Peter Langkafel verknüpft in seiner Arbeit die Sichtweise eines Mediziners mit dem Denken eines Kaufmanns und dem IT-Background eines SAP-Managers. Sein Buch beschäftigt sich mit der Frage, wie es um Big Data in der Medizin steht.
Als General Manager Public Sector and Healthcare MEE ist Peter Langkafel nicht nur bei SAP mit IT-Themen im Gesundheitswesen betraut, er engagiert sich auch als Vorsitzender im Berufsverband Medizinischer Informatiker (BVMI) Berlin / Brandenburg für IT-Themen im Gesundheitswesen. So bewegt er sich in seiner Arbeit immer direkt an der Schnittstelle zwischen Medizin, Gesundheitswirtschaft und Informationstechnologie.
Der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa) hat ihm für diese grenzüberschreitende Arbeit nun den SpiFa-Perspektivpreis verliehen. Der Preis wird alle zwei Jahre an herausragende Persönlichkeiten verliehen, die Perspektiven öffnen, um Arztpraxen fachübergreifend in den Versorgungsstrukturen zu stärken.
Als Herausgeber des Buches „Big Data in Medizin und Gesundheitswirtschaft“ hat er den deutschen Entwicklungsstand als Standardwerk zusammengefasst. Darüber hinaus setzt er sich dafür ein, dass Mediziner, Informatiker und Anwender aus Datenanalysen nützliche Anwendungen entwickeln.
Wie ergab sich Ihr Interesse an Big Data und Medizin?
Als IT-Manager bei SAP, Mediziner und Kaufmann verbinde ich medizinische und wirtschaftliche Fragestellungen mit IT-Lösungsansätzen. In der Gesundheitswirtschaft stellt sich die Frage, wie die existierenden Daten besser ausgewertet werden könnten. Im Jahr 2011 wurde mir in Potsdam SAP HANA vorgestellt. Mein Gedanke war: „Das ist ein Eine-Million-PS-Motor – aber wer braucht einen solchen für welchen Use Case?“
Daraus ist das Projekt „HANA Oncolyzer“ an der Charité, entstanden. Da ich dort früher gearbeitet habe, hatte ich gute Kontakte. In den Jahren 2012 und 2013 haben wir im Arbeitskreis e-health der BITKOM die verschiedenen Sichtweisen zu Big Data in der Medizin zusammengeführt. Erst 2013 gab es eine Anfrage an den Bundestag, um den Begriff grundsätzlich zu klären. Das Thema Big Data ist also noch relativ neu. Mich interessiert vor allem: Wo entsteht durch Big Data ein Mehrwert für den Patienten oder das Gesundheitsunternehmen? Wer hat Zugriff auf welche Daten? Ich persönlich benutze Big Data übrigens auch deshalb, weil dort „Big Brother“ mitschwingt – und dieses Thema sollten wir mit Begriffen wie „Smart Data“ nicht einfach wegreden.
Es scheint, dass Sie mit Ihrem Buch zu Big Data in der Medizin Pionierarbeit geleistet haben. Gab es denn vorher so ein Buch noch nicht?
Es gibt Bücher über Big Data – lesenswert ist zum Beispiel „Big Data – Die Revolution, die unser Leben verändern wird“ von Viktor Mayer-Schönberger. Aber das Buch von mir ist das erste deutschsprachige Buch zu dem Thema in der Medizin. Das Spannende ist ja: Digitale Daten wachsen im Gesundheitswesen teilweise exponentiell und Technologien stellen heute kaum ein Hindernis dar. Das 2003 abgeschlossene Humane Genome Projekt illustriert das ganz gut. Diese Analyse von genetischen Daten hat zehn Jahre gedauert und rund drei Milliarden Dollar gekostet, heute ist das in Tagen und für einige Tausend Dollar möglich.
„Big Data nicht allein der IT überlassen“
Sie bezeichnen Big Data auch als das Gehirn eines Unternehmens oder einer Organisation. Können Sie dies erläutern?
Unser Gehirn oder das zentrales Nervensystem erfasst, filtert und verarbeitet Informationen. Die relevanten Daten werden aggregiert und vernetzt und daraus entstehen häufig Handlungen. Die Handlungen entstehen entweder unterbewusst wie zum Beispiel beim Regulieren des Atmens bei Anstrengungen, oder auch bewusst, wie beim Finden einer Joggingstrecke.
Ich denke hier wird klar, wie nah die Metapher an Big Data und IT-Systemen ist. Daten sind dabei ein wichtiger – manche sagen der wichtigste – Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Mit Augenzwinkern sage ich manchmal, deshalb sollte man Big Data nicht allein der IT überlassen.
Stehen wir mit Big Data ganz am Anfang einer neuen Epoche im Gesundheitswesen?
Ich bin davon überzeugt, dass die Verarbeitung von alten und neuen digitalen Daten in der Medizin neue relevante Lösungen bieten wird. Sie wird so einen maßgeblichen Beitrag zur Patientenversorgung leisten. Denken wir nur mal an den ambulanten Bereich der niedergelassenen Mediziner in Deutschland: Heute haben wir praktisch keine Chance zu wissen, ob der Hausarzt oder der niedergelassene Neurologe Medizin anbieten, die den aktuellen Leitlinien wirklich entspricht. Die Daten sind zwar da, aber sie werden nicht ausgewertet und Patienten zu Verfügung gestellt. Dies ist nur ein Beispiel für einen Bereich, bei dem – der Wunsch und der Wille der Beteiligten vorausgesetzt – schnell ein großer Mehrwert geschaffen werden könnte.
Welche Parteien spielen denn eine Rolle beim Thema Big Data in der Medizin?
Es gibt eine ganze Reihe von Organisationen und Unternehmen, die eine Rolle bei Big Data spielen. Neben Daten, die im Krankenhaus entstehen, sind hier Daten von Krankenkassen, Versicherungen, öffentlichen und Forschungseinrichtungen sowie Life-Science- und Pharmaunternehmen zu sehen. Aber auch Patienten selbst beginnen, zum Beispiel über Apps oder Sensoren, digitale Gesundheitsdaten über sich zu sammeln.
Ein sehr spannender Bereich sind auch Faktoren, die wir unmittelbar gar nicht mit Gesundheit verbinden. Dazu gehört zum Beispiel unser Einkaufsverhalten, das unsere Gesundheit maßgeblich beeinflusst. Das heißt, Gesundheit wird im Supermarkt gemacht und ist damit auch ein Markt für Retailer. Es gibt Postunternehmen, die sich überlegen, ob der Postbote Services wie die Medikamentengabe übernehmen könnte und auch Telco-Unternehmen entdecken gerade den Gesundheitsmarkt für sich.
Viele offene Fragen zum Datenschutz
Was sind die größten Herausforderungen für Big Data in der Medizin?
Ich glaube, wir sprechen noch zu viel über Technologien und zu wenig über Szenarien. Hier müssen wir alle noch Hausarbeiten machen. Wo und wie bringt ein Werkzeug wem welchen Mehrwert? Das ist die Frage, die nicht die IT, sondern die Geschäftsführung interessiert.
Auch zum Thema Datenschutz gibt es noch jede Menge offener Fragen, die geklärt werden müssen: Wem gehören Patientendaten? Wer darf wann und wie darauf zugreifen – und wo liegen diese Daten? Selbstverständlich wollen wir, dass unsere persönlichsten Daten geschützt werden. Aber neulich fragte ich einen Datenschützer: Wer schützt eigentlich die Daten davor, dass sie ungenutzt bleiben? Ist es nicht auch ein Problem, existierende Daten nicht auszuwerten und sie brach liegen zu lassen? Wir haben einen Schatz an Daten – aber diese liegen versprengt und verteilt in verschiedenen Silos. Wie wollen wir die nutzen?
Diese Herausforderungen liegen vor uns und viele Fragen müssen geklärt werden. Wir sind mit SAP von Anfang an dabei und es bleibt sicher weiterhin spannend.
Das Buch „Big Data in Medizin und Gesundheitswirtschaft – Diagnose, Therapie, Nebenwirkungen“ ist in englischer (e-book) und deutscher Sprache erschienen.
Weitere Informationen zum Thema Big Data und Gesundheitswesen:
• Informationen und Video zum HANA Oncolyzer
• Webseite Berufsverband Medizinischer Informatiker e.V. (BVMI)
• Diabetes vorbeugen mit App von SAP
• NCT: Die Medizin der Zukunft kommt aus Heidelberg
Umfrage zu Big Data in der Medizin
Bis Ende März 2015 führt der BVMI zusammen mit einem Studenten der Universität der Künste in Berlin eine Umfrage zu Big Data in Healthcare durch. Ziel der Umfrage ist es, die Relevanz und Potential von Big Data im deutschsprachigen Raum darzustellen.
Sie können hier mitmachen. (Umfrage: Externer Serviceprovider des BVMI)