Herr Maccotta, die arabische Welt ist als IT-Markt nicht attraktiv – nichts als ein Vorurteil?
Maccotta: Aus meiner Sicht ist das ein Mythos, ja eine Fehleinschätzung. Die Marktforschung bestätigt, dass die EMEA-Region, also Europa, der Nahe Osten und Afrika, der am schnellsten expandierende Markt weltweit ist. Beispielsweise konnte die Gitex, die wichtigste IT-Messe im Nahen Osten, mit insgesamt 120.000 Fachbesuchern eine Steigerung ihrer Besucherzahlen um 9,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verbuchen und ist somit auf dem besten Weg, sich zur wichtigsten Vernetzungsplattform für Branchenexperten und Unternehmen zu entwickeln. Das zeigt deutlich, dass die IT-Services in der Region expandieren. Tatsächlich geht man davon aus, dass der Markt für IT-Services in der EMEA-Region von 206 Mrd. US-Dollar im Jahr 2004 auf 240 Mrd. US-Dollar im Jahr 2009 anwachsen wird.Sicher ist der arabische IT-Markt noch ein aufstrebender Markt – aber zweifellos auch eine Goldgrube für Geschäftschancen. Im Verlauf der nächsten Jahre wird sich die Informationstechnologie sogar zum kritischen Wettbewerbsinstrument entwickeln, da die Unternehmen bei der Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zunehmend auf neue Geschäftsmodelle anstatt auf neue Produktlinien setzen.
Für welche Aufgabenstellungen besteht der größte Bedarf an IT-Lösungen?
Maccotta: Nach Einschätzung von Analysten stehen Groß- und Einzelhandel bis zum Jahr 2008 im Mittelpunkt. Daneben erfordern auch Bildungs- und Gesundheitswesen beständige Aufmerksamkeit und Upgrades: einfach deshalb, weil so wichtige vertikale Märkte einen kontinuierlichen Software-Support mit den neuesten und besten Lösungen benötigen.
Welche SAP-Lösungen sind bei Ihren Kunden in der arabischen Welt besonders gefragt?
Zalt: Da wir vorwiegend mit größeren Kunden arbeiten, sind die praxisbewährten SAP-Lösungen für die Erdöl-, Versorger-, Metall- und Chemiebranche sehr gefragt und wir haben zur Bedienung dieser Kunden umfassende qualifizierte Personalressourcen aufgebaut. Bei unserer bestehenden Kundenbasis beobachten wir derzeit Trends zu Produkten wie mySAP SRM, mySAP CRM und SAP NetWeaver – Business Intelligence.
Cherry: Im Jahr 2004 wurden von allen ERP-Komponenten am meisten Finanzanwendungen nachgefragt. Multinationale Firmen aus den Mitgliedsstaaten des Golfkooperationsrates (GCC) – Saudi Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Bahrain, Oman, Katar und Kuwait – führen derzeit strenge Buchhaltungs- und Finanzprüfungsstandards ein. Angesichts von Entwicklungen wie Corporate Governance, Deregulierung und Privatisierung sowie einer kontinuierlichen Weiterentwicklung der Schlüsselsektoren Öl, Gas und Finanzdienstleistungen wird der Bedarf an erstklassigen Lösungen im Nahen Osten weiter steigen. Die meisten Unternehmen der GCC-Staaten gehören zum Mittelstand und fangen gerade erst an, ihre Geschäftsprozesse zu automatisieren. Sie werden dabei von einfachen ERP-Lösungen unterstützt. Mit dem gegenwärtigen Generationswechsel in den Regierungen der Region verstärkt sich der Druck auf diese Unternehmen, größer und wettbewerbsfähiger zu werden: Neu gegründete Unternehmen stellen die Existenz und Profitabilität der bestehenden in Frage, die sich daher ebenfalls nach erstklassigen Lösungen umsehen müssen.
Gibt es auch über die wohlhabende Arabische Halbinsel hinaus Bedarf an SAP-Lösungen?
Maccotta: Durchaus. SAP unterhält heute eine Hauptstelle in Saudi-Arabien und Niederlassungen in Dubai, Ägypten und Oman. Wir haben in der gesamten Region mehr als 70 wichtige Kunden. Cherry: Das Königreich Saudi-Arabien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait bleiben die wichtigsten arabischen Märkte. Iran tritt als Region mit Potenzial hinzu, besonders weil der neue iranische Präsident das Land zu einem attraktiven Markt für ausländische Unternehmen machen möchte.
Welche Besonderheiten in der Geschäftspraxis gilt es im Nahen Osten zu beachten?
Zalt: Im Nahen Osten funktioniert der Markt für große IT-Projekte nach drei ziemlich einfachen Prinzipien – Vertrauen, Wert und Leistung. Die Presales-Phase kann hier ziemlich zeitaufwändig sein, da wir mit den potenziellen Kunden zunächst ausführlich klären, welche Ziele wir mit anderen Kunden erreicht haben, welche zahlreichen Projekte wir in der Region erfolgreich abgeschlossen haben und wie unsere aktuelle Implementierungsstrategie aussieht. Natürlich spielt auch der Preis eine wichtige Rolle. Vertrauen ist aber mindestens genauso zentral. Die Kunden müssen sich auf ihre Systemintegratoren und ihr zuständiges Team persönlich verlassen können. Sie wollen sicher stellen, dass ihr Projekt in guten Händen ist.
Wie ist die Akzeptanz der neuen IT-Technologien in der Bevölkerung der arabischen Länder?
Maccotta: Man muss berücksichtigen, dass technologische Fortschritte beispielsweise vom Bruttoinlandsprodukt des Landes oder dem Alphabetisierungsgrad abhängig sind. Die Marktforschung zeigt, dass eine wesentliche Verschlechterung dieser Schlüsselfaktoren spürbare negative Auswirkungen auf die Verbreitung der IT-Technologie hat. Ziemlich positiv waren auch die Ergebnisse neuerer Untersuchungen der IT-Services-Branche in der gesamten EMEA-Region, da sich das wirtschaftliche Umfeld in mehreren Ländern derzeit im Wandel befindet und das Bewusstsein für den Nutzen moderner Technologien zunimmt.
Axon hat Anfang 2005 in einem Pilotprojekt mySAP ERP am Middle-East-Standort Dubai des japanischen Automobilherstellers Nissan implementiert. Warum zuerst im Nahen Osten?
Cherry: Es ging nicht darum, ob eine Einführung im Nahen Osten einfacher oder schwerer ist, es war einfach eine Frage der wirtschaftlichen Logik: Nissan Middle East entschied sich als Erstes für die Lösung, da man die Chancen auf mehr wirtschaftliche Effizienz im gesamten Unternehmen und bei der Geschäftsabwicklung mit Nissan in Japan erkannte.
Atos Origin hat vor kurzem SAP R/3 in 200 Büros des weltweit größten Ölproduzenten, Saudi Aramco, implementiert. Welche spezifischen Erfahrungen haben den Erfolg eines so gigantischen Projekts ermöglicht?
Zalt: Die Arbeitsbeziehung zwischen SAP, Saudi Aramco und Atos Origin war auf jeden Fall ein entscheidender Faktor für den Erfolg des Projekts. Für diese weltweit größte SAP-Einzelimplementierung bildeten wir ein hervorragendes Team von SAP-Experten. SAP verpflichtete einige gute Fachleute für das Projekt. Die Kooperation aller interessierten Parteien von der Führungsebene bei Saudi Aramco bis zu den zuständigen Regierungsbehörden war bestens. Auch das Engagement bei der Endanwenderschulung war beeindruckend. Wir veranstalteten Hunderte von Schulungen für buchstäblich Tausende von Saudi Aramco-Mitarbeitern in einem weiträumigen geographischen Gebiet. Damit konnten wir sicher stellen, dass jeder Einzelne geschult und für den großen Tag vorbereitet war. Der Go-Live ging am Ende auch reibungslos über die Bühne.
Wo sehen Sie Ihre Unternehmen und Kunden in zehn Jahren?
Maccotta: Wir befinden uns auf der Schwelle zu einer neuen Ära der Datenverarbeitung, in der sich die Informationstechnologie an der Unternehmensstrategie orientiert und zur treibenden Kraft der Wettbewerbsfähigkeit wird. Die größte Herausforderung sind veränderte Kundenbedürfnisse und Kundenverhalten. Als Reaktion darauf werden sich Unternehmen immer mehr auf innovative Geschäftsmodelle und Partnernetzwerke, statt wie bisher auf neue Produkte konzentrieren. Wir werden also noch mehr in die Verbesserung der Customer-Relationship-Management-Lösungen investieren, um diesem Bedarf gerecht zu werden.
Zalt: Der Bedarf unserer Kunden an Technologie ist sehr hoch. Wir binden heute umfassende Ressourcen für SAP-NetWeaver-basierte Technologie. Diese ist unserer Ansicht nach der wichtigste Wachstumsbereich im angebrochenen Zeitalter der Web-basierten Services. Ein weiterer zentraler Bereich wird das Outsourcing werden, wo sich unsere Umsätze in den vergangenen Jahren verdreifacht haben. Unseren Vorsprung auf diesem Gebiet werden wir mit Sicherheit noch ausbauen.
Cherry: Wir werden uns weiterhin auf große Organisationen konzentrieren, für die SAP die wichtigste Unternehmensanwendung ist. Mit dem Wirtschaftswachstum im Nahen und Mittleren Osten erwarten wir eine stetig wachsende Nachfrage nach ERP und ERP-Services. Wir sind derzeit an verschiedenen Programmen beteiligt, beispielsweise an der Aufstellung eines Transportunternehmens für die 15. Asienspiele in Doha (Katar) im Jahr 2006. Außerdem bauen wir den Einzelhandel weiter aus und stellen neue Public-Sector-Initiativen bereit.