Autor: Sabine Höfler
Die Zeiten, als der Einkauf eine rein administrative Angelegenheit war, sind offensichtlich vorbei. Drei Viertel der Unternehmen behandeln die Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen inzwischen als strategische Funktion. Noch vor fünf Jahren maß nur jedes dritte Unternehmen dem Einkauf diese Bedeutung bei. Dies ergab die Studie „Beyond the hype – what’s really important in procurement?“, die das Beratungshaus BrainNet zwischen Oktober 2006 und März 2007 im Auftrag von SAP durchgeführt hat. Die Untersuchung konstatiert einen Paradigmenwechsel: Das Potenzial des Procurements wird heute nicht mehr nur darin gesehen, Kosten zu senken. Vielmehr erwarten die Verantwortlichen, dass der Einkauf langfristige, für die Wettbewerbsfähigkeit entscheidende Werte erzielt. So ist er inzwischen auch für die Beschaffung so genannter indirekter Güter zuständig, also Marketing- oder Beratungsdienstleistungen, – bislang eine Aufgabe von Vorstand und Bereichsleitern.
Für die Studie befragte BrainNet die Leiter der Einkaufsabteilungen (Chief Procurement Officers, CPOs) von mehr als 60 international führenden Firmen aus den USA, Europa und Asien, darunter Bertelsmann, Colgate Palmolive, Credit Suisse und IBM. Die beteiligten Unternehmen repräsentieren nach Angaben des Beratungshauses zusammengenommen ein Einkaufsvolumen von jährlich 430 Milliarden Euro – eine Summe, die deutlich höher liegt als das Bruttoinlandsprodukt von Ländern wie Argentinien, Schweden oder der Türkei. Diese mächtigen Procurement-Abteilungen – drei Viertel davon beschäftigen mehr als 500 Mitarbeiter – beeinflussen mit ihren Entscheidungen die Entwicklung von Märkten.
CPOs müssen um Anerkennung kämpfen
Darüber hinaus seien gerade die CPOs der untersuchten Konzerne Vorreiter im Procurement, so die Autoren, die Studienergebnisse damit repräsentativ für die künftige Entwicklung dieser Unternehmensfunktion. Und hier zeichnet sich ein Wandel ab: In jeder zweiten Firma agiert der Bereich Einkauf inzwischen auf Augenhöhe mit anderen strategischen Abteilungen, berichtet direkt an die Geschäftsführung und verwaltet ein deutlich höheres Budget als noch vor fünf Jahren.
Seine strategische Rolle kann der Einkauf allerdings nur dann ausfüllen, wenn er in abteilungsübergreifende Entscheidungen des Managements eingebunden ist und eng mit der Unternehmensführung zusammenarbeitet. Doch gerade daran hapert es noch. Trotz seiner gestiegenen strategischen Bedeutung muss der Einkauf intern weiterhin um Anerkennung kämpfen. Nur in einem Drittel der untersuchten Firmen zählt er zu den Schlüsselfaktoren für die Wertschöpfung. Geschäftsstrukturen und -prozesse haben sich noch nicht an die gestiegene Bedeutung und Komplexität von Beschaffungsaufgaben angepasst. So verfügt der Einkauf meist nicht über die notwendige Weisungskompetenz und ist organisatorisch schwach positioniert, erläutert Sven T. Marlinghaus, Partner bei BrainNet und Autor der Studie.
Der CPO gehört in der Regel weder dem Top-Management an, noch hat er direkten Zugang zu dieser Führungsebene. Entsprechend wird der Bereich auch nicht als „Karrieresprungbrett“ angesehen. Darüber hinaus fehlt meist ausreichend qualifiziertes Personal: Laut Marlinghaus beträgt das Weiterbildungsbudget eines Einkäufers im Durchschnitt rund 700 Euro im Jahr, das eines Vertriebsmitarbeiters liegt etwa beim Zehnfachen.
Angesichts dieses Prestigeproblems sehen 80 Prozent der befragten CPOs die größte Herausforderung darin, den unmittelbaren Einfluss von Procurement-Prozessen auf das Geschäftsergebnis innerhalb des Unternehmens zu verdeutlichen und den Einkauf stärker ins Blickfeld des Top-Managements zu rücken. Darüber hinaus müsse die Abteilung frühzeitig in Beschaffungsentscheidungen eingebunden werden und personell, finanziell und technisch ausreichend ausgestattet sein.
Strategischer Beitrag zum Geschäftserfolg
Die gestiegene strategische Bedeutung des Einkaufs zeigt sich indessen in der veränderten Gewichtung einzelner Geschäftsprozesse. Lag das Hauptaugenmerk vor fünf Jahren auf operativen und taktischen Prozessen wie Verhandlung und Vertragsabschluss, stehen heute strategische Geschäftsabläufe im Mittelpunkt. Eine der wichtigsten Aufgaben der CPOs ist es inzwischen, Beschaffungsstrategien zu entwickeln, die innerhalb des gesamten Unternehmens Synergien freisetzen und langfristig zum Firmenerfolg beitragen. Die Bereichsleiter sollen ihre Fachkompetenz zum Beispiel in so genannte „Make-or-buy“-Entscheidungen einbringen, Einkaufsbedarfe konzernweit bündeln und optimal im Markt platzieren, rät Marlinghaus. Daneben spielt das Lieferanten-Management eine strategisch wichtige Rolle. Der weltweite Wettbewerb und die zunehmende Auslagerung von Leistungen erfordern ein gut funktionierendes Netzwerk, das effektiv gesteuert werden muss.
Zugleich haben auch die Performance-Prozesse wie das Management von Ausgaben und Risiken (Spend Management, Supply Risk Management) und die Performance-Messung stark an Bedeutung gewonnen. Als Ursachen für diese Entwicklung macht die BrainNet-Studie allgemeine wirtschaftliche Rahmenbedingungen aus, etwa globale Wertschöpfungsnetzwerke, den intensiven internationalen Wettbewerb und strengere gesetzliche Auflagen. Außerdem habe sich in der Vergangenheit gezeigt, dass die starke Fokussierung auf transaktionale Prozesse, beispielsweise das E-Procurement oder Online-Auktionen, nicht den erhofften Performance-Schub erbrachte, heißt es. Wichtige Themen wie das Risiko- oder Wissensmanagement seien weiterhin stark unterentwickelt, verdeutlicht Marlinghaus: „Vielfach wurde nur in die Optimierung operationaler Prozesse wie den Einkauf von Büromaterial investiert, ohne dabei zu überprüfen, ob diese Prozesse echte Werttreiber sind“, betont er.
IT-Lösungen haben Nachholbedarf
Dieser Entwicklung hat die IT-Industrie noch nicht ausreichend Rechnung getragen, stellt BrainNet fest. In der Studie beklagt die Mehrheit der Befragten die mangelnde strategische Funktionalität der Software-Lösungen für den Einkauf. Die Anwendungen seien bei erfolgskritischen Prozessen wie dem Lieferanten-, Risiko- oder Compliance-Management noch wenig ausgereift. Dagegen widmeten die Hersteller den großteils standardisierten Abläufen zum Beispiel den elektronischen Ausschreibungen oder dem Katalogmanagement weiterhin eine vergleichsweise hohe Aufmerksamkeit. Doch mit „Commodities“ wie diesen könne man keine Wettbewerbsvorteile erzielen, lautet die Kritik.
Daher wünschen sich die befragten Manager von den SRM-Anbietern besseres Verständnis für ihre Bedürfnisse. Die Hersteller sollten für strategisch wichtige Prozesse, zügig vorkonfigurierte Best Practices bereitstellen, die leicht zu implementieren sind und durch offene Schnittstellen mit anderen Anwendungen integriert werden können.