Herr Glas, ERP erlebt – nach einer gewissen Durststrecke – seit einiger Zeit eine Renaissance. Was sind die Gründe dafür?
Einer der Gründe für die Renaissance von ERP ist in den knappen IT-Budgets der letzten beiden Jahre zu sehen. In den Unternehmen fand ein Umdenkprozess statt. Sie investieren jetzt nur noch in Software, wenn diese genau die Funktionalitäten hat, die sie brauchen. Ab 2002 spielen die Kosten, hier vor allem das Thema Return on Investment (ROI), eine zentrale Rolle beim Investitionsverhalten.
Ein weiterer Grund ist: ERP-Systeme haben, was die Funktionalitäten betrifft, inzwischen deutlich gegenüber den Spezialanbietern (Best-of-Breed) aufgeholt und sind konkurrenzfähige Produkte geworden. Beispielsweise werden inzwischen SCM- und CRM-Funktionalitäten mit in die ERP-Software integriert. Für Mittelständler ist Enterprise Resource Planning daher sehr attraktiv, weil die laufenden Betriebskosten für ein solches System natürlich geringer sind, als wenn man sich alles bei verschiedenen Anbietern zusammenkauft. Auch wachsende Branchenkenntnisse der Anbieter tragen zum Erfolg von ERP im Mittelstand bei.
Welche Anforderungen sollten SMBs an eine moderne und zukunftsfähige ERP-Software stellen?
Einer der wichtigsten Punkte ist die langfristige finanzielle Stabilität des Anbieters und damit auch des jeweiligen Produktes. Darauf legen Mittelständler sehr großen Wert, denn was hilft die beste Software, wenn es den Anbieter in wenigen Jahren nicht mehr gibt? SMBs müssten in diesem Fall hohe Investitionen abschreiben. Eng verknüpft mit der Vertrauensfrage ist also das Thema Investitionsschutz beziehungsweise Return on Investment. SMBs sollten weiterhin auf die Gesamtkosten des Systems achten. Dazu gehören neben den Lizenzgebühren die Kosten für Hardware, Implementierung, Anpassungen und Wartung sowie der laufende Unterhalt, beispielsweise für das Einspielen von Updates. Auch interne Kosten für die Schulung von Nutzern oder für Neueinstellungen spielen eine Rolle.
Was die Software selbst angeht, so muss sie genau jene Funktionalitäten besitzen, die mittelständische Unternehmen benötigen. Das ist das A und O. Mittelständler wollen eine (Branchen-)Lösung, die ihre spezifischen Prozesse abbildet. Für Anbieter wiederum bedeutet dies, dass sie genaue Kenntnisse der Branche und ihrer spezifischen Prozesse haben müssen, um ein marktgerechtes Produkt anbieten zu können. Hier übernehmen Branchenlösungen eine wichtige strategische Rolle, denn je besser eine betriebswirtschaftliche Software die Prozesse eines Wirtschaftszweigs abbildet, umso näher ist sie an der betrieblichen Wirklichkeit. Langwierige und damit teure Anpassungen entfallen oder werden auf ein finanziell vertretbares Minimum reduziert.
Welchen betriebswirtschaftlichen Nutzen ziehen SMBs aus einer ERP-Lösung?
Kostenreduktion und Wachstum. Eine ERP-Software senkt die Kosten in den nicht zum Kerngeschäft gehörenden Bereichen, wie etwa der Verwaltung. Hierzu gehört zum Beispiel im Fertigungsbereich eine Verbesserung der Lagerhaltung, um die für die Produktion notwendigen Materialien zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu haben.
Zudem können über eine ERP-Lösung auch künftige Wachstums- und Vertriebspotenziale identifiziert werden, besonders dann, wenn ein CRM-Modul integriert ist. Gerade im After-Sales-Bereich können SMBs die Kundenzufriedenheit und damit die Kundenbindung deutlich steigern. Voraussetzung hierfür sind sauber geführte Kontakthistorien sowie ein gemeinsamer Zugriff von Vertriebsmitarbeitern auf Kundendaten. Das senkt letztlich auch die Kosten im Vertrieb.
Wie sollten Mittelständler bei der Auswahl und Einführung einer neuen ERP-Lösung vorgehen?
Das Wichtigste ist, vorab herauszufinden und zu wissen, wofür man eine Geschäftssoftware im Unternehmen braucht. Erst muss man die betriebswirtschaftlichen und die IT-Ziele definieren. Bei der Recherche sollte ein mittelständischer Betrieb in jedem Fall folgende Fragen stellen: Welche Software hilft, Prozesse im Unternehmen zu verbessern? Welcher Anbieter kann was zu welchem Preis liefern? Versteht der Anbieter die spezifischen Bedürfnisse der jeweiligen Branche, Sub-Branche, eines Branchensegments oder gar eines Nischenmarktes? Ist ein Anbieter zukunftsfähig und damit in der Lage, seine Produkte technologisch weiterzuentwickeln und den künftigen Erfordernissen anzupassen? Unterstützt das System branchenspezifische Standards? Das sind nur einige Kernfragen, doch extrem wichtig für den späteren Erfolg oder Misserfolg eines ERP-Projekts. SMBs sollten zudem ermitteln, welche internen Ressourcen ein Einführungsprojekt bindet und wie hoch die damit verbundenen Kosten sind. Dieser Aspekt wird meiner Ansicht nach meist unterschätzt und deshalb falsch bewertet.
Abgesehen von den internen Kosten – gibt es noch weitere Gesichtspunkte, die SMBs in Einführungsprojekten unterschätzen oder falsch gewichten?
Bevor wir über die Fehler reden, lassen Sie mich feststellen: Es gibt zahlreiche ERP-Einführungsprojekte in mittelständischen Unternehmen, die gut geplant und durchgeführt werden sowie reibungslos laufen. Positiv ist weiter die pragmatische Einstellung mittelständischer Betriebe in puncto IT, nämlich nur das zu kaufen, was das Unternehmen benötigt. Natürlich werden auch Fehler gemacht. Ich will nur einige Punkte nennen:
Neben den internen Kosten – um diesen Aspekt weiterzuführen – fallen bei der Einführung auch Prozesskosten an, was häufig vergessen wird. Zudem wollen SMBs manchmal zu viel selbst machen und überschätzen die eigenen Fähigkeiten. Viele Mittelständler denken in puncto IT-Investitionen mitunter auch zu kurzfristig und zu wenig strategisch. Oft wird Geld für eine Lösung ausgegeben, die zwar zunächst in der Anschaffung günstig, jedoch wenige Jahre später technologisch überholt ist. Dann muss ein neues ERP-System her, das wieder finanzielle und personelle Ressourcen bindet. Diese verdeckten Kostentreiber werden oft gar nicht als solche erkannt. Dass Mittelständler keine längerfristigen Investitionen in ihre IT tätigen, liegt aber auch an ihrer teilweise sehr geringen Eigenkapitaldecke, die auf mehere Jahre angelegte Ausgaben verhindert. Hier wären beispielsweise die Banken als Kreditgeber gefordert.
Welche Entwicklung werden ERP-Lösungen für SMBs in den nächsten Jahren nehmen?
Wenn wir die technologische Entwicklung betrachten, werden künftig serviceorientierte Architekturen (SOA), welche die Komplexität betriebswirtschaftlicher Anwendungen aufbrechen, auch für den Mittelstand immer wichtiger. Das heißt, die Gesamt-Software wird in einzelne Module zerlegt, die wiederum über Web-Services-Standards verbunden sind. Das vereinfacht nicht nur die Integration bestehender Anwendungen, sondern verbessert Unternehmensprozesse und senkt letztlich (IT-)Kosten.

Daneben will aber jede Branche ihre speziellen Prozesse in einer Software abgebildet sehen. SAP verfolgt hier meiner Ansicht nach ein sehr interessantes Modell, denn sie adressiert den mittelständischen Markt über ihre Business Partner, welche die jeweils erforderlichen Branchenkenntnisse mitbringen. Der Konzern stellt den Partnern seine qualitativ hochwertige Software zur Verfügung, woraus diese dann spezifische Branchenlösungen (mySAP All-in-One) beziehungsweise funktionale Zusatzlösungen zu SAP Business One entwickeln. Das Vorgehen hat für alle Beteiligten Vorteile. Zum einen verteilt sich der Entwicklungsaufwand auf verschiedene Schultern, denn die Spezifika kommen von den Partnern. Zum anderen werden die Branchen durch Lösungen mit voreingestellten Best Practices exakt adressiert, und die Kunden erhalten ein genau auf sie zugeschnittenes System.
