Multinationale Unternehmen müssen ihre Unternehmensrichtlinien daran anpassen, dass Großbritannien bald nicht mehr Teil der EU ist – unter anderem in den Bereichen Personalwesen und Steuern. Doch der Brexit bietet sowohl Herausforderungen als auch Chancen.
Nach dem Brexit-Referendum vergangenen Monat in Großbritannien bemüht sich die Welt derzeit um Schadensbegrenzung. Premierminister David Cameron, der zum Pro-EU-Lager gehört, verkündete einen Tag nach der Abstimmung seinen Rücktritt. 52 Prozent der britischen Wähler sprachen sich im Referendum nach 40 Jahren Mitgliedschaft für einen Austritt aus der Europäischen Union (EU) aus und trafen damit eine Wahl, die nun ein noch größeres Machtvakuum nach sich zieht.
„Kaum zehn Tage nach der geschichtsträchtigen Entscheidung sind zwei Politiker, die maßgeblich zum Brexit-Abstimmungsergebnis beigetragen haben, einfach von der Bildfläche verschwunden“, schrieb die britische Tageszeitung The Guardian an dem Montag, als Nigel Farage seinen Parteivorsitz bei der rechtspopulistischen britischen Partei UKIP aufgab. Nicht mal eine Woche zuvor hatte bereits der frühere Londoner Bürgermeister und Brexit-Befürworter Boris Johnson auf eine Kandidatur für den Parteivorsitz der Konservativen und damit auf Camerons Nachfolge verzichtet.

Das heißt konkret, dass sich nach dem Votum Großbritanniens für einen Austritt aus der EU die beiden Gesichter der Pro-Brexit-Kampagne mit einem Schlag zurückgezogen haben. Und auch Cameron, der die Volksabstimmung initiierte und sich dann geschlagen geben musste, ist nun ebenfalls nicht mehr im Amt. Alle Drei überlassen es anderen, das Chaos zu beseitigen, das sie angerichtet haben. Die Sache hat jedoch auch etwas Gutes: Der Brexit kann eine große Chance sein – zumindest kurzfristig gesehen.
Die Krise des einen ist die Chance des anderen
Für Finanzvorstände könnten immer noch genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um das Wachstum ihres Unternehmens zu fördern. Denn die Bank of England kündigte niedrigere Kapitalanforderungen für britische Banken an. So soll ein Anreiz für die Kreditvergabe geschaffen und damit die Wirtschaft des Landes gestärkt werden.
Außerdem wird laut dem CFO Journal, einer Produktion des Wall Street Journal (WSJ), der Bedarf an Rechts-, Buchhaltungs- und Behördendiensten steigen, da Verträge neu verhandelt und Richtlinien wieder aufbereitet werden müssen.„Multinationale Unternehmen müssen ihre Unternehmensrichtlinien daran anpassen, dass Großbritannien bald nicht mehr Teil der EU ist“ – unter anderem in den Bereichen Personalwesen und Steuern. Finanzvorstände stehen jedoch zunächst vor anderen Herausforderungen.
„Viele Unternehmen werden beispielsweise am 30. Juni Rückschläge verzeichnen, wenn sie ihre Bücher für das zweite Quartal schließen und die Umsätze in Dollar anhand des dann aktuellen Wechselkurses umrechnen“, erläuterte das WSJ. „Unternehmen mit großen Bargeldbeständen im Ausland müssen nach der Talfahrt des britischen Pfunds und dem sinkenden Euro mit einem Wertverfall rechnen.“
Tatsächlich ist das britische Pfund gegenüber dem Dollar weiterhin auf dem tiefsten Stand seit 31 Jahren. Gleichzeitig fallen Aktienkurse, Anleiherendite und Ölpreise. Und das gilt nicht nur für Großbritannien.
Die Entwicklungen verfolgen mit Echtzeitlösung SAP Digital Boardroom
„Es besteht das Risiko, dass sich das negativ auf die allgemeine Verbraucherstimmung in Europa auswirkt, da dort die meisten Unternehmen ihren Sitz haben. Allerdings lassen sich der Zeitpunkt und das Ausmaß unmöglich vorhersagen“, sagte Thomas Tang, Finanzvorstand der internationalen Modemarke Esprit Holdings, vergangene Woche gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. „Wir haben die Entwicklungen in dieser wichtigen Angelegenheit selbstverständlich im Blick.“
Jedes Unternehmen, das ebenfalls über 80 Prozent seines Umsatzes in Europa erzielt, wird das Geschehen aufmerksam verfolgen. Und diese Firmen sind in der Lage, ihre weltweiten Geschäfte mit Echtzeit-Technologie, zum Beispiel mit der Lösung SAP Digital Boardroom, im Auge zu behalten und folgende Ziele zu erreichen:
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Wie geht es jetzt weiter?
Das Brexit-Votum für einen Austritt aus der EU war für die ING Group laut ihrem Finanzvorstand Patrick Flynn „ein Schock“. Er geht jedoch nicht davon aus, dass sich die Volksabstimmung negativ auf die Zahlen des in Amsterdam ansässigen Unternehmens auswirken wird. Denn die Bank kann einen wachsenden Kundenstamm und eine innovative digitale Strategie vorweisen.
„Es ist meiner Ansicht nach nun wichtig, die Angelegenheit über die Bühne zu bringen und zu verstehen, welchen Kurs die britische Regierung einschlagen und wie sie dabei vorgehen wird“, kommentierte Flynn vergangene Woche das Thema Brexit gegenüber dem Nachrichtensender CNBC.
Vielleicht haben wir bereits einen Hinweis bekommen, wie es für Großbritannien weitergehen wird. Die neue Premierministerin Theresa May sagte, ihre „große Aufgabe“ sei es nun, „ihre Partei und ihr Land zu einen“, „Großbritannien für alle attraktiv zu gestalten” und „den besten Vertrag beim Verlassen der EU auszuhandeln.“

Es könnte für Anbieter von Finanzdienstleistungen in Großbritannien relativ einfach sein, Verträge zu verhandeln. Laut Markus Ferber, Mitglied des Europäischen Parlaments und Experte für Marktregulierungen, müssen sie ihre Geschäfte weiterhin nach EU-Standards abwickeln.
„Ein Binnenmarkt wird erst möglich, wenn ein gleichwertiges Gesetz zum europäischen ausgearbeitet ist“, erklärte Ferber vergangene Woche in einem Interview zu den finanziellen Auswirkungen des Brexit. „Großbritannien wird letztendlich europäisches Recht anwenden müssen, das es nicht länger mitgestalten kann.“
Und das könnte eine Lehre für Cameron, Farage und Johnson sein: Ein Führungsvakuum birgt auch immer eine Chance für die Konkurrenz – selbst wenn das bedeutet, eine Suppe auszulöffeln, die man sich nicht selbst eingebrockt hat. Zumindest können sie diese Suppe nun so auslöffeln, wie Sie es für richtig halten.
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Dieser Artikel erschien ursprünglich auf SAP Business Trends. Folgen Sie dem Autor auf Twitter: @DKlobucher
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