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Herr Perens, wie wurden Sie Open-Source-Entwickler?

Perens: Die meisten Open-Source-Entwickler wollen zunächst nur ein Problem lösen. Mein erstes Open-Source-Programm „Electric Fence“ beispielsweise habe ich 1987 geschrieben, um Fehler in C-Programmen bei Pixar zu finden – dem Unternehmen, aus dem später das berühmte Animationsstudio wurde. Ich habe Electric Fence ins Netz gestellt, weil ich hoffte, dass mein Programm auch anderen nützt. Allerdings war meine Dokumentation dazu noch lückenhaft. Einen Tag später erstellte jemand anderes eine vollständige Dokumentation, die er für die Implementierung von Electric Fence in seinem Unternehmen brauchte, und schickte sie mir zu. So habe ich einen Tag Arbeit gespart.

Wer arbeitet heute bei Open Source mit?

Perens: Freiwillige, Linux-Distributoren, Anbieter von Open-Source-Programmen, Unternehmen, die mit Hilfe von Open-Source-Software den Vertrieb von Hardware oder anderen Lösungen unterstützen wollen, Dienstleister, Anwenderunternehmen und deren Entwickler, staatliche und wissenschaftliche Stellen. Da Open Source zunehmend auch in Unternehmen eingesetzt wird, beteiligen sich immer mehr professionelle Entwickler daran. Freiwillige Open-Source-Entwickler werden oft später von Firmen fest angestellt.

Was hat Open Source wirtschaftlich erfolgreich gemacht?

Perens: Aus betriebswirtschaftlicher Sicht gibt es zwei Arten von Software: einerseits geschäftsdifferenzierende Software, die dafür sorgt, dass das Produkt eines Unternehmens für den Kunden attraktiver wird als die Produkte des Wettbewerbs. Andererseits gibt es die übrige, nicht geschäftsdifferenzierende Software, die zwar für den Betrieb des Unternehmens unerlässlich ist, aber nichts zur Kundengewinnung beiträgt. Vor der Ära von Open Source und Linux haben Computerhersteller viel Geld für nicht geschäftsdifferenzierende Software ausgegeben. Zum Beispiel hat IBM Milliarden von Dollar in die Entwicklung seines Betriebssystems AIX gesteckt, das den Unix-Systemen von Anbietern wie HP oder Sun sehr ähnlich war. AIX war eine unterstützende Technologie, aber kein geschäftlicher Differenzierungsfaktor.

Mit der Zeit erhielt der Betriebssystems-Kernel von Linux immer mehr Funktionalität. IBM und andere Unternehmen erkannten, dass sie Geld sparten, wenn sie für nicht differenzierende Software wie den Betriebssystems-Kernel Open Source nutzten. So blieb mehr Geld für andere Dinge, die das Unternehmen im Wettbewerb voranbrachten.

Was hat Open Source langfristig für einen wirtschaftlichen Nutzen?

Perens: Im Falle von Microsoft bestand der wirtschaftliche Mehrwert vor allem darin, dass Kunden damit ihr Geschäft effizienter führen konnten. Ähnliches bietet auch Open Source: Viele Webserver und ein Großteil des E-Mail-Verkehrs funktionieren auf dieser Grundlage. So gesehen lässt sich der wirtschaftliche Nutzen von Open Source heute auf einige Milliarden Dollar schätzen.

Wie hilft Open Source, Investitionen in Software zu verringern?

Perens: Circa 90 Prozent der Software in jedem Unternehmen ist nicht differenzierend: Betriebssysteme, Webserver, Datenbanken, Java-Applikationsserver und andere Middleware, Benutzeroberflächen und die allgemeinen Programme, die auf den Benutzeroberflächen laufen, zum Beispiel Internetbrowser, E-Mail-Clients, Tabellenkalkulation, Textverarbeitung oder Präsentationsanwendungen. Es würde einem Unternehmen in keiner Weise schaden, wenn die Konkurrenz nachvollziehen könnte, wie diese nicht differenzierende Software funktioniert.

Der Onlinebuchhändler Amazon beispielsweise nutzt für den Betrieb seiner Website eine Menge Open-Source-Software. Für Amazon ist es unproblematisch, sich die Arbeit an dieser Software mit anderen Buchhändlern zu teilen. Anders als die Konkurrenz aber verfügt Amazon zusätzlich über ein Empfehlungssystem, mit dem es seine Kunden über andere Bücher informiert, die für sie von Interesse sein könnten. Es wäre ein Fehler, dieses System offenzulegen, denn dann würde Amazon einen Differenzierungsfaktor verlieren. Ein guter IT-Manager muss für jedes Unternehmen entscheiden, welche Software differenzierend ist und welche nicht, und verfügbare Mittel nach Möglichkeit für die Differenzierungsfaktoren verwenden.

Warum sind viele Kooperationskonsortien gescheitert?

Perens: Bei Produktplanungen im Konsortium treten oft unlösbare Konflikte zwischen den Unternehmen auf, weil jedes Unternehmen eine andere Marketingidee verfolgt und Auseinandersetzungen in diesem Bereich subjektiv und nur schwer beizulegen sind. Geschlossene Konsortien funktionieren nach dem Prinzip „Finanzmittel gegen Mitsprache“. Dabei arbeitet ein Mitglied nicht selten zum Schaden des Gesamtprojekts, wenn dies zu seinem eigenen Vorteil ist. Dagegen haben große Open-Source-Projekte hohe Erfolgsquoten zu verzeichnen, auch wenn dieselben Unternehmen an ihnen beteiligt sind, die im Konsortium miteinander gescheitert sind. Das liegt daran, dass bei Open Source ausschließlich die technische Qualität zählt und alle Teilnehmer durch die Open-Source-Lizenzierung zu Fairness gezwungen sind.

Wie sollte geschäftsdifferenzierende Software am besten entwickelt werden?

Perens: Der entscheidende Punkt an geschäftlichen Differenzierungsfaktoren ist, dass sie geheim gehalten werden müssen. Also sollten Unternehmen für differenzierende Software betriebsinterne Programmierer beziehungsweise externe Vertragsentwickler heranziehen. Dabei tragen sie natürlich die gesamten Kosten und Risiken der Entwicklung.

Ein anderes Paradigma der Softwareentwicklung besteht darin, im Handel erhältliche Software (Retail-Software) zu kaufen. Dies macht vor allem für Produkte Sinn, die einen Massenmarkt haben. Denn ein Anbieter von Retail-Software muss viel investieren, um seine Kunden zu finden: etwa in Werbung oder Verpackung. Die Kosten werden auf viele Kunden umgelegt, so dass keiner zu viel bezahlt.

Die dritte Möglichkeit, nämlich Open-Source-Software zu entwickeln, stützt sich im Allgemeinen auf interne Programmierer. Wenn viele Unternehmen an einem Projekt mitarbeiten, zum Beispiel an der Entwicklung des Apache-Webservers oder des Linux-Kernels, können sie Teams aus Tausenden von Programmierern aufbauen, ohne dass jedes einzelne Unternehmen zu viele Programmierer bezahlt oder zu viel riskiert, falls bestimmte Entwicklungen misslingen. Im Allgemeinen beteiligen sich Unternehmen an Open-Source-Projekten, wenn die Software bereits läuft – sie arbeiten zunächst einmal mit ihr und beteiligen sich dann an dem Projekt, um weitere Funktionen zu ergänzen. Open Source funktioniert am besten, wenn man früh und oft neue Versionen veröffentlicht, um weitere Mitarbeiter zu gewinnen.

Wie können SAP-Kunden ihre Geschäftsaktivitäten unterstützen, indem sie Open Source – rund um ihre SAP-Kernsoftware – einsetzen?

Perens: Software von SAP hilft beispielsweise einem Getränkeabfüller dabei sicherzustellen, dass die Getränke in den Geschäften seiner Handelspartner stehen. Natürlich gibt es auch Open-Source-Software für diese Nische, aber keine ist so gründlich wie SAP. SAP wird den Kunden auch in Zukunft einen differenzierenden Nutzen bieten. Und zwar so lange, wie dafür gesorgt ist, dass die Produkte benutzerfreundlicher und funktionaler sind als andere – ob nun Open Source oder proprietär.