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Nach einer Studie von Russell Reynolds Associates über die Digitalkompetenz von Aufsichtsräten in Top-Unternehmen gehört SAP neben der Deutschen Telekom zu den Vorreitern in Europa. Nachholbedarf haben besonders die Branchen Industrie und Finanzen.

Immer öfter erscheint neuerdings der Chief Digital Officer (CDO) auf der Wunschliste der Personalchefs in den Unternehmen. Bayer hat einen, die TUI, mit Jonathan Becher neuerdings auch SAP. Digitalkompetenz ist gefragt, die über vorhandenes IT-Knowhow hinaus geht. „Es gibt eine gewisse Beharrungstendenz der klassischen CIOs, bestehende Aufgaben weiter zu machen “, bemerkt Thomas Becker, Managing Director, der mit seinen Kollegen für Russell Reynolds Associates die „Digital Board Director“-Studie erstellt hat. Dabei geht es künftig weit mehr als heute um digitale Geschäftsmodelle, also darum, Unternehmensprozesse einen nach dem anderen zu digitalisieren. Die Konsequenz: Der CDO wird eine Parallelorganisation betreiben – „das Bild des CIOs wird es in einigen Jahren in der heutigen Form nicht mehr geben“, so Becker.

Digitaler Aufsichtsrat: Wie Russel Reynolds digitale Expertise definiert

Doch das ist nur eine Facette der durch die Digitalisierung ausgelösten „Disruption“ in fast allen Branchen. Sie zeigt eins: Nur wer den Weg in die Digitalisierung mit geht, wird letztlich auch in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Den Fingerzeig in die richtige Richtung sollte der Aufsichtsrat geben. Denn er hat die Funktion, als Kontrollgremium das operative Geschäft eines Unternehmens im Auge zu haben. Deren Kompetenz steht im Mittelpunkt der Studie, die untersucht, ob und wenn, wie viele „Digital Directors“ – also Aufsichtsräte mit nachgewiesener Digital-Expertise – es in den Unternehmen gibt. Entsprechende Aufsichtsräte haben – so die Kriterien von Russell Reynolds – entweder eine wichtige operative Rolle in einem digital geprägten Unternehmen, gestalten digitale Prozesse in einem traditionellen Unternehmen oder sie haben mindestens zwei Aufsichtsratsposten bei digital geprägten Unternehmen inne.

Digital Board Director Study von Russell Reynolds: Die Ergebnisse im Überblick

Mit der digitalen Kompetenz besonders in deutschen und europäischen Unternehmen ist es jedoch noch nicht weit her – das zeigen die Ergebnisse der Studie:

  1. So haben unter den DAX 30-Unternehmen lediglich zwei Unternehmen (SAP und die Deutsche Telekom) und damit 7 Prozent mindestens zwei digital versierte Aufsichtsräte in ihrem Aufsichtsgremium. Mehr als die Hälfte der Unternehmen (53 Prozent) jedoch hat keinen entsprechenden Vertreter, 40 Prozent immerhin einen Experten, der die Relevanz von digitalen Geschäftsprozessen beurteilen kann.
  2. Insgesamt sind aktuell neun der 206 DAX-Aufsichtsräte als „digital kompetent“ einzustufen. Drei von ihnen sind entweder aktuell bei SAP beschäftigt (SAP-Gründer Hasso Plattner) oder waren eine Zeit lang in Führungspositionen bei SAP wie Ex-Co-CEO Jim Hagemann Snabe sowie Ex-SAP-Chef Henning Kagermann. Zusammen besetzen sie aktuell die Hälfte der Digital-Aufsichtsratsposten in den DAX 30-Unternehmen.
  3. Der Vergleich der 300 weltweit größten Unternehmen zeigt folgendes Bild: Jedes zehnte Unternehmen verfügt wie SAP und die Deutsche Telekom über mindestens zwei digital versierte Aufsichtsräte. Etwas mehr als ein Drittel der Unternehmen hat einen Aufsichtsrat, der entsprechende Expertise mitbringt.
  4. Globale Vorreiter sind die Branchen Technologie, Handel und Gesundheit. Mindestens jedes Dritte Unternehmen verfügt über mindestens einen Digital-Experten im Aufsichtsrat, Technologie- und Handelsunternehmen sogar nicht selten über zwei. Der Finanzsektor mit 13 Prozent wie auch die Branche Industrie hinken mit nur 4 Prozent noch hinterher.
  5. Trotz dieser geringen Anteile zeigt die Entwicklung in den letzten Jahren, dass Digitalkompetenz mehr und mehr gefragt ist. Während zwischen 2010 und 2012 20 entsprechende Aufsichtsratsposten neu besetzt wurden, waren es in den vergangenen zwei Jahren schon fast doppelt so viele (39). Selbst die eher als zurückhaltend anzusehenden Branchen Industrie und Finanzen (zusammen mit der Gesundheitsbranche) verzeichnen einen Anstieg in Hinsicht auf neu ernannte Digital-Aufsichtsräte um 43 Prozent.
Aufsichtsräte in deutschen Unternehmen wenig international

Dieser Trend wird sich in den kommenden fünf Jahren verstärken, ist Thomas Becker überzeugt, der seit 18 Jahren für Russell Reynolds Top-Executive-Positionen in globalen Unternehmen besetzt. Er ist sich sicher, dass dann in jedem Aufsichtsrat zumindest eine Person sitzen wird, die digitale Geschäftsmodelle versteht und auch die operative Seite des Digitalgeschäfts abdecken kann. Und nicht nur das: Etwa jeder zweite dieser aufstrebenden Aufsichtsrat-Spezies – und damit 14 Prozent mehr als aktuell – wird Berufserfahrung bei den aktuellen Top-5-Digital-Unternehmen Apple, eBay, Google, Microsoft und Yahoo mitbringen. Tatsächlich ist es Becker ein Dorn im Auge, dass in den digitalen Aufsichtsräten in Deutschland mit Jim Hagemann Snabe nur ein Europäer und kein US-Amerikaner zu finden ist.

In den USA, das zeigt auch die Untersuchung, ist fast jedes vierte Unternehmen mit mindestens zwei Digital-Aufsichtsräten bestückt, sechsmal so viel wie in Europa und 12 Mal so viel wie in Asien. Klar ist für Personalberater Becker, der sich auf die Besetzung von Vorstands- und Aufsichtsratsposten spezialisiert hat, dass der Top-Kandidat für die neuen Digitalposten im Aufsichtsrat in deutsche Unternehmen im Idealfall nicht aus Europa kommt, möglichst global tickt, vielfältigen kulturellen Hintergrund mitbringt und zumindest eine Zeit lang im Silicon Valley gearbeitet hat.