
Herr Diener, führt nicht schon Softwareergonomie alleine zu größerer Benutzerfreundlichkeit?
Diener: Softwareergonomie erklärt leider nicht, wie man benutzerfreundliche Software konkret entwickelt, sondern nur anhand welcher Kriterien man Software evaluiert. Benutzerfreundlichkeit definiert sich immer über den Anwendungskontext. Diesen muss man verstehen, um gute Software zu schreiben. Wenn einem Mitarbeiter dann das CAD-Programm der Firma nicht gefällt, muss er trotzdem damit arbeiten. Computerspiele hingegen müssen den Spielern auf Anhieb gefallen, sonst werden sie nicht gespielt. Spiele-Entwickler müssen also viel mehr Sorgfalt und Energie auf die Benutzerfreundlichkeit legen.
Sehen das die Hersteller von Business-Software genauso?
Diener: Fast jeder ist von der Qualität seiner Produkte überzeugt. Entwickler wissen genau, wie sie ihre Software zu benutzen haben, und können sich gar nicht vorstellen, dass jemand anders damit Probleme hat. Doch unsere Usability-Tests fördern ganz andere Ergebnisse zutage: Wichtige Funktionen sind teilweise nur durch Tastaturbefehle zu erreichen oder Fehlermeldungen sind nicht verständlich. Es ist höchste Zeit, die Benutzer und ihre Anforderungen ernst zu nehmen.
Und wie gehen Sie an diese Fragestellung heran?
Diener: Wir haben ContextControl entwickelt, den Prototyp eines Game Based Interface, also eine Benutzungsschnittstelle, die spielerische Konzepte verwendet. Das heißt nicht, dass die Anwender mit der Oberfläche spielen. Vielmehr beruht sie, wie auch gute Spiele, auf dem Prinzip verschiedener Schwierigkeitsstufen (Levels). Die Levels können an die Erfahrungen oder die Zugriffsrechte der Benutzer angepasst sein oder die jeweilige Aufgabe der Benutzer berücksichtigen. Sie erlauben es, für jeden Anwender und jede Aufgabe ein angepasstes Interface bereit zu stellen. Falls ein Anwender beispielsweise sein Textverarbeitungsprogramm nie dazu verwendet, Webseiten zu gestalten oder Rechnungen zu schreiben, kann er diese Funktionen weglassen und erhält dadurch eine viel einfachere Oberfläche. Mit Hilfe von ContextControl kann jede Teilaufgabe innerhalb eines Arbeitsprozesses eine eigene Benutzungsschnittstelle erhalten, die genau die Funktionen bereitstellt, die dort benötigt werden.
Haben Sie ein Beispiel, das sich auf Unternehmenssoftware anwenden lässt?
Diener: Betrachtet man ein Simulationsspiel wie SimCity , so finden sich viele Parallelen zu den Aufgaben einer öffentlichen Verwaltung oder eines großen Unternehmens: Logistikketten müssen exakt aufeinander abgestimmt und das Wohl der Bürger beachtet werden. Aufgrund der Zeitraffung in einem Spiel geschieht das dort sogar häufiger als in der Realität. Hinzu kommt, dass das Spiel die Menschen sehr viel mehr fesselt und ihnen auch sehr schnell einen guten Überblick über die aktuelle Situation gibt. Dies wird durch die Verwendung griffiger Metaphern sowie der Rahmenhandlung im Spiel erreicht. In einer Unternehmenssoftware könnte der Gesamtprozess, etwa “Bestellung”, wie eine Rahmenhandlung präsentiert werden, die unternehmensinterne Abläufe widerspiegelt. Der Benutzer folgt der “Handlung” und beachtet dabei automatisch festgelegte Regelungen. Einzelfunktionen, etwa “Rechnung schreiben”, werden mit Bildsymbolen oder gar mit dem Hintergrundbild einer Rechnungsabteilung dargestellt.
Lassen sich auch vertraute Spiel-“Oberflächen” – etwa aus Monopoly – in die Benutzerführung von Geschäftssoftware einbauen, um den Spaß beim Bedienen der Software zu erhöhen?
Diener: Wenn man eine Analogie der Inhalte des Spiels zu den realen Anwendungen oder zu steuernden Prozessen findet, ist das möglich. So haben wir in einem Design des ContextControls Spielfelder wie beim Mensch-Ärgere-Dich-Nicht für die Prozessschritte genutzt. Aber es reicht nicht, allein eine Spieloberfläche zu integrieren. Das neue System muss auch benutzbar sein. Bei aller Freude am “Spielen” muss man sich immer fragen, ob der Einsatz von Spielekonzepten auch wirklich für mehr Benutzerfreundlichkeit sorgt. Um dies sicherzustellen, bieten wir Unternehmen und Entwicklern Tests in unserem Usability-Lab an.
Für welche Art von Anwendungen eignet sich ContextControl besonders?
Diener: In unseren Versuchen konnten wir Microsoft Word und Excel verbessern, und dabei auch Schulungsunterlagen und Hilfestellungen direkt in die Benutzungsschnittstelle integrieren. Dazu haben wir jeweils zwei Versionen von Word – mit und ohne ContextControl – durch Anwender testen lassen. Wir haben uns allerdings dagegen entschieden, Microsoft um Rückmeldung dazu anzugehen, da Microsoft einen anderen Weg einschlägt und in VISTA ähnliche Ansätze einbringen wird. Aber auch andere Anwendungen im CAD-Bereich oder in der Fertigung lassen sich damit anpassen.
Ein gutes Stichwort. Haben Sie schon einmal SAP-Software unter diesem Aspekt betrachtet? Was wäre Ihre Anregung?
Diener: Wir haben SAP-Software bisher noch nicht im Detail untersucht. Langfristig ist es allerdings wichtig, die Tabellen-Metaphern zu verlassen und neue Seh- und Interaktionsgewohnheiten zu berücksichtigen. Hier könnte man Möglichkeiten zu interaktiver Simulation und zur graphischen Gestaltung wie in Spielen in Betracht ziehen.
In welcher Form liegt ContextControl derzeit am Markt vor?
Diener: ContextControl ist ein Prototyp und dient in erster Linie als Plattform für das Evaluieren von neuen Spielkonzepten in Game Based Interfaces. Wir bieten Unternehmen und Entwicklern aber an, Softwaresysteme und Arbeitsprozesse zu analysieren und die ContextControl-Verfahren zu integrieren.