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Auf einem SAP-Standard wie SAP S/4HANA aufsetzen, über eine Entwicklungsplattform individuelle Ansätze zulassen und beides mit einer homogenen Oberfläche: Das ist der hybride Ansatz, mit dem Bund und Länder künftig ihre Haushaltsplanung machen und geänderte Rahmenbedingungen, wie etwa den Rechnungslegungsstandard EPSAS, umsetzen können.

Es ist keine zehn Jahre her. Da stellte Karl Heinz Krug seine Buchführung um – von einer rein zahlungsbasierten „kameralistischen“ auf die Doppik. Der damalige Bürgermeister und Kämmerer von Bad Homburg führte erstmals bilanzielle Abschreibungen auf, bildete Rückstellungen und erstellte Anlagenspiegel. Was in den Kommunen heute gang und gäbe ist, hat sich auf Bundes- und Länderebene noch nicht durchgesetzt. Zwar orientieren sich das Rechnungswesen und der Haushaltsvollzug der Länder in der Regel an der doppelten Buchführung. „Das gilt jedoch nicht für die Haushalts- und Finanzplanung, die oft noch weiterhin kameral geführt wird“, erläutert Krug, heute Public-Services-Experte bei Capgemini. Beim Bund ist die Buchführung sogar nach wie vor durchgehend kameral. Doch geht an Haushaltsmodernisierung im öffentlichen Sektor sehr bald kaum noch ein Weg vorbei, so etwa aufgrund der laufenden  Diskussion um den europäischen Rechnungslegungsstandard EPSAS. Kommt EPSAS, wird die doppelte Buchführung auch auf Bundesebene durchgehend Pflicht.

IT-Modernisierung im Public Sector: Doppik wird unvermeidlich

Nach einer aktuellen Studie rechnen knapp zwei Drittel der Befragten damit, dass EPSAS – und damit auch ein durchgehend doppisches System – innerhalb der nächsten zehn Jahren kommt. Nur jedes dritte Land ist sich jedoch sicher, dass die IT-Landschaft dafür bereit wäre, wobei Deutschland aktuell in Hinsicht auf die EPSAS-Readiness im europäischen Vergleich auf dem vorletzten Platz steht. Gerade vor dem Hintergrund, dass die neue Bundesregierung Europa eine hohe Bedeutung zumisst, könnte sich auch der bisherige Umgang mit der Buchführung auf Bundesebene ändern. Der Bundesfinanzminister Scholz hatte bereits in Hamburg SAP S/4HANA und zudem die Doppik auf Landesebene eingeführt – gute Voraussetzungen auch für eine Modernisierung der Bundes-IT. Doch ist das nicht der einzige Grund für nötige Modernisierungen: Viele IT-Lösungen sind teilweise individuell entwickelt oder basieren auf älteren ERP-Systemen. Der komplexen IT-Landschaft fehlt es oft an nötiger Flexibilität und Agilität, um der zunehmenden Dynamik in der Haushaltsplanung und -führung gerecht zu werden. Es herrscht also an vielen Stellen Nachholbedarf, um auf die anstehenden Veränderungen vorbereitet zu sein.

Hybrider Ansatz: Mehrsäulenmodell auf Basis von SAP S/4HANA und Entwicklungsplattform

Die Mehrsäulen-(Multi-Pillar)-Architektur von SAP S/4HANA ist ein hybrider Ansatz, der vom Beratungshaus Capgemini entwickelt wurde, um standarisierte mit individuellen Lösungen zu verbinden. „Wir setzen auf eine stabile ERP-Standardlösung – auf Basis von SAP S/4HANA – und erweitern diese modular über unser Entwicklungs-Framework devonfw“, sagt Experte Jakob Boos, Technical Account Executive für die Öffentliche Verwaltung bei Capgemini. Der Standard, also das von SAP als digitaler Kern bezeichnete ERP SAP S/4HANA, wird nicht angetastet. Doch ist es möglich, individuelle Säulen zu ergänzen. Die Multi-Pillar-Architektur enthält also beides – die Standard-Komponenten von SAP S/4HANA und individuelle Bausteine, die nahtlos miteinander verbunden werden. „Ein Proof of Concept hat bereits gezeigt, dass auf Basis dieser Architektur die Release-Fähigkeit von SAP S/4HANA erhalten bleiben kann und zugleich eine hohe Individualisierung außerhalb des digitalen Kerns möglich ist, was die Kosten gering hält“, so Boos. Zudem liegt ein wichtiger Vorteil für den Nutzer des Systems darin, dass er nicht merkt, wenn er zwischen dem Standard und der Individualsoftware hin- und herwechselt, da sämtliche Funktionalitäten auf einer gemeinsamen SAP-Fiori-basierten Bedienoberfläche zur Verfügung gestellt werden. „Das Konzept haben wir exemplarisch für die Haushalts- und Finanzplanung im öffentlichen Bereich entwickelt“, erläutert Krug – für jenen Bereich also, der auf Landesebene häufig noch kameral geführt wird: „Der Ansatz kann generell allerdings auf viele andere Branchen übertragen werden, etwa auf die Automobil- oder die Finanzindustrie.“

Capgemini konzipiert Haushalts- und Finanzplanung in hybrider Struktur

Gerade in der Haushalts- und Finanzplanung sind in der Regel umfangreiche individuelle Erweiterungen nötig. Deswegen haben sich Boos und Krug in einem ersten Use-Case darauf konzentriert und eine Lösung dafür geschaffen. In der Haushalts- und Finanzplanung müssen Strukturen, Gruppierungen und Funktionen abgebildet werden, Einzelpläne der Ressorts verwaltet und eine so genannte Rundenverwaltung gesteuert werden. Entwürfe aus dem Finanzministerium werden in die einzelnen Ressorts gegeben, dort angepasst und wieder zurückgespielt – so lange, bis es einen für alle verbindlichen Plan gibt, der dann im Haushaltsgesetz mündet. Eine Haushaltsplanung beinhaltet also Haushaltsvermerke, Ermächtigungen für Zahlungsverpflichtungen (über Jahre), Erläuterungen und eine transparente Rundenverwaltung. „Ein Standard kann diese vielen Spezifika nicht leisten, wohl aber unser Mehrsäulen-Ansatz“, ist Krug überzeugt. Trotz neu gewonnener Flexibilität wird auch die modularste Software eins nicht leisten können – nämlich die Besitztümer eines Landes oder des Bundes einzeln zu bewerten und in einen Anlagenspiegel zu übertragen. „Das ist eine Heidenarbeit“, erinnert sich Ex-Bürgermeister Krug an den Doppik-Start in Bad Homburg.