Wir leben in einer Welt, in der sich Programmierer und Entwickler mit bahnbrechenden Neuerungen zunehmend gegenseitig herausfordern. Über aktuelle Innovationen und Technologien Bescheid zu wissen, reicht nicht mehr aus, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Es muss jemanden geben, der sich über die verschiedenen Trends informiert und überlegt, welche Zukunftsvision sich auszahlen und welche Rolle Software dabei spielen könnte. Beim SAP Innovation Center Network übernimmt diese Aufgabe Martin Wezowski. Er zählt zu den 100 klügsten Köpfen Deutschlands und wurde von der deutschen Wirtschafts- und Finanzzeitung Handelsblatt als „Software-Visionär“ bezeichnet.
„Ich habe einen Design-Hintergrund und habe bisher auch hauptsächlich als Designer gearbeitet. Aber ich habe das nicht studiert.“ Denn UX-Design wurde damals an der schwedischen Universität, die Wezowski besuchte, noch nicht angeboten. Er war mit 14 Jahren von seinem Heimatland Polen nach Schweden gezogen – und zwar, ohne ein Wort Schwedisch zu sprechen. „Ich wollte Architekt werden, aber mir fehlte die nötige Berufserfahrung dafür. Deshalb habe ich mich für Ingenieurswissenschaften entschieden.“ Weil er mit seiner nicht gerade optimalen Studienwahl unzufrieden war, begann er, Musik zu machen.
„Mich einer Punkrock-Band anzuschließen war wahrscheinlich die beste Ausbildung, die ich bekommen konnte“, erinnert sich Wezowski und lacht. „Bei Punk steht der Wandel im Vordergrund. Es geht darum, den Status Quo infrage zu stellen. Und deshalb fängt man an, zu überlegen: Was können wir hier verändern? Außerdem gehören auch Netzwerken, Offenheit für neue Ideen und Idealismus zur Punkszene. Einen Misserfolg wegstecken und daraus lernen oder das Beste aus einem Fehler machen zu können, sind Fähigkeiten, die nicht nur im Punk sehr wichtig sind, sondern auch in jeder innovativen Unternehmenskultur.“
Da seine Band bald eine Homepage und Album-Cover brauchte, beschäftigte sich Wezowski mit Computern und Mediendesign. Er übernahm hier und da Nebenjobs, besuchte kurze Seminare und sammelte dadurch Erfahrung im Umgang mit digitalen Medien. Dieses Wissen gab er als Trainer an Unternehmen weiter. Durch den Zuspruch seiner Kursteilnehmer entschied sich Wezowski letztlich dazu, den Lehrberuf an den Nagel zu hängen und als Designer zu arbeiten.
Die Chance, etwas zu bewegen

Wezowski war als Senior UX Designer für Sony Ericsson unter anderem im Bild-Bereich tätig. Danach übernahm er eine noch strategischere Rolle bei Huawei und ging in diesem Zusammenhang sogar für zwei Jahre nach China. Huawei hatte gesehen, wie Apple den Smartphone-Markt revolutioniert hatte, und wollte als chinesisches Unternehmen ebenfalls für einen grundlegenden Wandel sorgen. Wezowski, der für UX-Innovation und -Strategie verantwortlich war, schlug vor, dass Huawei eigene Systeme als Grundlage für ihre Telefone, Kameras und elektronischen Geräte nutzen sollte.
„Darum geht es bei systemischem Design“, erklärt Wezowski. „Wenn man es schafft, ein stabiles Netzwerk aufzubauen, hat man schon gewonnen. Jedes entworfene Gerät wird besser laufen, weil es auf einem nativen System basiert.“ Allerdings war diese Idee für Huawei damals zu radikal. „Die Priorität lag auf den Zahlen des nächsten Quartals und nicht darauf, eine langfristige Strategie zu verfolgen. Deshalb habe ich mich nach anderen Optionen umgesehen.“ Praktischerweise rief dann SAP an.
„Aus den Angeboten habe ich ganz bewusst SAP ausgewählt. Ausschlaggebend war für mich die Unternehmensgröße und die Tatsache, dass SAP wesentlich dazu beiträgt, das Leben von Menschen positiv zu beeinflussen. Es motiviert mich einfach enorm, dass 80 Prozent des weltweiten BIP über Transaktionen auf unseren Systemen abgewickelt werden. Als ich das hörte, dachte ich nur: Puh, dann müssen wir wirklich alles geben. Wer etwas Sinnvolles schaffen möchte und das sollte eigentlich jeder wollen, der hat bei SAP definitiv die Chance dazu. Außerdem erfuhr ich, dass es bei SAP einen Chief Design Officer gab – das war damals bereits Sam Yen. Das zeigte mir, dass Design dort einen hohen Stellenwert hat. Deshalb habe ich mich entschieden, zu diesem Unternehmen zu wechseln.“
Den digitalen Wandel im Blick
Wezowski wurde ursprünglich dafür eingestellt, mögliche systemische Veränderungen anzugehen. Dabei stand er jedoch vor einigen Herausforderungen.„Die Kollegen waren sehr nett und hilfsbereit. Sie wollten grundlegende Veränderungen und dass ich ihnen sagte, was schieflief. Aber wenn ich auf systemische Möglichkeiten hinwies, wurde der Status Quo einfach akzeptiert, weil das eben zum System gehörte.“ Er fand bald heraus, dass SAP es hervorragend verstand, das Geschäft am Laufen und Versprechen zu halten sowie Kennzahlen zu erfüllen. Eigene zukunftsweisende Innovationen waren in vielen Abteilungen allerdings zweitrangig. „Es ist ein klassisches Beispiel für ein Dilemma in einem innovativen Unternehmen: Kurzfristiges Denken und Effizienzsteigerungen sind bei einem System wichtiger als exponentielle Intelligenz – auch, wenn man eigentlich beides braucht.”
2016 wechselte Wezowski zum SAP Innovation Center Network (ICN) und kümmert sich dort um strategische Innovationen. „Als ich anfing, verstärkt mit Jürgen Müller und dem Team vom SAP Innovation Center Network zusammenzuarbeiten, tauschten wir ganz selbstverständlich innovative Ideen aus, setzten diese um und das ICN unterstütze unser Vorgehen finanziell. Ich habe begriffen, dass es die Aufgabe dieser Abteilung ist, die Innovationskraft, die in manchen Bereichen bei einem Prozent liegen kann, auf 99 Prozent zu erhöhen. Dort gibt es keine Informationssilos, das Team geht ehrlich und direkt miteinander um, hat Spaß und bringt das nötige Interesse und den Mut mit, um Veränderungen anzugehen. Ich wusste, dass ich genau dort arbeiten wollte.“
Wezowski hat einen großen Einfluss auf die Innovationen von SAP. Denn er informiert sich über Trends, sondiert diese und schlägt potenzielle Wege für SAP vor. „Bei SAP arbeiten mehrere Zehntausend intelligenter Leute, die alle überlegen, was wir jetzt genau anbieten können. Alternativ können wir auch über unseren Tellerrand hinausschauen und über künftige realisierbare Optionen nachdenken. Im Chief Innovation Office untersuchen wir, in welchen Bereichen SAP eine wegweisende Rolle spielen sollte, um dieser Vision näherzukommen. Dann sprechen wir gezielt innovationsfreudige Mitarbeiter und Teams im Unternehmen an und arbeiten intensiv mit ihnen zusammen. Allerdings fangen wir immer damit an, unsere Möglichkeiten auszuloten und zu bedenken, welche Ziele wir in Zukunft erreichen möchten.“
Zukünftige Entwicklungen: mehr Menschsein durch Machine Learning
„Die besten und die klugen Dinge sind die, die uns intelligenter machen“, so Wezowski. „In fünf bis zehn Jahren werden wir mithilfe von Systemen erfolgreicher agieren können. Ich nenne das Humachine – eine Mischung aus maschineller Intelligenz und menschlicher Kreativität.” Laut dem Weltwirtschaftsforum werden bis 2020 komplexe Problemlösungen, kritisches Denkvermögen und Kreativität zu den wichtigsten Mitarbeiterkompetenzen zählen. Um diese Fähigkeiten besser zu trainieren und anzuwenden, könnten uns Maschinen sämtliche alltäglichen und wiederkehrenden Aufgaben abnehmen.
„Maschinen können uns bei zeitraubenden Tätigkeiten unterstützen und dabei auf Chancen hinweisen, die wir nicht sehen. Ich denke, dass es bei SAP auch darum geht, dass die Mitarbeiter gerne dort arbeiten. Je mehr sie in ihrer Tätigkeit aufgehen, umso besser schneidet SAP ab. Und genau das bieten wir: anspruchsvolle Aufgaben, die Spaß machen. Dann ist die Arbeit nämlich nicht mühsam, sondern sinn- und wertvoll. Und das Ganze erreichen wir mithilfe von Software und Informationstechnologie.“
Wir müssen unsere Zeit nicht mehr mit Dingen zubringen, die wir zwar gut, aber eben nicht sehr gut können, und die uns meistens von etwas Anderem abhalten. Stattdessen ist es möglich, beispielsweise routinemäßige, administrative und täglich anfallende Aufgaben Maschinen zu überlassen, und uns auf all das konzentrieren, was Kreativität und strategisches Denken erfordert. Und dabei wird sich vermutlich auch unser Verständnis von Arbeit wandeln. „Arbeiten bedeutet nicht, Excel-Tabellen auszufüllen“, betont Wezowski. „Es geht eher darum, nachzudenken und komplexe, menschliche Probleme zu lösen. Auf diese Weise gestalten wir die neuen Arbeitsformen maßgeblich mit und bauen auf der Effizienz und Skalierbarkeit der Dritten Revolution auf, um die Intelligenz und Anpassungsfähigkeit der Vierten Revolution zu erreichen.”
In diesem Zusammenhang werden auch grundlegende Fragestellungen aufgeworfen, zum Beispiel was uns Menschen ausmacht. In gewisser Weise ging es in der gesamten Geschichte des Homo Sapiens immer um Jagen und Sammeln und erst später um das Ausfüllen von Steuerberichten. Aber sind das angemessene Aufgaben für Menschen, die auch in der Lage sind, Musik zu komponieren, Strategien zu entwickeln und moralische Probleme zu lösen? Wenn Maschinen Routinetätigkeiten übernehmen, bleibt uns vielleicht mehr Zeit und Energie für die wirklich wichtigen Dinge.
„Eventuell können wir letztlich wieder mehr Mensch sein“, meint Wezowski. „Bisher waren wir ja immer anderweitig beschäftigt.“
Bildquellen: M. Wezowski, Shutterstock