Die Osiandersche und die Mayersche Buchhandlung hätten auf eine brancheninterne IT-Lösung für ihr künftiges Geschäft setzen können. Haben sie aber nicht. Die Gründe für den Einsatz von SAP S/4HANA und SAP Hybris.
Dass der Erfolg des Onlinebranchenprimus’ Amazon das Selbstbewusstsein von Hermann-Arndt Riethmüller keineswegs angekratzt hat, zeigte sich spätestens in der Weihnachtszeit. Zusammen mit der Mayerschen Buchhandlung entschied sich der Geschäftsführer der Osianderschen Buchhandlung, Hermann-Arndt Riethmüllers Sohn Christian, dafür, eBook-Reader der Marke Kindle von Amazon gegen jene von Tolino kostenfrei auszutauschen. Eine Kampfansage ganz im Sinne des Aufsichtsratsvorsitzenden des Tübinger Unternehmens Osiander, Hermann-Arndt Riethmüller. „Auf den Umsatz über den Verkauf von eBooks könnten wir getrost verzichten“, sagt der 72-jährige, „nicht aber auf die Kunden, die elektronische Bücher bei uns kaufen.“
E-Commerce im Buchhandel: die Wünsche einzelner Kunden bedienen
Aktuell macht Osiander nicht nur Jahr für Jahr fünf bis zehn Prozent mehr Umsatz, fast acht Prozent seines Umsatzes von knapp 70 Millionen Euro erwirtschaftet Osiander inzwischen online. „Respektabel“, nennt das Riethmüller. Doch eigentlich geht es ihm bei den Zukunftsthemen für die Entwicklung des Buchhandels um etwas ganz anderes – zwar auch um eBooks und das Online-Geschäft, aber ganz besonders darum, die Wünsche des einzelnen Kunden immer besser erfüllen zu können. Unabhängig davon, um welchen Verkaufskanal es geht.
Der Kunde möchte etwa in einer Filiale mit dem Smartphone sein Buch bezahlen und nicht in einer endlos langen Schlange stehen müssen, (in der Filiale wie online) Bücher vorgeschlagen bekommen, die ihn interessieren und beispielsweise ein Buch im Internet kaufen und im Laden abholen. „Er will vielleicht seiner Tante ein Buch aussuchen und direkt zu ihr schicken lassen, ohne dass die Rechnung dann auch an sie geht“, so Riethmüller – „ein nicht ganz so trivialer Prozess“. Klar ist: Die Digitalisierung schafft neue Szenarien und die technologischen Anforderungen an den Buchhändler steigen.
Osiandersche und Mayersche Buchhandlung: Synergien nutzen
Nicht zuletzt deswegen schmiedeten die Osiandersche und die Mayersche Buchhandlung Ende 2015 eine strategische Allianz – mit dem Ziel, „Kompetenzen zu erhöhen, Kräfte zu bündeln und Kostenpotenziale zu erkennen“, wie das Börsenblatt damals schrieb. Der Gedankenaustausch von Hartmut Falter und Christian Riethmüller, den Geschäftsführern der beiden Händlerketten mit insgesamt etwa hundert Filialen in Nordrhein-Westfalen und Süddeutschland, förderte mögliche Synergie- und Einspareffekte zu Tage etwa durch den gemeinsamen Erwerb von Softwarelizenzen oder ein zentrales Call Center. Vor allem aber wurde klar: Neue IT-Systeme sind nötig, um den Kunden künftig angemessen bedienen zu können.
Denn aufgrund diverser Zukäufe von Buchhändlern gab es in beiden Unternehmen eine Mischung von vielen unterschiedlichen Systemen. „Es entstand ein enormer Aufwand, Schnittstellen zu schaffen“, sagt Hermann-Arndt Riethmüller, der vor 37 Jahren die IT bei Osiander mit einführte und sogar selbst programmierte. „Wir waren 1980 Pioniere in Sachen IT“, sagt Riethmüller, der als Geschäftsführer zum 400-jährigen Jubiläum des Unternehmens im Jahr 1996 den ersten Webshop launchte und dessen Neuauflage im Jahr 2000 bis heute im Einsatz ist.
Doch hatte die Systemlandschaft ein Manko: Das Rechnungswesen und die Warenwirtschaft waren nicht miteinander verbunden. „Wir haben uns vor allem um die Warenwirtschaft und den Webshop gekümmert“, gibt Riethmüller zu. Sowohl ein System, mit dem sich die Beziehungen zum Kunden pflegen ließ (CRM), als auch für das Controlling fehlte.
Greenfield-Ansatz für SAP S/4HANA: nur Kunden- und Stammdaten mitnehmen
Künftig sollen die bestehenden Systeme komplett durch die neue Business Suite von SAP, SAP S/4HANA und SAP Hybris ersetzt werden. „Nur die Kunden- und Stammdaten werden mitgenommen – wir fangen von vorne an und setzen nicht auf bestehenden Systemen auf“, erläutert Riethmüller den radikalen Schnitt und nicht zuletzt die Trennung von „seiner“ Warenwirtschaft. Dass die Entscheidung auf SAP fiel, war lange nicht abzusehen. „Es gibt zwei, drei Systeme im Buchhandel, die wir hätten nutzen können und waren auch schon recht weit in den Verhandlungen, sind dann aber auf SAP gestoßen“, so Riethmüller, dem schnell klar wurde, dass es hier um eine grundsätzliche Entscheidung ging – für den bequemen oder einen neuen, visionären Weg.
Zudem wird es auch erstmals nach der strategischen Allianz ein gemeinsamer Weg der Osianderschen und Mayerschen Buchhandlung sein. Deshalb treffen sich heute bereits regelmäßig jeweils zwei Mitarbeiter des jeweiligen Unternehmens in Arbeitskreisen für ERP, E-Commerce und CRM. „So unterschiedlich die beiden Unternehmen auch sind: Die Erkenntnisse von beiden fließen in das spätere Produkt ein“, so Riethmüller, der die Vorstellung hat, „das mächtige System von SAP“ so zusammenzuschneiden, dass der Mitarbeiter den „Rattenschwanz an Prozessen“ gar nicht mitbekommt, die die Software erledigt. „Ist ein Buch nicht da und muss es bestellt und nach Hause geliefert werden, sollte der Prozess in 30 Sekunden abgeschlossen sein“, so Riethmüllers Erwartung.
Implementierung SAP S/4HANA: Blue Print entsteht gerade
Aktuell entsteht mit Unterstützung des SAP-Partners Itelligence ein so genannter Blue Print, ein Pflichtenheft, in dem definiert wird, was das künftige System leisten soll. Klar ist: Zunächst sollen das Rechnungswesen, Controlling und das Personalmanagement, dann das ERP und SAP Hybris eingeführt werden. „Es ist ein Pionierprojekt für den Buchhandel“, ist sich Riethmüller sicher, „und das will gut durchdacht sein.“ Derweil warten die Tübinger – aktuell noch ohne digitale Hightech – immer wieder mit innovativen Ideen auf, damit ihre Kunden sehr schnell bequem an ihre Bücher kommen. Sofern sie vor zehn Uhr morgens etwa in Heilbronn, Stuttgart oder Reutlingen ein Buch bestellen, bringt der Fahrradkurier ihnen das Buch noch im Laufe des Tages direkt vor die Haustür. „Dagegen sieht selbst eine Drohne von Amazon schlecht aus“, ist Riethmüller überzeugt.
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