Um dem rapiden Wandel nicht ihrerseits hinterher zu hinken, sollen die SAP Labs China in den kommenden zwei Jahren von derzeit 600 auf 1500 Mitarbeiter wachsen. Ein Entwicklungsschwerpunkt sind die aktuellen und zukünftigen Mittelstandslösungen – auch für den boomenden chinesischen Markt. Etwa 65 Prozent der Mitarbeiter im Shanghai Pudong Software Park arbeiten im Bereich SAP Business One, einer service-basierten Anwendung, sowie an vorkonfigurierten SAP Best Practice-Lösungen für Asien/Pazifik und Lateinamerika.
Zudem entwickeln die Mitarbeiter innovative Konzepte wie die so genannte Service Factory, ein Business Center für Kunden und Partner, das am Standort Chengdu aufgebaut wurde. Weitere Arbeitsschwerpunkte sind SAP ERP Financials und die Adaption der SAP-Lösungen für den chinesischen Markt. Eine Aufgabe, die zunehmend an Bedeutung gewinnen wird. Bisher sind rund 90 Prozent der in Shanghai entwickelten Lösungen auf den globalen Markt ausgerichtet. Das wird sich aber ändern.
Noch ist der chinesische Softwaremarkt in absoluten Zahlen relativ klein. Aber insbesondere bei kleinen und mittelständischen Firmen (Small and Middle Enterprises, SME) wird ein großer Bedarf an Unternehmenslösungen erwartet. Für diesen zu erwartenden Boom werden jetzt die Weichen gestellt. Grundsätzlich, so Shang-Ling Jui, seit 2003 Leiter der SAP Labs China, biete das Reich der Mitte gute Voraussetzungen für ein starkes Wachstum im IT-Bereich: „Wir haben einen gesunden Mittelstand, einen großen Binnenmarkt, einen hohen Anteil ausländischer Investitionen und einen riesigen Pool an Talenten“, zeigt sich der gebürtige Taiwanese zuversichtlich.
Und Vergleichsmöglichkeiten hat er im Laufe seiner Karriere reichlich gesammelt: Jui studierte an der Stanford-Universität in den USA und promovierte an der Universität Siegen. Er nahm die deutsche Staatsbürgerschaft an und beschreibt sich seitdem als „Deutscher mit chinesischer Seele“. Nach der Promotion arbeitete er als Software-Entwickler bei ThyssenKrupp in Dortmund und als Ingenieur bei EADS in München. 1992 wechselte Jui zu SAP und hatte seitdem verschiedene Positionen in Walldorf, den USA und jetzt in China inne.
Vorbildfunktion für neue Märkte
Gerade im SME-Bereich könne China, laut Jui, hervorragend als Vorbild dienen, denn in den Firmen sei der Einsatz von ERP-Software noch weitgehend unbekannt, und die Budgets seien sehr klein. „Was immer man hier als Lösung präsentiert, muss schnell implementierbar, kostengünstig und einfach zu bedienen sein. Wenn es SAP gelingt, in diesem Markt zu bestehen – und wir haben schon sehr viele erfolgreiche SME-Kunden –, können wir dieses Wissen nutzen, um in den traditionellen Märkten wie auch in Entwicklungs- und Schwellenländern erfolgreich zu sein“, ist sich Jui sicher.
Als Informationsquelle und Forum für einen Meinungsaustausch dient der eigens ins Leben gerufene Innovator Club.
Unternehmensgründer, Firmenchefs, IT-Verantwortliche, Akademiker und Regierungsvertreter treffen sich einmal im Quartal, um Möglichkeiten der Zusammenarbeit auszuloten und Feedback zu SAP-Lösungen zu geben. Mit dabei sind nicht nur SAP-Kunden, sondern auch Nutzer von Konkurrenzprodukten. „Wir wollen wissen, warum sie sich für andere Produkte entschieden haben“, sagt Markus Alsleben, der sich in den SAP Labs China um das Strategic Business Development kümmert. „Das Feedback fließt direkt in die Bedarfsanalyse ein“, erläutert Alsleben. Der Innovator Club trage aber auch dazu bei, SAP als offenes Unternehmen und als Autorität im Markt zu positionieren. „Wir helfen chinesischen Firmen, mit den schnellen Veränderungen zurecht zu kommen und sich auf ihr Wachstum vorzubereiten.“ Der Kontakt zu Vertretern der Regierung ermögliche es zudem, deren Anforderungen besser zu verstehen und die Zusammenarbeit zu intensivieren.
Forschung und Nachwuchs
Auch bei der Etablierung von SAP Research in China wirken die SAP Labs unterstützend mit. So entwickelten sie innovative Konzepte für das Lieferketten-Management – zum Beispiel mit RFID – und bei Forschungsvorhaben rund um die neue Mittelstandslösung mit dem Arbeitstitel „A1S“. Dabei kooperieren die Labs eng mit zahlreichen renommierten Universitäten im ganzen Land, um Forschungsnetzwerke zu knüpfen und früh Kontakt zu Studenten herzustellen.
Dies soll sich auch bei der Erweiterung der Belegschaft auf 1.500 Mitarbeiter – der Altersdurchschnitt liegt bei unter 30 Jahren – auszahlen. Bei vier Millionen Uni-Absolventen pro Jahr, davon 1,7 Millionen mit ingenieurwissenschaftlichem Hintergrund, haben chinesische Software-Unternehmen kein Problem, talentierte junge Leute zu engagieren. Dennoch pflegt SAP intensive Kontakte zu Universitäten. Nicht nur um sich bei Forschungsprojekten ein gewisses Mitspracherecht zu sichern. Sondern auch um die SAP Labs als Top-Adresse für Nachwuchskräfte zu positionieren. „Wir picken uns die Rosinen heraus“, sagt Jui selbstsicher, denn SAP habe als Arbeitgeber einen sehr guten Ruf.
Und ein guter Ruf verpflichtet. Nicht umsonst sieht der Stanford-Absolvent die Erweiterung der Belegschaft als große Herausforderung. „Wir müssen sicherstellen, dass die Integration der neuen Kollegen reibungslos verläuft.“ Dabei dürfe die Qualität der Arbeit, die regelmäßig mittels Kundenbefragungen getestet wird, nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Mitarbeiter schätzten die offene Unternehmenskultur und gute Aufstiegschancen. Entscheidend seien jedoch die Arbeitsinhalte: „Im Gegensatz zu den meisten anderen Forschungseinrichtungen, die sich oft mit reiner Lokalisierung beschäftigen oder nur mit der Peripherie einer Software, wissen die Mitarbeiter, dass sie bei SAP kreativ arbeiten und etwas bewirken können“, hebt Jui hervor.
Bei der Auswahl des Personals setzt er vor allem auf Bewerber mit hohem Lernpotenzial. Es kommt ihm darauf an, dass sich die Absolventen schnell in neue Themen einarbeiten und sich neues Wissen aneignen können. „Schließlich ist der technologische Wandel in unserer Branche enorm.“ Um die neuen Kollegen auch physisch zu integrieren, entsteht neben dem SAP-Campus im Shanghai Pudong Software Park ein mehrstöckiges Bürogebäude. Dass Juis Personalpolitik erfolgreich ist, lässt sich an der Zahl derer ablesen, die das Unternehmen verlassen. Die liegt bei knapp sieben Prozent. „Ein niedriger, gesunder Wert“, findet Jui.