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Maschinelles Lernen kann über Leben und Tod entscheiden. Die Technologie ermöglicht es Computern, Muster in Daten zu erkennen und daraus zu lernen. Dabei geht es nicht nur darum, welches Unternehmen die weltweit größte Plattform auf Basis künstlicher Intelligenz betreibt oder wie gut eine Plattform Plätzchenrezepte auswertet. Vielmehr könnte sich das maschinelle Lernen als wahrer Segen für die Präzisionsmedizin erweisen, bei der die Behandlung genau auf den jeweiligen Patienten zugeschnitten wird.

Das Erbgut eines Patienten ist ein riesiger DNA-Datensatz, mit dessen Hilfe Ärzte bereits maßgeschneiderte Behandlungskonzepte für viele Tausend Patienten entwickeln konnten.

Präzisionsmedizin wird unter anderem zur Behandlung von Krebs eingesetzt. Dabei werden Merkmale identifiziert, mit denen sich vorhersagen lässt, wie wirksam eine Behandlungsmethode bei einem bestimmten Patienten ist, berichtete die Website OncLive erst vor Kurzem. Bislang war meist das Krebsstadium ausschlaggebend für die Wahl der Behandlungsmethode, was jedoch nur wenig Aufschluss über die Erfolgswahrscheinlichkeit gibt.

„Stellen Sie sich vor, man könnte die Ergebnisse sämtlicher Tests und die Ergebnisse der durchgeführten Behandlungen aggregieren, die Daten anonymisieren und durch maschinelles Lernen herausfinden, welche Behandlungsmethoden am erfolgreichsten waren“, erläuterte Mike Flannagan, Senior Vice President of SAP Analytics, seine Vision bei der SAP Leonardo Live in Frankfurt. „Die Patienten müssten nicht nur weniger Chemotherapien über sich ergehen lassen, sondern es gäbe auch weniger Patienten, deren Chemotherapie zu hoch dosiert ist oder bei denen die Therapie nicht anschlägt.“

Maschinelles Lernen ermöglicht die Entschlüsselung des menschlichen Genoms

„Wir haben alle Daten – mehr Daten, als wir in unserem Leben überhaupt nutzen können“, erklärte Mike Flannagan. „Maschinelles Lernen kommt dort ins Spiel, wo die Computer selbst diese Daten verarbeiten, auswerten und Erkenntnisse daraus ableiten.“

Eine wahre Schatzkammer ist das Genom eines Patienten, ein riesiger DNA-Datensatz in den 23 Chromosomenpaaren eines Menschen. Einem aktuellen Bericht der Website Hospitals & Health Networks (H&HN) zufolge ermöglichen es moderne IT-Infrastrukturen Ärzten heute, die Behandlung Tausender Patienten auf Informationen aus ihrem Erbgut zu stützen.

„Die genomische Sequenzierung ist eine nicht invasive Methode, die auch noch viele Jahre nach der Anwendung wertvolle Informationen liefert“, erläuterte die Ärztin Louanne Hudgins, Präsidentin des American College of Medical Genetics and Genomics, auf H&HN. „Aufgrund dieser Fortschritte können wir diese Krankheiten heute wesentlich besser behandeln und heilen. Auch der Grundsatz, dass sich genetisch bedingte Krankheiten nicht behandeln lassen, gilt damit nicht mehr.“

Apotheker spielen in der Präzisionsmedizin eine entscheidende Rolle: Sie untersuchen, wie sich ein bestimmtes Medikament bei unterschiedlichen Patienten auswirkt und können so das Wirkstoffprofil der Patienten besser abstimmen.

Den individuellen Patienten im Blick

„Ein bestimmtes Medikament wirkt bei jedem Menschen anders. Was also bei einem Patienten gut funktioniert, schlägt eventuell bei einem anderen gar nicht an“, so Mike Flannagan. „Es kommt auch darauf an, welche anderen Medikamente ein Patient noch einnimmt. Den Überblick über all diese Informationen zu behalten, ist für Ärzte oder Apotheker nicht immer einfach.“

Eine Vielzahl von Faktoren, etwa Gewicht, Alter, Blutdruck und Vorerkrankungen eines Patienten, machen laut Mike Flannagan das Verschreiben der optimalen Medikamente in Echtzeit sehr schwierig. Ärzte verschreiben deshalb oft die Medikamente, mit denen sie bei anderen Patienten bereits gute Ergebnisse erzielt haben, während bei der Präzisionsmedizin der einzelne Patient im Mittelpunkt steht.

Das zeigt, wie wichtig Apotheker in der Präzisionsmedizin sind.

„In der Präzisionsmedizin bieten Apotheker Ärzten wertvolle Unterstützung bei der Wahl des richtigen Medikaments, da sie das gesamte Wirkstoffprofil eines Patienten verstehen und damit optimal abstimmen können“, erklärte Murray Aitken, Executive Director des QuintilesIMS Institute, kürzlich in The Pharmaceutical Journal. „Apotheker sind für die Patienten auch direkte Ansprechpartner, was Dosierung, Einnahme und mögliche Nebenwirkungen betrifft.“

Verbesserung der Arzneimittelsicherheit durch den Einsatz von IoT-Lösungen

„Die Apotheker müssen sich darauf einstellen, dass die Präzisionsmedizin spezielle Herausforderungen mit sich bringt, unter anderem im Hinblick auf die Arzneimittelsicherheit“, betonte Murray Aitken, der auch Mitverfasser des diesjährigen Berichts Upholding the Clinical Promise of Precision Medicine ist. „Für 41 Prozent der in unserer Analyse untersuchten Therapien gibt es Warnhinweise zu ernsten Nebenwirkungen, die eine spezielle Überwachung durch medizinische Fachkräfte erforderlich machen können.“

Ein Artikel auf der Plattform Supply Chain Digital kam zu dem Schluss, dass für den Einsatz von Präzisionsmedizin eine vollständig vernetzte und transparente globale Versorgungskette immer wichtiger wird. Mit IoT-Sensoren lassen sich Ort, Temperatur, Sonneneinstrahlung, Feuchtigkeit, Luftdruck und Erschütterungen überwachen und Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz vor Diebstahl und Fälschung implementieren.

„Kontrolle und Transparenz über die gesamte Logistikkette hinweg sind in allen Branchen wichtig, doch im Gesundheitswesen sind sie unerlässlich. … Man stelle sich vor, eine Lieferung mit Arzneimitteln, die für die DNA eines Krebspatienten personalisiert wurden, wird beschädigt oder gestohlen“, heißt es in dem Artikel auf Supply Chain Digital. „In einem solchen Fall kann nicht einfach ein Ersatzprodukt aus dem Lager geholt und am nächsten Tag geliefert werden.“

Mit IoT-Sensoren lassen sich personalisierte Arzneimittel nachverfolgen, die eine besondere Behandlung erfordern, sowie Ort, Temperatur, Sonneneinstrahlung, Feuchtigkeit, Luftdruck und mögliche Erschütterungen einer Sendung überwachen. Sie können außerdem vor Diebstahl und Fälschung schützen.

Präzisionsmedizin ermöglicht gesellschaftlichen Wandel

Nach Ansicht von Mike Flannagan kann maschinelles Lernen deutlich bessere Behandlungserfolge ermöglichen, da sich mit der Technologie Muster aufdecken lassen, die ein Arzt gar nicht erkennen kann. Dies liegt daran, dass für die Präzisionsmedizin riesige Datenmengen sämtlicher Patienten und Gesundheitsdienstleister analysiert werden müssen.

„Diese Art von Forschung kann die Gesellschaft wirklich verändern, indem sie die erfolgreiche Behandlung sehr vieler Patienten mit unterschiedlichsten Krankheiten ermöglicht“, so Mike Flannagan. „Hierzu müssen wir uns jedoch bei der Auswertung der Daten das Potenzial des maschinellen Lernens zunutze machen.“

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