
Unternehmen, die Waren transportieren, wissen flexible Zeitfenster zu schätzen. Hier bietet der Güterverkehr auf der Schiene gegenüber der Straße einen besonderen Service. Straßentransporteure be- oder entladen ihre Lastwagen und Anhänger unmittelbar nach der Ankunft beim Kunden und gehen danach sofort wieder auf die Reise. Dagegen bieten Bahntransport-Unternehmen wie die Gütersparte der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB Cargo) ihren Kunden die Möglichkeit, sich mit dem Be- oder Entladen von Güterwagen nach deren Ankunft bis zu 24 Stunden Zeit zu lassen.
Oft bleiben Güterwagen sogar über diese Zeitspanne hinaus auf den Gleisen von Versendern oder Empfängern der Waren: Der Güterwaggon dient dem Unternehmen als Pufferlager, mit dem sich logistische Abläufe flexibler gestalten lassen. Aus diesem Grund sind die Kunden bereit, für die zusätzlich beanspruchte Zeit ein Wagenstandgeld zu bezahlen.
Bei der SBB Cargo in Fribourg bearbeitet das Kundenservice-Center jährlich bis zu 6.000 Rechnungen zu Wagenstandgeld – bei ungefähr 5.000 Wagenzustellungen pro Tag. Die Mitarbeiter stehen im operativen Tagesgeschäft permanent als Ansprechpartner zur Verfügung. Sie wickeln Transport- und Serviceaufträge im Binnen- und internationalen Verkehr ab, erfassen Verträge und stellen die erbrachten Leistungen in Rechnung.
Dabei müssen die Mitarbeiter nicht nur die standgeldpflichtige Zeit berücksichtigen. Spezielle Kundenvereinbarungen, besondere Waggontypen oder saisonal bedingte Wagenknappheit, etwa von Kühlwaggons im Sommer, führen zu komplexen Preisanpassungen, die in der Rechnung abzubilden sind.
Harmonisieren und integrieren
Ursprünglich rechnete die SBB Cargo das Wagenstandgeld mit einer Logistiklösung ab. Mitte 2006 beschloss die SBB Cargo, hierfür von der alten Applikation auf die Anwendung SAP R/3 zu wechseln. Damit sollte das Wagenstandgeldmanagement in SAP R/3 als der bestehenden strategischen ERP-Plattform der SBB integriert werden.
Das Ziel war, das „Produkt“ Wagenvermietung so weit wie möglich mit Standardprozessen aus SAP R/3 abzubilden und in den Datenfluss der SBB einzubinden – für mehr Transparenz bei den Abrechnungsprozessen. Die SBB wollte zudem die angestrebte Harmonisierung ihrer heterogenen IT-Landschaft weiter vorantreiben und die IT-Betriebskosten reduzieren.
Das Migrationsprojekt begann im August 2006. Die SBB Informatik setzte den Prozess für das Wagenstandgeld mit Hilfe der Managementberatung ESPRiT Consulting in SAP R/3 um. Der Erfolgsdruck war hoch: Mehrere Anläufe, die Wagenstandgeldverrechnung auf ein neues System zu portieren, waren in der Vergangenheit bereits fehlgeschlagen. Gründe waren unter anderem die hohe Komplexität der Verrechnungsregeln und damit verbundene hohe Realisierungskosten.
Die Migration auf SAP R/3 wurde durch sorgfältige Projektplanung strukturiert. Mit individuellen SAP-Schulungen sowohl in deutscher wie auch in französischer Sprache und einem professionellen Change-Management wurden dazu die Anwender intensiv auf die neue Lösung vorbereitet. Das große Engagement einiger Schlüsselanwender aus dem Kundenservice-Center trug maßgeblich zum Erfolg bei. Obwohl das operative Geschäft sie zu 100 Prozent auslastete und nach wie vor absolute Priorität hatte, bewältigten diese Mitarbeiter zusätzlich den Arbeitsaufwand für das Projekt.
Absicherung durch Prototypen
Das Projektteam erarbeitete zunächst ein Konzept, um die Prozesse aus der bisherigen Applikation in SAP R/3 zu übertragen. Dabei stellte sich heraus, dass die Preisfindung für das Wagenstandgeld in der SAP-Standardsoftware aufgrund der vielen verschiedenen Einflussfaktoren die größte Herausforderung war. Deshalb wurde mit einem eigens entwickelten Prototyp überprüft, dass sich die Preisfindung in SAP R/3 abbilden ließ – inklusive der Definition und Pflege der komplexen Preiskonditionen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt war die Stammdatenübernahme aus der bisherigen Applikation in SAP R/3 – wiederum mit besonderem Augenmerk auf den bestehenden Preiskonditionen. Mehrfach wurden Stammdaten übungshalber aus dem Altsystem in die SAP-Anwendung übernommen. Bei der tatsächlichen Migration auf SAP R/3 Anfang August 2007 funktionierte die Datenübertragung automatisiert und reibungslos.
Direkte Preiskalkulation
Heute greifen rund 35 Angestellte im Kundenservice Center von SBB Cargo auf die SAP-Anwendung zu. Acht Monate nach dem Produktivstart profitiert das Unternehmen erheblich von den verbesserten Arbeitsabläufen der Mitarbeiter.
Der Abrechnungsprozess hat sich mit SAP R/3 grundlegend verändert. In der alten Applikation wurden die Aufträge im Rahmen einer „Dossierverwaltung“ abgerechnet. In den Dossiers wurden Informationen zu Kunden, Wagentypen und effektiven Standzeiten gesammelt. Anhand dieser Datengrundlage ermittelten die Mitarbeiter dann monatlich die genauen Preise und Beträge für die einzelnen Kunden, und erstellten anschließend die Rechnungen. In SAP R/3 gibt es keine Dossiers mehr – jeder Fall von Wagenstandgeld erzeugt unmittelbar einen Kundenauftrag, der direkt mit einem Preis versehen wird.
Dies bedeutet, dass die SAP-Anwendung den Preis bereits beim Erzeugen der Aufträge kalkuliert. „Dadurch haben wir größere Transparenz bei den Beträgen, die später in die monatliche Fakturierung einfließen“, sagt Roland Egger vom Kundenservice Center. Darüber hinaus können Egger und seine Kollegen zwischen provisorischen und definitiven Fakturierungen unterscheiden. Für Kunden, denen SBB Cargo Sonderkonditionen beim Wagenstandgeld gewährt, werden Rechnungen zunächst provisorisch erstellt, vor dem Versand noch einmal überprüft und erst anschließend definitiv festgelegt.
Weniger Reklamationen
Mit der neuen Anwendung hat SBB Cargo außerdem die Rechnungsprüfung verbessert und Rechnungskorrekturen vereinfacht. Dank des vollständig in SAP R/3 integrierten Abrechnungsprozesses sind dafür weniger Arbeitsschritte notwendig. Gleichzeitig gibt es weniger Reklamationen. Standzeitdaten, die vielfach auf Grund von Kundenrücksprachen nachträglich korrigiert werden, lassen sich nun einfacher bearbeiten. In SAP R/3 haben die Anwender alle Daten und Änderungen zur Rechnungsstellung im Blick.
Auch das Layout der Rechnungen ist dank SAP R/3 übersichtlicher geworden. „Die Lösung wertet damit auch das Erscheinungsbild von SBB Cargo gegenüber unseren Kunden auf“, sagt Egger. Natürlich unterstützt die SAP-Anwendung auch die mehrsprachige Rechnungsstellung – ein Muss für Unternehmen gerade in der Schweiz. Belege in Deutsch, Französisch und Italienisch sind hier an der Tagesordnung. Die Bewertung der SAP-Anwendung ist also durchweg positiv. Roland Egger ist überzeugt: „Mit SAP R/3 haben wir die Prozesse rund um das Wagenstandgeld stark verbessert.“
Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) sind das größte Transportunternehmen der Schweiz. Der Unternehmensbereich SBB Cargo mit rund 4.400 Mitarbeitern ist führend im Schienengüterverkehr. SBB Cargo bietet Kunden durchgängige Leistungen und übernimmt die ungeteilte Verantwortung auf der gesamten Transportstrecke. Im vergangenen Jahr realisierte SBB Cargo eine Verkehrsleitung von 12,34 Milliarden Nettotonnen-Kilometer und transportierte insgesamt 56 Millionen Nettotonnen.
Die SBB Informatik al s interne Generalunternehmerin für alle SBB-IT-Dienstleistungen unterstützt die Geschäfts- und Zentralbereiche sowie externe Kunden in der Umsetzung ihrer Business-Strategien. Sie legt die IT-Landschaft der SBB fest und sorgt für eine hohe Verfügbarkeit der Systeme. Zahlreiche Geschäftsanwendungen werden selbst entwickelt, von der technischen Projektleitung bis zur Programmierung im eigenen Software-Center. Der Bereich ERP (Enterprise Ressource Planning) mit einem zertifizierten SAP Customer Competence Center hat in den letzten Jahren im Rahmen der konzernweiten Systemkonsolidierungen enorm an Bedeutung gewonnen und unterstützt die SBB mit rund 180 Mitarbeitern.