach eine Beschleunigung und Verbesserung – Fehlerraten sind zum Beispiel häufig ein Problem der Prozesse. Allgemein liegt die Industrialisierung des Finanzsektors und damit beispielsweise auch die Häufigkeit von IT-Outsourcing noch deutlich hinter dem Stand anderer Branchen zurück, aber bei immerhin steigendem Gradienten.

Gelten diese Aussagen gleichermaßen im internationalen Kontext?

König: Es gibt etliche Unterschiede zwischen den USA und Europa. Viele amerikanische Finanzinstitute haben ihre Systeme intern nicht integriert. Diese Banken orientieren sich nicht an einem internen Straight Through Processing (STP). Dies wird deutlich bei einem Blick auf den Wertpapierabwicklungsprozess in den USA. Dort ist vor allem die Batch-Verarbeitung – also Prozesse, die nicht in Echtzeit ablaufen – problematisch. Diese betrifft neben einer Verarbeitung von Aufträgen, die aus den Front-Office- (also den Handelssystemen) in die Back-Office-Systeme (die Abwicklungssysteme) übergeben werden, auch Transaktionen in den Back-Office-Systemen selbst. Die interne STP-Effizienz in Europa, insbesondere Deutschland, ist im Vergleich zu den beschriebenen US-amerikanischen Verhältnissen signifikant höher. Hier findet man oft sowohl eine Vernetzung der Front-Office-Systeme mit denen im Back-Office als auch schon eine Real-Time-Verarbeitung der Transaktionen.

Wie sind die Auswirkungen für die Softwarebranche?

König: Die zunehmende Verbreitung von dem Finanzwesen angepassten Verfahren und Standards eröffnet den Anbietern von Standardsoftware beträchtliche Möglichkeiten. Für Outsourcing-Anbieter ist eine Standardisierung ihrer Dienstleistungen enorm wichtig. Es lassen sich nur Skaleneffekte erzielen, wenn dieselbe Infrastruktur mehreren Abnehmern zur Verfügung steht und sich auf diese Weise die “Stückkosten” reduzieren. Sind Prozesse erst einmal vereinheitlicht, steht einer Einführung von Standardsoftware nichts mehr im Weg. Die Postbank hat mit einer SAP-Einführung im Massentransaktionsgeschäft demonstriert, dass sich Standard-Software auch im Finanzsektor erfolgreich einsetzen lässt.