
Der Club des Utilisateurs SAP Francophones (USF) feiert 2007 seinen 18. Geburtstag. Er ist damit nur zwei Jahre jünger als die französische SAP-Filiale – und älter als sein deutschsprachiges Pendant, die DSAG. Letztere wurde 1997 gegründet, weil die etablierten SAP-R/2-Nutzervereine das Nachfolgeprodukt SAP R/3 links liegen ließen.
Dem ehemaligen DSAG-Vorsitzenden Alfons Wahlers hingegen kann man Desinteresse an neuen Themen sicher nicht vorwerfen. Wahlers weiß, dass sich die Anwender mit technischen und betriebswirtschaftlichen Innovationen auseinandersetzen müssen, um ihre Wettbewerbskraft zu erhalten – und mit der SAP auf Augenhöhe zu verhandeln.
Acht Verbände, eine Stimme
Ist sein Gastauftritt auf der USF-Jahrestagung Mitte Oktober in Reims demnach ein Hinweis auf die Bildung einer deutsch-französischen Achse in der SAP-Welt? Das dann doch nicht: Versuche nationaler Clubs, im Tagesgeschäft zusammenzuarbeiten, scheiterten bislang an Sprachbarrieren und unterschiedlichen Prioritäten. Deswegen beschränkt sich der bilaterale Austausch auf die Strukturen und Arbeitsprozesse der beiden Verbände.
In seinem Vortrag wirbt Wahlers für das in Gründung befindliche SAP User Group Executive Network (SUGEN), das sich aus den Vorständen von zunächst acht der weltweit 36 Anwenderclubs zusammensetzen wird. Das Netzwerk will strategisch wichtige Themen gegenüber der SAP „mit einer Stimme“ vertreten.
Der bisherige USF-Präsident Didier Gamain bestätigt die Teilname seines Clubs an der konstituierenden Sitzung am 4. und 5. Dezember in Boston, auf der auch der SUGEN-Vorsitzende gewählt wird. Eines der ersten Anliegen des Dachverbands ist laut Wahlers die Vereinfachung der SAP-Preisliste.
SAP ERP im Fokus
Und wie lauten beiderseits des Rheins die heißesten Themen? Wo überschneiden, wo unterscheiden sich die Interessen? Sowohl bei der DSAG als auch bei den Utilisateurs steht die Migration auf SAP ERP weit oben auf der Agenda. Zum Umstieg motivieren die Plattform, die sich bis 2012 nicht verändern wird, sowie die Möglichkeit, erste SOA-Projekte anzugehen.
Allerdings sind solche technischen Umstellungen bei gleichbleibender Funktionalität den Chefetagen schwer zu vermitteln – zumal es sich dem Budget und der Dauer nach um „ausgewachsene“ Projekte handelt. In Deutschland, wo die Migrationsvorhaben weiter gediehen sind als in Frankreich, steigt deshalb der Druck auf die IT-Verantwortlichen, das aktuelle SAP-ERP-Spektrum stärker zu nutzen. Im Vordergrund stehen dabei das neue Hauptbuch, die Sarbanes-Oxley-Konformität, Portale, CRM und SCM.
Während bereits gut 30 Prozent der DSAG-Mitglieder auf SAP ERP 6.0 umgestiegen sind (oder sich in einer fortgeschrittenen Projektphase befinden) und über 90 Prozent einen entsprechenden Lizenzvertrag unterschrieben haben, sorgt sich die USF um die Lage in Frankreich. Dort sind in mehr als 60 Prozent der Fälle das SAP-R/3-Release 4.6 C oder ältere Versionen im Einsatz. In den nächsten beiden Jahren stehen bei rund 1.200 französischen Firmen Versionswechsel an, was zu Engpässen bei qualifizierten Beratern und Systemhäusern führen könnte (siehe Artikel „SAP-ERP-Migrationsstudie in Frankreich“).
SOA: Es geht voran
Stärker als ihre linksrheinischen Kollegen befassen sich die deutschsprachigen Anwendervertreter mit den Möglichkeiten der serviceorientierten Systemarchitektur. So wirkt die DSAG in den SAP-Arbeitsgruppen zur Entwicklung so genannter „Enterprise Services Bundles“ mit. Dabei handelt es sich um Webservices für Querschnittprozesse, deren Schnittstellen und Semantik besonders sorgfältiger Abstimmung bedürfen.
Zu den im SOA-Kontext nötigen „neuen Kompetenzen“ merkt Wahlers an: „Der Übergang vom Modulverständnis zum ganzheitlichen Prozessdenken muss sowohl auf der Anwenderseite als auch bei den Beratungs- und Integrationspartnern noch vollzogen werden“, und bedauert „den Mangel an geeigneten Methoden und Werkzeugen“. Hier Abhilfe zu schaffen, war einer der Beweggründe für die DSAG, bei der Gründung der SAP-Partnerorganisation IA4SP (International Association for SAP Partners) Geburtshilfe zu leisten. Mit ihr gibt es künftig auch auf Seiten der SAP-Partner eine Anlaufstelle, mit der die Anwender Themen von gemeinsamem Interesse besprechen können.
Zumindest im deutschen Sprachraum scheint das Interesse an SOA-Projekten stark anzuziehen: Hatten 2006 bei einer Online-Umfrage der DSAG erst fünf Prozent der Teilnehmer solche Projekte gemeldet, so waren es diesmal schon dreizehn. Immerhin 47 Prozent fühlen sich über die Enterprise SOA zufriedenstellend informiert.
Die Erhebung belegt aber auch, dass sich der betriebswirtschaftliche Nutzen der Enterprise SOA einem Großteil der Anwender noch zu wenig erschließt, um sie zum Umstieg zu motivieren. Zwar experimentieren etwa 70 Prozent der DSAG-Mitglieder mit der Integration von Webservices in die eigenen Informationssysteme, doch handelt es sich dabei aus ERP-Sicht um sekundäre Anwendungen wie Google Maps. Wissensvermittlung und Aufklärung über Enterprise SOA müssen laut Wahlers weiter intensiviert und um nachvollziehbare und überzeugende Praxisbeispiele angereichert werden.
Zielgruppe Mittelstand
DSAG wie USF gehen seit einiger Zeit stärker auf den Mittelstand zu und haben einschlägige Arbeitsgruppen gegründet. Bei SAP Business ByDesign hat die deutsche Anwendergruppe die Nase vorn: Zum einen blieb sie dank ihrer Nähe zur SAP schon in der Entwicklungsphase stets auf dem Laufenden. Zum anderen sammeln Mittelständler aus dem deutschen Sprachraum bereits seit einem Jahr Erfahrungen mit dem Produkt, das in Frankreich erst Mitte Oktober 2007 ausgeliefert wurde.
Den Anwendern der neuen Software widmet die DSAG einen eigenen Arbeitskreis mit separater Mitgliedschaft. Die DSAG wird exklusiv die deutschsprachige Online-Community der SAP moderieren. Entspricht das der Politik des Herstellers, mit SAP Business ByDesign nur Neukunden anzusprechen? Wahlers verneint: „In Abstimmung mit Walldorf informieren wir alle unsere Mitglieder über die neue Lösung.“ Für die SAP-Strategie der Beschränkung auf Neukunden äußert er Verständnis, bezweifelt aber ihre Nachhaltigkeit. Spätestens in einem Jahr würden Großkunden darauf drängen, SAP Business ByDesign in Tochtergesellschaften einzusetzen, für die SAP Business One zu klein und SAP All-in-One zu aufwendig sei.
Heißt das, die Wirtschaft ist reif für „Software as a Service“? Gamain und Wahlers sehen noch bei vielen Unternehmen Vorbehalte, Geschäftsdaten außer Haus zu geben, sind aber zuversichtlich, dass sich SaaS in ein bis zwei Jahren großer Akzeptanz erfreuen wird. Das SaaS-Preismodell sei den Firmen noch neu. Beim Vergleich mit herkömmlichen Nutzungsmodellen dürfe man nicht nur die Lizenzgebühr und die Wartungskosten berücksichtigen, sondern müsse auch die Kosten des Regelbetriebs einbeziehen. Wahlers glaubt, dass sich dieses Modell deshalb auch langfristig rechnet, also nicht nur während der Amortisierung eines Lizenzkaufs.
Beide Ex-Präsidenten gehen davon aus, dass die SAP ihr Mittelstandsprogramm vereinfachen wird. „Drei Angebote sind zu viel, die Unterschiede schwer zu erkennen“, stimmen sie überein. SAP Business ByDesign erscheint ihnen als geeignete Basis einer Einheitslösung, wenn nicht des gesamten künftigen SOA-Portfolios der Walldorfer.
Und wie bewerten die beiden die Übernahme des BI-Anbieters Business Objects durch die SAP? Die Ankündigung zwei Tage vor Beginn des USF-Kongresses hat sie überrascht. Gamain und Wahlers versprechen sich aus der erwarteten engeren Produktintegration Vorteile, auch wenn der Franzose die fortschreitende Konzentration auf dem Softwaremarkt sowie den damit einhergehenden Verlust an Vielfalt und Wettbewerb bedauert.
Einheit und Vielfalt werden an den beiden Rheinufern offenbar anders beurteilt. Doch was wäre Europa ohne seine kulturellen Unterschiede?