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Oft ist es schwierig, einen Wandel der Unternehmenskultur herbeizuführen. Ein Umdenken in der Führungsriege und die sozialen Medien können bei der Veränderung unterstützen.

Immer, wenn ich mit Mitarbeitern über einen Wandel der Unternehmenskultur sprechen möchte, wird zunächst auf die Geschäftsleitung verwiesen. Es ist kein Zufall, dass die Geschäftsführung das Gleiche über die Mitarbeiter denkt: „Wir müssen den Mitarbeitern Veränderungen aufzwingen.” Zweifelsohne müssen Geschäftsführung und Mitarbeiter kooperieren, um einen Wandel der Unternehmenskultur anzustoßen.

Was wäre, wenn die Führungsetage wirklich die Absicht hätte, einen Wandel anzustoßen? Würden die Mitarbeiter es erkennen? Im Rahmen einer kürzlich veröffentlichen Studie der Personalberatung Korn Ferry wurden innerhalb der letzten15 Jahre 13.000 psychometrische Tests durchgeführt, um bei CEOs genauer hinzusehen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich die Denkweise vieler CEOs in den letzten 15 Jahren grundlegend verändert hat. So ist der Geschäftsführer von heute viel besser als frühere CEOs für die dynamische, hart umkämpfte Geschäftswelt gerüstet, in der sein Unternehmen bestehen muss. Er ist wissbegieriger und bereit, Probleme auf neue Art und Weise anzugehen. Außerdem kann er besser mit Unklarheiten umgehen und hat eine schnellere Auffassungsgabe.

Diskrepanzen überwinden

In einer Zeit, in der sich immer weniger CEOs Veränderungen widersetzen, ist es nicht mehr die oberste Führungsebene, die einem Wandel im Weg steht. Es herrscht vielmehr eine große Diskrepanz – eine Kluft, wenn man so will – zwischen dem, was sich in der Führungsriege abspielt und dem, was im Rest des Unternehmens passiert. Diese Kluft ist viel tiefer als vielleicht gedacht. Einer Studie des Beratungsunternehmens LRN zufolge fühlen sich mehr als 97 Prozent der befragten 36.000 Mitarbeiter einem autoritären oder zumindest hierarchischen, von Befehlen und Kontrolle geprägten Führungsstil ausgesetzt.

Der Managementexperte Steve Denning erklärt, die Gründe dafür seien tief in den Unternehmenszielen verwurzelt. „Sobald es sich ein Unternehmen zum Ziel setzt, seinen Aktienkurs und damit den Wert für Aktionäre zu steigern und damit beginnt, die Führungsriege entsprechend zu bezahlen, bleibt dieser kaum etwas anderes übrig, als einen autoritären Führungsstil zu etablieren“, erklärt er. „Denn zu schuften, damit Aktionäre und der Vorstand Gewinne erzielen, ist für Mitarbeiter nur wenig motivierend. Damit die Belegschaft sich trotzdem fügt, muss das Management sie im Schach halten.“

Eine Strategie für alle

Die Lösung könnte eine Entwicklung sein, die weltweit immer schneller fortschreitet und wahrscheinlich jeden von uns schon einmal auf die ein oder andere Weise beeinflusst hat.

So findet derzeit eine Machtverschiebung statt, die unsere Vorstellungskraft sprengt. Alte Machtstrukturen, die als unzugänglich und führungszentriert gelten und in denen die Kontrolle bei einigen wenigen liegt, weichen nach und nach neuen Machtstrukturen, in denen Entscheidungen von vielen Personen gleichberechtigt, gemeinsam und offen getroffen werden.

Neue Machtstrukturen machen sich in allen Bereichen bemerkbar. So werden politische Proteste und Bewegungen heute innerhalb kürzester Zeit im großen Stil organisiert. Beispiele hierfür sind die Occupy-Wall-Street-Bewegung, der Arabische Frühling und die Unruhen in derUS-amerikanischen Kleinstadt Ferguson. Aufstrebende Unternehmen setzen auf neue Machtstrukturen, um Traditionsbranchen auf den Kopf zu stellen und sich innerhalb weniger Monate Marktanteile zu sichern. Die Geschäftsmodelle von Facebook, Youtube, Uber, Airbnb und Etsy bauen auf der neuen Machtverteilung auf, die es jedem ermöglicht, aktiv an der Gestaltung von Inhalten, Waren oder Diensten mitzuwirken. Längst beschränkt sich der Zugang zum Markt nicht mehr auf einige wenige Unternehmen – so können heute nicht mehr nur internationale Konzerne mit umfangreichen Ressourcen ein globales Geschäft aufziehen.

Culture Hacking Wandel von unten nach oben

Die neuen Machtstrukturen geben Mitarbeitern eine Stimme, die es ihnen ermöglicht, direkten Einfluss zu nehmen. Dies war zuvor nahezu unmöglich: Wer einen Verantwortlichen ausmachen wollte, musste sich zunächst durch ein Labyrinth an Organigrammen und Gatekeepern kämpfen.

Erst kürzlich geschah dies auch bei IBM, einem Unternehmen mit 400.000 Mitarbeitern. Als IBM beschloss, seine Spesenrichtlinie zu ändern und kostenpflichtige Dienste zur Vermittlung von Fahrgemeinschaften wie Uber zu verbieten, entschloss sich der 26-jährige Global Business Consultant Max Black aus New York City, seine Meinung dazu kundzutun. Im internen sozialen Netzwerk von IBM veröffentlichte er einen Beitrag, in dem er dem Unternehmen vorwarf, heuchlerisch zu handeln. So würde IBM seinen Kunden zwar predigen, das Zeitalter der Mobilität sei angebrochen, selbst aber eines der besten Beispiele für mobile Innovation untersagen. Innerhalb weniger Stunden fand der Beitrag mehr als 1.200 Unterstützer aus dem ganzen Unternehmen. 16 Stunden später hob die Personalabteilung von IBM das Verbot auf.

Dabei handelt es sich nicht um Auflehnung oder Protest, sondernum sogenanntes „Culture Hacking“. Dabei verändern die Mitarbeiter und das Management die Unternehmenskultur gemeinsam von innen heraus, indem sie Probleme offen angehen und gemeinsam nach Lösungen suchen.

Von diesem offenen Dialog profitiert die Führungsriege weitaus mehr, als wenn sie sich allein auf Bürogerüchte oder klassische Mitarbeiterumfragen verlässt. Diese offenbaren nämlich nur selten die wahren Gründe für Spannungen. Auch die Personalchefin von IBM, Dieane Gherson, hat die Bedeutung der neuen Machtstrukturen verstanden. In Reaktion auf Blacks Beitrag verschickte sie keine unternehmensweite E-Mail und stieß auch keine Debatte an. Stattdessen verkündete sie die gute Nachricht, indem sie direkt auf den Beitrag antwortete. „Das ist das Tolle an sozialen Plattformen: Wir erhalten unmittelbares Feedback“, fügte sie hinzu.

Heute haben fortschrittliche Unternehmen die Bedeutung neuer Machtstrukturen erkannt und arbeiten daran, sie zu etablieren, um einen Wandel in der Unternehmenskultur anzustoßen. Firmen wie Google, Netflix, Zappos und Hubspot haben erkannt, dass ihre Geschäftsmodelle trotz ihrer Größe und innovativen Produkte einfach reproduzierbar sind. Was jedoch nicht nachgebildet werden kann, ist die Unternehmenskultur. Baut sie auf neuen Machtstrukturen auf, eröffnen sich viele Wege, das „Wir-gegen-die-anderen-Gefühl“ auf ein Minimum zu reduzieren und stattdessen gemeinsame Ziele und das „Wir“ in den Fokus zu rücken.

Wie die Studie von Korn Ferry und viele andere Quellen zeigen, wünschen sich die meisten CEOs und Mitarbeiter Veränderungen und sind auch darauf angewiesen. Doch klassische Top-down-Programme, Slogans oder Werbekampagnen reichen nicht aus, um einen Wandel anzustoßen. Nur ein Kompromiss zwischen alten und neuen Machtstrukturen kann den Weg für ein harmonisches Miteinander bereiten. So können wir das Misstrauen und die „Wir-gegen-die-anderen-Mentalität“ ablegen und Probleme offen angehen, um schnell eine geeignete Lösung zu finden.

Dieser Artikel wurde ursprünglich auf meinem Blog und auf SAP Business Trends veröffentlicht.

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