Lernende Maschinen, autonome Agenten und Engineer-to-Order-Prozesse mit 3-D-Druck bereichern in diesem Jahr die Open Integrated Factory von SAP auf der Hannover Messe Industrie 2017.
Weg von der Massenfertigung hin zu immer kleineren Mengen, zur individualisierten und immer autonomeren Produktion: Das sind die Ziele der Open Integrated Factory, die SAP auf der Hannover Messe Industrie in einem Showcase zeigt. „Der Kunde konfiguriert das Produkt zu Hause und die Prozesse sind voll integriert in die Produktionsprozesse, so dass niemand mehr im Nachhinein etwas eintippen muss“, benennt Ralf Lehmann die Anforderungen von SAP. „Es gibt keine Bruchstellen mehr“, beschreibt der Senior Director aus dem Solution Management Digital Manufacturing den „Flow“ in der Fertigung.
IoT: Ein Ding allein schafft noch keine Wertschöpfung
Die besondere Kunst liegt darin, das Internet of Things (IoT) nicht nur aus der Sicht der Massendatenanalyse zu sehen, sondern mit den betriebswirtschaftlichen Prozessen zu verknüpfen. „Es reicht nicht, dass ein Sensor mit dem Netzwerk spricht“, erläutert Rüdiger Fritz. IoT wird erst dann wertvoll, wenn Aktionen aus den gemessenen Daten resultieren: „Es geht nicht um die Frage, wie man einzelne Automatisierungsinseln zusammenfasst, sondern darum, wie aus den Informationen Wertschöpfung entsteht – eine Maschine gesteuert, geregelt oder die Produktion optimiert wird“, sagt der Director Product Management SAP Plant Connectivity Fritz.
Kommunikation zwischen Dingen und IT: 3 Muster
Die Welt der Werkshalle geht über die Welt der Dinge hinaus. Entsprechend wichtig ist die Kommunikation, der Dinge untereinander, der Maschinen und der Abläufe. Drei Kommunikationsmuster identifiziert SAP-Experte Fritz:
1. Benachrichtigung: Eine Maschine oder Komponente gibt Informationen an eine Anwendung in der Cloud.
2. Abfrage: Die Anwendung in der Cloud benötigt Informationen und erfragt konkret, wie es dem „Ding“ geht, ob es zuverlässig funktioniert oder Handlungsbedarf besteht.
3. Reaktion: Ein Ereignis passiert, für das eine schnelle (möglichst autonome) Lösung nötig ist. Beispielsweise ist ein Warenträger leer, der einen neuen Auftrag einfordert. In Rückkopplung mit dem Auftragseingang bekommt der Warenträger eine neue Aufgabe zugewiesen – ohne menschliches Eingreifen. Das Kommando erteilt in diesem Fall die „SAP-Schicht“, die mit autonomen Einheiten wie dem Warenträger „spricht“. „Wir zerlegen die Anlage in einzelne Dienstleistungskomponenten und orchestrieren dann diese möglichen Dienste“, beschreibt Fritz das Vorgehen.
3-D-Druck, maschinelles Lernen, autonome Agenten: Die drei Innovationen
Dieser Orchestrierungsansatz erlaubt es auch, neue Technologien flexibler einzubinden – etwa den 3-D-Druck in die End-to-End-Prozesse einzubetten, mit Hilfe des maschinellen Lernens qualitative Probleme in der Produktion zu erkennen und darauf zu reagieren, oder aber, dass autonome Agenten eigenmächtig Entscheidungen treffen:
1. Engineer-to-Order mit 3-D-Druck
Der End-to-End-Prozess von der Bestellung des Kunden bis zur Auslieferung des Produktes kann unterbrochen werden, um etwa den individuellen Wünschen eines Kunden gerecht zu werden. Für bauliche Veränderungen am Produkt ist ein Zwischenstopp am CAD-Arbeitsplatz nötig. Man spricht hier vom Engineer-to-Order-Prozess. Besonderheit hier: Die Daten aus dem Designprogramm werden nicht nur in STL-Dateien verwandelt, die ein 3-D-Drucker verarbeiten kann. Der 3-D-Druck wird als „additives Produktionsverfahren“ in die End-to-End-Prozesskette aufgenommen. „Es gibt keine Entkopplung“, betont SAP-Experte Lehmann. Von der Urzeichnung bis zur Fertigung wird der Prozess bzw. die Belegkette nicht mehr unterbrochen.
2. Maschinelles Lernen
Besonders im Qualitätsmanagement ist maschinelles Lernen hilfreich. Per Analyse der Sensordaten aus dem Prozess lassen sich Muster erkennen, die immer dann auftreten, wenn später ein Qualitätsmangel festgestellt wurde. Gehen den Rückläufern beispielsweise starke Vibrationen voraus, ist es nun möglich, bei Erkennen des Musters mitten in der Produktion einen Roboter gar nicht erst zum Abholen des Produktes loszuschicken, sondern das neu gefertigte Teil direkt auszusortieren. „Vibrationsmuster und Produktcharakteristika lassen sich miteinander kombinieren“, so Lehmann. Ob bei der Wahl der geeigneten „Rezeptur der Schraubenvoreinstellungen“ hinsichtlich des Drehmoments für Schrauben oder dem Wiegen des Produktes in der Schleuse: Maschinelles Lernen hilft, Qualitätsmängel rechtzeitig zu erkennen.
3. Autonome Agenten
Angenommen, bei einem Produkt ist eine manuelle Nacharbeit nötig und das ist im Arbeitsprozess auch so vorgesehen. Dann hat bisher die SAP-Software, das SAP Manufacturing Execution System oder das SAP ERP, die Entscheidung darüber getroffen, wo diese Nacharbeiten stattfinden sollen. Künftig sind die „Ressourcen“ nicht mehr exakt festgelegt, denn ein autonomer Agent übernimmt diesen Auftrag. Im Showcase ist das ein chipkartengroßer Einplatinen-Computer, ein Raspberry Pi. Er verhandelt nun mit den Ressourcen, trifft mit ihnen eine Entscheidung, wohin es gehen soll und teilt das dem „Mutterschiff“ mit, wie Experte Fritz die SAP-Software nennt: „Über EDGE-Processing lagern wir Einzelentscheidungen aus und entlasten dadurch die Cloud, die lediglich die grobe Richtung vorgibt. Die Prozesse werden dynamischer und flexibler“ – ein erster Schritt in Richtung Schwarmintelligenz im Produktionsprozess.
Das Produkt der Open Integrated Factory: Der SAP IoT Simulator
Heraus aus dem recht autonomen Fertigungsprozess kommt ein so genannter SAP IoT Simulator, der dafür eingesetzt werden kann, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, die Position, Helligkeit, Vibrationen und magnetische Felder zu messen. „Der SAP IoT Simulator ist ein vom Kunden vor der Fertigung individualisiertes physisches Produkt , z.B. in Blau-, Orange- und Grüntönen, mit und ohne Verschraubung und mit einer personalisierten Smartphone-APP, die gleich nach der Fertigung den SAP IoT Simulator mit dem eigenen Smartphone verbindet“, erläutert Kai Wussow, Head of Digital Transformation und IoT bei SAP Digital Business Services. Die Sensordaten, die das handgroße Gerät misst, werden kontinuierlich in die SAP Cloud Platform weitergeleitet, die dann per Smartphone-App Alarm schlägt, sobald bestimmte Schwellenwerte überschritten sind.
Der IoT Simulator ist ein Beispiel, wie wir im SAP Digital Studio die digitale Transformation und IoT anfassbar machen für Kunden und gemeinsam mit Ihnen digitale Strategien und Prototypen entwickeln. (Kai Wussow, SAP)
SAP IoT Simulator: Eigene IoT Szenarien entwerfen
Voreingestellt im IoT Simulator sind Szenarien wie das Smart Product „Getränkeautomat“ und das Szenario Raumgesundheit. Ist es im Büro zu trocken oder kalt, meldet sich die App und macht darauf aufmerksam. Für welche Anwendungen der Kunde die vernetzte Sensorik und Analyse nutzt, ist seiner Fantasie und den Anforderungen im eigenen Unternehmen überlassen. Hilfestellung bei der Entwicklung eigener Szenarien anhand von Schwellwerten und eigenen Regeln gibt die App, sogar bis dahin, dass sie 62 so genannte IoT-Geschäftsmodellmuster zur Verfügung stellt – darunter IoT-spezifische Geschäftsmodelle wie der Object Self Service, bei dem die Kaffeemaschine Kaffee selbst nachbestellt, wie auch Wartungsanforderungen aus der Maschine (Condition Monitoring). „Kunden sollen spielerisch an die Grundgedanken von IoT herangeführt werden und besser verstehen, wie IoT ihre Geschäftsmodelle, Produkte und Prozesse verändern kann“, erläutert Wussow. Nötig sind dafür lediglich der IoT-Simulator und eine Smartphone-App, die ständig die Daten analysiert und Werte überprüft. Einfacher geht’s nicht.
Weitere Informationen