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Eine einzelne Schraube wiegt zwischen 0,1 Gramm und 20 Kilo. 17.000 Tonnen der verschiedensten Verbindungselemente hat Reyher vorrätig. 150 Tonnen davon verlassen täglich das Logistikzentrum des Hamburger Traditionsunternehmens. Vom Auftragseingang bis zur Auslieferung vergehen dabei keine 24 Stunden – so das Versprechen des Schraubengroßhändlers an seine Kunden. Die Lieferbereitschaft liegt dabei bei über 98 Prozent. Doch die dafür erforderliche, extensive Lagerhaltung benötigt Platz, kostet Geld und bindet Ressourcen. Deshalb hat das Unternehmen ein mehrstufiges Dispositionssystem im Einsatz, das die Lagerbestände optimiert, ohne Einbußen bei der Lieferfähigkeit hinzunehmen. Denn neben der breiten Produktpalette zählt vor allem die hohe Verfügbarkeit zu den Alleinstellungsmerkmalen des Großhändlers.

Abfragen müssen binnen weniger Sekunden vorliegen

Ein Vorteil, den auch die Kunden von Reyher – zu 80 Prozent Industriebetriebe und zu 20 Prozent Firmen aus Handel und Handwerk – zu schätzen wissen. Verbindungselemente gebündelt aus einer Hand zu beziehen vereinfacht auch ihre Bestellprozesse erheblich. Um den Kunden diese Leistungen bieten zu können, muss sich Reyher auf ein zuverlässiges Warenwirtschaftssystem stützen, zumal der Großteil der Bestellungen nach wie vor telefonisch eingeht. Bestandsübersichten müssen den Vertriebsmitarbeitern meistens binnen weniger Sekunden vorliegen. Doch das bisher eingesetzte IT-System stieß funktional an seine Grenzen und war zudem ein „auslaufendes Modell“. Die erforderlichen Verbesserungen wären nur durch aufwändige Zusatzprogrammierungen zu realisieren gewesen. „Wir standen vor der Entscheidung, unsere im Laufe von fast 20 Jahre eigenprogrammierte Lösung grundlegend zu überarbeiten oder eine Standardsoftware vom Markt einzuführen. Die Projektsicherheit und die Zukunftsträchtigkeit einer Eigenentwicklung an sich wurden aber als unzureichend bewertet“, erklärt Dr. Peter Bielert, Leiter der Unternehmensentwicklung bei Reyher. Von einer Standardsoftware versprach man sich höhere Transparenz, integrierte Datenhaltung und optimierte Prozesse. Auch die Möglichkeit, das eigene ERP-System besser an die IT-Systeme der Kunden anzubinden, sprach für diese Variante.

Branchenausprägung als entscheidendes Kriterium

Mit der Entscheidung für eine Standardlösung stand aber auch fest, dass bestimmte unternehmensspezifische Anpassungen vorgenommen werden mussten. Denn als Großhändler wickelt Reyher täglich 10.000 bis 12.000 Positionen ab und stellt damit ganz spezifische Ansprüche an ein ERP-System. Entsprechend sorgfältig ging man bei der Auswahl der in Frage kommenden Lösungen vor. Der Zuschlag ging an SAP. Zum einen versprach man sich von diesem Anbieter höchste Integration und Zukunftssicherheit, zum anderen konnte mit SAP in einer ersten Stufe die Einführung des SAP-R/3-Moduls für das Finanzwesen in Verbindung mit der Euro-Umstellung 2002 schnell realisiert werden. Auf diesem Wege konnten in überschaubarem Rahmen Erfahrungen mit der Software aus Walldorf gesammelt werden, bevor die Warenwirtschaft umgestellt wurde. Gewichtige Argumente für den Vertragsabschluss lieferte das umfassende Know-how des Vertriebscenters „Technischer Großhandel“ von Wincor Nixdorf International. Der SAP-Komplettdienstleister und Life-Time-Partner für viele Unternehmen aus dem Bereich des Handels und der Industrie überzeugte durch ein schlüssiges Konzept und die Bereitschaft, als Generalunternehmer die volle Projektverantwortung zu übernehmen. Für die Walldorfer sprach zudem die Branchenausprägung. Denn über ihre Mittelstandspartner bietet die SAP eine ganze Reihe von speziell zugeschnittenen IT-Lösungen an. Sie basieren alle auf derselben Technologie, werden aber im Vorfeld an die Erfordernisse der jeweiligen Branche angepasst. Drei SAP-Branchenlösungen für den Handel standen in der Endauswahl. Reyher entschied sich schließlich für FIS/wws, eine Lösung für den „Technischen Großhandel“ von der FIS Informationssysteme und Consulting GmbH. Der SAP Business Partner aus Grafenrheinfeld betreute auch die Einführung der Branchenlösung. Dafür wurde in Abstimmung mit den IT-Spezialisten von Reyher und Experten aus den Fachbereichen zunächst ein Fachkonzept erstellt.
Im Mittelpunkt der Planung standen Funktionalität und Sicherheit. Bei täglich 2.000 Aufträgen kann Reyher es sich nicht leisten, dass das System auch nur einen Tag stillsteht. Deshalb fanden im Vorfeld ausgiebige Massentests statt – zunächst auf einer Test-, anschließend auf einer Qualitätssicherungsumgebung. Erst dann wurden tatsächlich Aufträge über das neue System abgewickelt. Da das SAP-Modul für das Finanzwesen bereits seit längerem in Betrieb war, konnte man reale Szenarien mit einem „Spielmandanten“ nachstellen. Dafür wurden die Daten aus der Produktionsumgebung kopiert und ein Massentestmandant im Produktivsystem angelegt. Die Produktiv-Übernahme der Daten vom alten in das neue System fand über die Weihnachtsfeiertage 2003 statt. In den letzten Monaten vor der Einführung erfolgte die Schulung der Endanwender durch Key User aus den eigenen Reihen. Im Januar 2004 ging das ERP-System live und hat sich seither mehrfach bewährt. Mit Hilfe der Branchenlösung konnten nicht nur die Belegflüsse stärker verknüpft werden, auch die übergreifenden Prozesse – wie zum Beispiel die Retouren- oder die Exportabwicklung – stellen sich heute wesentlich transparenter dar. Und obwohl nach wie vor rund 90 Prozent der Bestellungen telefonisch eingehen, ist die Anbindung an den Online-Shop RIO (Reyher Internet Order) in jedem Fall eine Investition für die Zukunft.

Übersichtliche Auftrags- und Bestellerfassung

Wenn eine Kundenbestellung eingeht – sei es auf elektronischem Wege oder telefonisch – dann prüft das System innerhalb von einer Sekunde, ob die gewünschte Ware verfügbar ist. Die Auftragserfassung erfolgt innerhalb weniger Sekunden über die Schnellerfassung. Sollte es trotz der hohen Verfügbarkeit zu zeitkritischen Aufträgen kommen, dann kann die Auftragsabwicklung auch über einen Streckenauftrag ablaufen. Die gewünschten Artikel werden dann direkt vom Lieferanten an den Endkunden zugestellt. Hohe Versorgungssicherheit für die Kunden garantiert auch das Reyher-Lagerbewirtschaftungssystem, das in die SAP-Prozesse integriert wurde. Läuft ein Behälter bei einem Kunden leer, dann wird sofort eine Anschlusslieferung ausgelöst.
Ähnlich flexibel gestalten sich die Prozesse in der Materialwirtschaft. Die hohe Lieferfähigkeit bei Reyher gründet sich dabei vor allem auf das mehrstufige Dispositionsverfahren. Sowohl für Lagerwarenbedarfe als auch für Kundenaufträge werden zunächst per Bedarfsanforderung mehrere Angebote eingeholt. Die Funktionalität eines Preisspiegels ermöglicht es, die eingegangenen Angebote durch Klicken und Zuordnen zu vergleichen. Das System wandelt dann das günstigste Angebot nach manueller Freigabe in eine Bestellung um. So ist auch bei großen Bestellmengen und bei häufig nachgefragten Artikeln die Lieferfähigkeit zuverlässig gewährleistet.

Ein Artikel und tausend Varianten

Eine zweite Herausforderung bei der Bestellabwicklung ist die große Artikelvielfalt. Mehr als 60.000 Artikel und zusätzlich über 25.000 kundenspezifische Teile hat Reyher ständig auf Lager. Jeder Einzelne ist unter einer eigenen Artikelnummer erfasst – auch wenn die Abweichungen unter Umständen marginal sind. Merkmale, die der Kunde dabei auswählen kann, sind Werkstoff, Form, Oberfläche, Ausführung, Länge und Durchmesser. Die klassische Sechskantschraube etwa gibt es bei Reyher in über tausend Varianten. Entsprechend aufwändig gestaltete sich früher die Verwaltung der Artikelnummern, denn die einzelnen Sachmerkmale definierten sowohl die Artikelnummer als auch ihre Verschlüsselung in der Datenbank. Heute werden Artikelnummer und Sachmerkmale getrennt geführt.
Mit der verbesserten Datenhaltung steigen aber gleichzeitig auch die Anforderungen an die Performance des IT-Systems. Darüber hinaus wuchs das Datenvolumen bei Reyher in den zurückliegenden Monaten zusätzlich an. Der Grund: Alle „alten“ Preise bleiben im System gespeichert – bei einer differenzierten Preisstruktur, wie Reyher sie aufweist, fallen entsprechend viele Daten an. Auch die SAP-Protokollierungsfunktion und die zugrunde liegende Technologie für die Hardware-Architektur binden Kapazitäten. Um das operative System zu entlasten, denkt man deshalb über die Einführung von SAP Business Information Warehouse (SAP BW) nach. Mit der neuen ERP-Lösung ist eine solide Grundlage für dieses Folgeprojekt geschaffen.