Herr Dr. Hudetz, was sind die Hauptvorteile elektronischer Beschaffung für kleine und mittelständische Firmen?
Für kleinere Unternehmen steht die Verbesserung des Beschaffungsprozesses im Vordergrund. So können Bestellvorgänge beschleunigt und die Transaktionskosten reduziert werden. Der Einkauf erhält mit E-Procurement-Lösungen eine höhere Transparenz über die Bestellprozesse. Im Gegensatz zu den Großunternehmen, die auf eigenen Beschaffungsplattformen die Einkaufskosten teilweise drastisch reduzieren können, ist dieses Einsparpotenzial für kleine und mittelständische Firmen relativ gering. SMBs betrachten E-Procurement daher eher als Option, ihre langfristigen Lieferantenbeziehungen zu optimieren.
Welche technischen und organisatorischen Vorarbeiten beziehungsweise welche technischen Voraussetzungen benötigen SMBs, die ernsthaft darüber nachdenken, eine E-Procurement-Lösung einzuführen?
Ein schneller Internetzugang mittels Standleitung oder DSL ist unabdingbar, um die Geschwindigkeitsvorteile des E-Procurement tatsächlich auszuschöpfen. Zusätzlich benötigen SMBs eine moderne Geschäftssoftware, wie beispielsweise SAP Business One, oder Branchenlösungen auf Basis von mySAP All-in-One, die entsprechende standardisierte Schnittstellen zu externen Systemen besitzen.
Nur wenn möglichst viele Schritte des Bestellprozesses automatisiert werden, entsteht nennenswertes Kostensenkungspotenzial. Bei vielen kleineren Unternehmen fehlen die Möglichkeiten, die über das Internet getätigten Bestellvorgänge in das eigene EDV-System zu integrieren. Durch den resultierenden Medienbruch – Ausdruck der Internet-Bestellungen und Eingabe der Daten in das eigene System – gehen die Optimierungspotenziale des E-Procurement verloren. So entstehen zusätzliche Kosten, und zudem steigt die Fehleranfälligkeit.
Entsprechende Hardware-technische Voraussetzungen alleine reichen allerdings nicht aus, um die Möglichkeiten des E-Procurement voll auszuschöpfen. Hierzu ist vor allem ein gepflegter Stammdaten-Bestand notwendig. In vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen wird dieser jedoch mangelhaft gepflegt. Solche Mängel werden im elektronischen Austausch schnell sichtbar, denn die Datensätze müssen manuell nachgebessert werden, was wiederum die Prozesse verlangsamt. All dies führt natürlich zu höheren Transaktionskosten.
Käufer und Lieferanten benötigen für den Austausch von Informationen gemeinsame Datenstandards. Wie sieht es denn mit Lieferantenintegration bei E-Procurement-Projekten in mittelständischen Firmen aus?
Der elektronische Datenaustausch mit Lieferanten stellt mittelständische Unternehmen häufig vor sehr große Probleme. Neben der erwähnten mangelhaften Stammdatenpflege besteht das zweite große Problem in der unzureichenden Standardisierung der Daten- und Übertragungsformate. Zwar existieren sowohl im Bereich der Konsumgüterwirtschaft, beispielsweise mit EAN 128 und EANCOM, als auch in der Investitionsgüterindustrie mit eCl@ss oder UNSPSC teilweise sogar weltweit vereinbarte Normen für die Produktklassifikation und die Übertragung von Daten. Diese Standards werden derzeit jedoch überwiegend von den Großunternehmen genutzt. In mittelständischen Firmen hingegen sind noch weitgehend proprietäre Systeme im Einsatz. Die Umstellung auf wirkliche Standardlösungen stellt insbesondere für kleinere Unternehmen eine große Aufgabe dar. Hier hilft ein Projekt wie PROZEUS, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit initiiert wurde und beispielhaft den Einsatz von Standards in den E-Business-Geschäftsprozessen kleiner und mittlerer Unternehmen erprobt.
Kehren wir das Ganze um und betrachten die mittelständische Lieferantenseite. Wie ist es denn um deren E-Readiness bestellt?
Mangelnde Datenqualität und unzureichende Standards behindern auch die Lieferanten. Das bestätigen verschiedene Studien sowie Ergebnisse des genannten PROZEUS-Projekts. Die Probleme mittelständischer Lieferanten entsprechen damit im Wesentlichen denen mittelständischer Käufer. Wir können keinesfalls davon sprechen, dass Lieferanten grundsätzlich Innovatoren in diesem Bereich sind und die Käufer eher „Bremser“. Prinzipiell stellt die Unternehmensgröße den entscheidenden Faktor dar: Großunternehmen haben ihre Stammdaten gemeinhin besser gepflegt und setzen sehr viel stärker auf standardisierte Lösungen im E-Business als kleinere Unternehmen – unabhängig davon, ob es sich um Anbieter oder Lieferanten handelt.
Die richtige Software sowie einheitliche Datenstandards sind zentrale Aspekte beim E-Procurement. Werden die Projekte nicht häufig nur darauf reduziert, mittels einer Software-Lösung Material- und Beschaffungskosten zu senken, und wird darüber der Einkäufer, also der „menschliche Faktor“, vergessen?
In der Tat, der menschliche Faktor wird oft vernachlässigt. Unsere Erfahrungen zeigen darüber hinaus, dass oft die „klassischen“ Probleme des Projektmanagements E-Procurement-Vorhaben behindern. Das heißt, terminliche Absprachen werden nicht eingehalten, Projektteams werden umbesetzt, und die Kommunikation mit externen Partnern funktioniert nicht, um nur einige Gründe zu nennen. In vielen Fällen befürchten die Einkäufer für sich auch persönliche Nachteile, wenn ihre Firma auf elektronische Beschaffung umstellt. Es gilt daher, sie davon zu überzeugen, dass E-Procurement keine Ersatz-Lösung für die bisherigen Formen der Beschaffung ist, sondern ein Instrument darstellt, das die Einkäufer bei der Verbesserung ihrer Arbeitsprozesse unterstützt. Um E-Procurement erfolgreich einzuführen, ist daher ein hohes Engagement aller Beteiligten, vom Management bis zum Einkauf, notwendig.
„Klassisches“ E-Procurement steht unter Verdacht, nur auf der Einkaufsseite Vorteile zu bringen. Ist ein kollaborativer Ansatz, wie er im Supplier Relationship Management (SRM) vertreten wird, ein tragfähiges und zukunftsfähiges Konzept, um die Beziehungen zwischen Abnehmer und Zulieferer zu organisieren?
Die Diskussion darüber, ob die Optimierung der Wertschöpfungskette für den Käufer oder den Lieferanten mehr Vorteile mit sich bringt, ist so alt wie die Idee solcher gemeinsamen Bemühungen, egal ob sie als Efficient Consumer Response (ECR), Supply Chain Management (SCM) oder als Supplier Relationship Management (SRM) bezeichnet werden. Die Verteilung der Optimierungspotenziale spiegelt jedoch zumeist lediglich die Marktmacht wider: Gesetzt den Fall, dass die eigentlichen Rationalisierungspotenziale des E-Procurement sich weitgehend auf die Lieferantenseite beschränken, würde dies in einem „Käufermarkt“ zu niedrigeren Einkaufspreisen und damit auch zu Vorteilen für die Käufer führen. Entscheidend ist hier wiederum die Unternehmensgröße, denn die Vebesserungsmöglichkeiten des E-Procurement sind natürlich umso größer, je mehr Käufer-Lieferanten-Beziehungen einbezogen werden.

Ein Großunternehmen, das mehrere hundert Lieferanten über eine einheitliche Plattform an sein Bestellsystem anbindet, reduziert damit seine Einkaufskosten natürlich stärker als ein kleines Unternehmen, das mit fünf Lieferanten E-Procurement betreibt und sich dabei vielleicht noch an verschiedenen Lösungen orientieren muss. Allerdings können SMBs – und da wiederhole ich mich gern – durch gute Datenqualität, die mit einer zukunftsfähigen Software produziert werden kann, sowie durch standardisierten Datenaustausch deutlich mehr im Einkauf sparen als bisher.
