Datenplattform für die digitalisierte Landwirtschaft: SAP arbeitet an einem Konzept für eine herstellerunabhängige Plattform.
Josef Cordes schaut unruhig zum Himmel – zwar kann den Hünen mit dem kräftigen Händedruck und dem breiten emsländischen Akzent so schnell nichts erschüttern, aber an diesem kühlen, grauen Herbsttag Mitte Oktober geht es um viel. Heute beginnt die Maisernte und jede Minute ist kostbar.
Seit 6 Uhr morgens ist der Landwirt aus Haselünne schon auf den Beinen, trifft letzte Absprachen mit seinen sechs Mitarbeitern und den zahlreichen Helfern. Um 7 Uhr muss der erste Maishäcksler auf dem Feld sein. Jede Hand wird gebraucht, um den reifen Futtermais möglichst schnell einzubringen, bevor Regen aufkommt und der Boden zu nass für die tonnenschweren Maschinen wird. „In diesem Jahr hatten wir ein sehr kaltes Frühjahr und der Mais hat sich erst so spät entwickelt, dass er jetzt zur Erntezeit einfach nicht reif werden wollte. Zweimal haben wir schon den Erntetermin aufgeschoben. Die Termine immer wieder neu mit dem Lohnunternehmer zu koordinieren, ist stressig, denn die anderen Betriebe schieben ja auch auf“, erklärt Josef Cordes.
Der 46-Jährige hat 570 Holsteiner-Milchkühe und rund 500 Kälber und Jungvieh auf seinem weitläufigen Hof stehen. Bis zu 10.000 Liter Milch pro Jahr gibt solch eine Hochleistungs-Kuh. Das Futter für die Tiere, Mais und Gras, baut er auf rund 250 Hektar Anbaufläche selbst an.
Der Hof ist seit fast 300 Jahren im Besitz der Familie, doch Cordes baut nicht nur auf Tradition, sondern auch auf modernste Erkenntnisse der Landwirtschaft. Der riesige Boxenlaufstall mit Melkkarussell ist erst fünf Jahre alt, hier bewegen sich die Kühe frei in Kleingruppen, sortiert nach Milchleistung und körperlichem Zustand. Auf dem Dach des Stalls thront eine 480-KW-Photovoltaikanlage. Erst vor zwei Jahren baute Cordes gleich nebenan eine 250-KW-Biogasanlage. Sie vergärt Gülle und Mist aus dem Stall zu Biogas und gewinnt daraus Strom, der in das Netz des örtlichen Energieversorgers eingespeist wird.
Ständig tüftelt der ausgebildete Landwirtschaftsmeister an neuen Möglichkeiten, seine Betriebsabläufe effektiver und nachhaltiger zu gestalten, um auch in Zukunft im harten Wettbewerb bestehen zu können. Da kommt ihm das Projekt Digital Farming gerade recht. Krone, einer der führenden deutschen Hersteller für landwirtschaftliche Maschinen, arbeitet zusammen mit 15 weiteren Partnern gerade eine herstellerübergreifende Datenplattform für die Landwirtschaft aus.
SAP ist in die Konzeptphase involviert und bietet mit SAP Vehicle Insights, basierend auf der SAP HANA Cloud Plattform eine wesentliche Komponente.
Fundierte Entscheidungen treffen
Die Idee der Datenplattform für die Landwirtschaft ist, die Vielzahl von Daten, die auf landwirtschaftlichen Betrieben anfallen, hier zentral zu sammeln und zu analysieren. Die Landwirte können so besser fundierte Entscheidungen für die Bewirtschaftung ihres Hofes treffen, die Hersteller können ihnen passgenaue Services anbieten.
Digital Farming ist die Zukunft der Landwirtschaft, davon ist Stephan Brand, Products and Innovation Internet of Things, SAP SE, überzeugt: „Wir haben heute die Fähigkeit, Daten aus unterschiedlichsten Quellen zu integrieren. Das sind Betriebsdaten der landwirtschaftlichen Maschinen selbst, aber auch Wetterdaten und Sensorendaten direkt vom Feld. Am Ende steht der Landwirt mit seinen Anforderungen. Wir sehen aber auch viele Einsatzmöglichkeiten bei den Landmaschinenherstellern und bei den zuliefernden Firmen. Wir wollen die ganze Spanne bedienen von der Planung über die Bewirtschaftung bis hin zum Verkauf.“
Und was bedeutet Digital Farming für die Maisernte von Josef Cordes?
Eine Schwierigkeit liegt darin, die verschiedenen Fahrzeuge zu koordinieren. Ein Maishäcksler kann nicht alleine auf dem Feld arbeiten, sondern nur zusammen mit vielen Transportfahrzeugen, die das Erntegut im Pendelverkehr zum Silo auf dem Hof bringen. Die Fahrer von Häcksler und Transportfahrzeugen müssen aber wissen, zu welchem Feld sie wann fahren müssen. Bisher wurde das über mündliche Absprachen geregelt und der Landwirt musste jeden Fahrer auf dem Feld einweisen. Jan Horstmann, Bereichsleiter Elektronik und Produktinformatik, Krone GmbH: „Das wollen wir mit moderner Technologie und Datenmanagement überflüssig machen. Wir wollen die Kommunikation zwischen Landwirt und Lohnunternehmer digitalisieren.“
Der Fahrer arbeitet mit einem Tablet. Er bekommt seine Aufträge in Form von Feldkonturen und kurzen Textbeschreibungen über die Datendrehscheibe direkt aus der Anwendungssoftware des Landwirts. Der Fahrer nimmt den Auftrag an und lässt sich dann per GPS und Geofencing zum richtigen Feld führen. Wenn er die Fläche erreicht hat, wird der Auftrag automatisch gestartet und die Fläche abgeerntet. Während des Einsatzes werden alle Betriebsdaten der Maschine aufgezeichnet – etwa Kraftstoffverbrauch, Erntemenge und -qualität und für die spätere Abrechnung in die betriebswirtschaftliche Anwendungssoftware übertragen. Aber auch der Landwirt kann jederzeit und überall auf die Erntedaten zugreifen. Für Josef Cordes ein großer Vorteil: „Ich sehe während der Ernte genau, wo sich die Erntemaschinen befinden, welche Mengen sie schon geerntet haben, und kann dann in den Ernteverlauf in Echtzeit eingreifen.“
Präzise abgestimmte Fütterung
Moderne Maishäcksler können bereits während der Ernte den Stärke- und Trockengehalt des Mais bestimmen. Diese Werte zu kennen ist für den Landwirt wichtig, um seine Milchkühe präzise füttern zu können. Der Nährstoffgehalt des Mais variiert von Feld zu Feld, aber auch innerhalb eines Feldes, je nach Bodenqualität und -feuchtigkeit, Beschattung, Düngung, Wetter und angebauter Sorte. Mit Hilfe von Digital Farming kann der Landwirt die Daten direkt vom Feld über die Datenplattform analysieren – Reifezustand, Nähstoffgehalt und Ertrag in Abhängigkeit von der verwendeten Saatgutsorte – und so den Einsatz von Dünger und Wasser steuern. Die komplette Fläche wird eingeteilt in viele kleine Bereiche. Ziel ist es, individuell jeden einzelnen Bereich auf dem Feld anhand der Bodenverhältnisse und der erfassten Daten so zu bewirtschaften, dass er optimale Erträge bringt bei minimalem Einsatz von Ressourcen. So können Landwirte Geld sparen, die Umwelt schonen und trotzdem ihre Produktion steigern. Stephan Brand, sieht großes Potenzial in dieser Technologie: „Wir möchten eher mit der Pipette auf dem Feld agieren als mit dem Eimer. Je mehr Daten man vom Feld hat, desto präziser kann man planen, mit welchen Einsatzmitteln man dort operieren muss.“
Mancher Landwirt steht der neuen Technologie mit gemischten Gefühlen gegenüber. Bisher war Landwirtschaft ein Geschäft, das auf langjähriger Erfahrung, auf Fähigkeiten und Geschäftsgeheimnissen beruhte, die oft über viele Generationen in der Familie weitergegeben wurden. Was, wenn ihre wertvollen Erntedaten verkauft werden oder gar in die Hände der Konkurrenz gelangen?
Ein wichtiges Thema auch für das Herstellerkonsortium und die Lösungsanbieter, die Digital Farming gemeinsam konzipieren. Jan Horstmann (Krone) und Stephan Brand (SAP) erläutern: „Zunächst einmal ist Digital Farming keine proprietäre, sondern eine herstellerunabhängige, offene Plattform. Das kommt den Anforderungen der Landwirte etwa in Deutschland entgegen, die Maschinen von vielen verschiedenen Herstellern betreiben. Datenschutz und komplette Datenhoheit der Landwirte haben oberste Priorität. Unser Ziel ist, dass die Landwirte jederzeit eigenständig entscheiden können, welche ihrer Daten wo und zu welchem Zweck genutzt werden.“ In ca. einem Jahr soll Digital Farming auf den Markt kommen. Wenn im Jahr 2050, wie die Vereinten Nationen prognostizieren, etwa 2,6 Milliarden Menschen mehr als heute die Erde bevölkern, bleibt der Landwirtschaft nur die Chance, die Erträge zu steigern, um auf stetig schrumpfenden Anbauflächen auch in Zukunft die Ernährung der Weltbevölkerung sicher zu stellen.
Landwirt Josef Cordes muss aber gar nicht so weit nach vorne schauen. Bei stetig steigenden Preisen für Pachtland, Arbeitskräfte und Ressourcen ermöglicht ihm Digital Farming, seinen Hof auf intelligente Weise produktiver zu machen.
Weltweiter Trend
Digital Farming ist ein weltweiter Trend. In den USA und Europa arbeiten große Saatgut- und Düngerfirmen sowie Landmaschinenhersteller an mehreren sogenannten Agri-Hubs, Datenplattformen, die alle beteiligten Unternehmen über eine technische Infrastruktur miteinander vernetzen. Monsanto, Du Pont, John Deere und andere haben bereits erste Erfahrungen mit der Technologie gesammelt – mit vielversprechenden Ergebnissen. Teilnehmende Farmer berichten, dass sie im Zeitraum von zwei Jahren rund fünf Prozent mehr geerntet haben – ohne weitere Intervention.