SAP-Mitarbeiter Jörg Beißel bekennt sich öffentlich zu seiner HIV-Infektion und unterstützt damit eine Unternehmensinitiative zur diskriminierungsfreien Behandlung von HIV-positiven Menschen.
Die Diagnose war ein Schock, die Zeit danach ein Weg der Selbstfindung. Zwei lange Jahre rang Jörg Beißel, Senior Facility Specialist bei Global Real Estate & Facilities der SAP, mit sich, bevor er auf der Arbeit seine HIV-Infektion ansprach. Das aufklärende Gespräch mit seinem Manager war für Jörg eine erlösende Erfahrung.
„Du bist richtig, so wie du bist“
Mit Dankbarkeit erinnert sich Jörg heute daran, wie sein Vorgesetzter die Information auffasste: „Mein Manager sprang auf, nahm mich fest in den Arm und bedankte sich für das große Vertrauen, das ich ihm entgegenbrachte.“ Von dieser Reaktion bestärkt öffnete sich Jörg anschließend immer mehr Kolleginnen und Kollegen und stellte fest, wie eine große Last von seinen Schultern wich. Von der persönlichen Scham abgesehen ist HIV aus medizinischer Sicht im Arbeitsalltag irrelevant. Denn eine Übertragung von HIV ist unter Therapie prinzipiell nicht mehr möglich.
Aber die Furcht vor Diskriminierung aufgrund von irrationalen Ängsten vor einer Ansteckung oder von veralteten Vorstellungen vom Leben mit HIV ließ Jörg lange schweigen.
Arbeitgeberdeklaration gegen Diskriminierung unterzeichnet
Vor seinem Bekenntnis habe er sich bei der Arbeit selbst unter Druck gesetzt und sei oft über seine Belastungsgrenzen gegangen, berichtet Jörg. Heute könne er wieder er selbst sein. „Für mich spielt HIV im Arbeitsleben jetzt insofern keine Rolle mehr, als dass ich mich einfach wieder frei fühlen kann. Das gibt mir meine Kreativität zurück“, sagt er. Sein persönlicher Entschluss hat Jörg letztlich dazu bewegt, das Thema HIV in der Gesellschaft und vor allem am Arbeitsplatz öffentlich anzugehen. Zusammen mit Ernesto Marinelli, Global HR Business Partner Lead for Global Customer Operations and Head of HR Business Partners for EMEA North, EMEA South, MEE, and Greater China Region, unterzeichnet er im Namen der SAP am 12. Juni eine Arbeitgeberdeklaration gegen Diskriminierung von HIV-positiven Menschen im Arbeitsleben und ist somit das erste „positive Gesicht“ der SAP.
Video: „Ausgrenzung ist meistens das, was man selber betreibt“
Im Video erzählt Jörg Beißel seine Geschichte. (Video: Angela Klose)
Eine unternehmensübergreifende Kampagne für Respekt gegenüber HIV-Positiven
Die Initiative #positivarbeiten wurde von der Deutschen Aidshilfe zusammen mit SAP und IBM ins Leben gerufen. Weitere Unternehmen wie beispielsweise Deutsche Bank, DAK, Deutsche Bahn und Daimler bekennen sich dabei offiziell zu einem vorurteilsfreien und respektvollen Umgang mit HIV-positiven Menschen am Arbeitsplatz. Ziel der Vereinbarung ist es, Aufklärungsdefizite zu beseitigen und es als einen der vielen Aspekte von Vielfalt am Arbeitsplatz zu integrieren. Bei rechtzeitiger Diagnose und Behandlung können Menschen mit HIV heute leben und arbeiten wie alle anderen. Sie sind genauso leistungsfähig und können jeden Beruf ausüben.
„SAP steht für Inklusion. Ein Arbeitsumfeld ohne Stigmatisierung ist unsere Priorität. Wir möchten mit unserem Engagement bei dieser Initiative ein positives Signal für einen respektvollen Umgang miteinander senden.“ (SAP-Vorstandsmitglied Luka Mucic)
Auch für sein Team ist Jörgs Erkrankung unerheblich. „Für mich hat sich in der Zusammenarbeit mit Jörg gar nichts verändert, seit ich von seiner Infektion erfahren habe. Ich arbeite mit ihm genauso vorbehaltlos und vertrauensvoll zusammen wie je zuvor“, sagt sein Kollege Hilger Brenken.
„Meine Vision ist es, ein Arbeitsumfeld zu haben, in dem Diskriminierung kein Thema mehr ist“, sagt Ernesto Marinelli. „Wir haben keine Angst vor Vielfalt, denn Vielfalt bedeutet Innovation. HIV ist für uns eine von zahlreichen Facetten.“
„SAP steht für Inklusion. Ein Arbeitsumfeld ohne Stigmatisierung ist unsere Priorität. Wir möchten mit unserem Engagement bei dieser Initiative ein positives Signal für einen respektvollen Umgang miteinander senden“, sagt SAP-Vorstandsmitglied Luka Mucic.
Laut einer Studie von UNAIDS (Gemeinsames Programm der Vereinten Nationen für HIV/Aids) lebten Ende 2017 weltweit 36,9 Millionen Menschen mit HIV. 75% wissen, dass sie das HI-Virus in sich tragen. 21,7 Millionen hatten Zugang zu HIV-Medikamenten. 77,3 Millionen Menschen haben sich seit Ausbruch der Epidemie infiziert.
Die Furcht vor Ausgrenzung hielt Jörg lange Zeit davon ab, zu sich selbst zu stehen. Daher ist es heute sein Anliegen, präsent zu sein, Hilfe anzubieten und mit Vorurteilen aufzuräumen. Denn dass das Vorwissen zu HIV in der Gesellschaft stark unterschiedlich ausfällt, weiß Jörg aus eigener Erfahrung: „Ich selbst hatte zum Zeitpunkt meiner Diagnose einen geringen Kenntnisstand und wusste nicht, was dies für mich und mein Leben bedeuten würde.“ Daher sei kontinuierliche Aufklärung enorm wichtig, findet er.
„Immer einen Schritt nach vorne“
Unterstützung erfährt Jörg nicht nur von seinem Arbeitgeber, sondern auch in seinem privaten Umfeld. „Er ist und bleibt unser Jörg“, sagt Eva Best aus Jörgs Freundeskreis. Ein weiterer Bekannter, Sascha Ulrich, findet: „Leider ist die Krankheit immer noch stigmatisiert. Dabei ist HIV längst kein Todesurteil mehr.“ Auch seine Familie steht hinter Jörgs Mission. Sein Vater Hardy bekräftigt: „Man kann das Thema nicht einfach totschweigen und in Vergessenheit geraten lassen, sondern man muss immer am Ball bleiben.“
HIV ist noch nicht heilbar, lässt sich inzwischen aber behandeln. Menschen unter Therapie nehmen normalerweise ein bis zwei Tabletten pro Tag und gehen alle drei Monate zu einer Kontrolluntersuchung. In der Regel erleben sie kaum Einschränkungen in der Lebensqualität oder Leistungsfähigkeit. Durch die Medikamente war Jörg bereits drei Monate nach der Diagnose unter der Nachweisgrenze. Das bedeutet, dass die HIV-Menge in seinem Blut, auch Viruslast genannt, nicht mehr ausreichend vorhanden ist, um andere anzustecken. Offiziell spricht man von n=n (nicht nachweisbar = nicht ansteckend), eine Tatsache, die 2008 wissenschaftlich belegt wurde und dennoch bis heute kaum bekannt ist.
Jörg ist gelernter Gärtner und bei SAP für die Grünflächenpflege und Gestaltung der Außenanlagen in ganz Deutschland zuständig. Allein an seinem Hauptarbeitsplatz in der Firmenzentrale Walldorf macht das 330.000 Quadratmeter aus. Er liebe seine Aufgaben und genieße die Kreativität, die er dabei ausleben kann, so Jörg. Er sagt: „Ich will gar keine Sonderrolle, ich will einfach nur sein, wie ich bin: ein Mensch, ein Kollege, ein Freund wie jeder andere auch.“ Genauso empfinde er das Arbeitsumfeld bei SAP. Für ihn sei es das großartigste Gefühl, nach seinem Bekenntnis wieder einfach er selbst sein zu können. Rückblickend hat Jörg dies erkannt: „Man macht seinen Job erst dann richtig gut, wenn man absolut frei, ehrlich und authentisch agieren kann.“
Weitere Informationen:
- Website von UNAIDS (Gemeinsames Programm der Vereinten Nationen für HIV/Aids)
- Website der Deutschen Aidshilfe
- positiv-arbeiten.de