Die SAP arbeitet bei der Initiative Digital Skills for Today (DSFT) mit, um jungen Menschen, Flüchtlingen und Angehörigen von Minderheiten in Krisengebieten digitale Fähigkeiten zu vermitteln.
Ahmad Alzubi gehört zu den 6,3 Millionen Menschen, die aus Syrien geflohen sind. 2015 wollte der junge Mann die Schule zu Ende machen und dann Informatik studieren. Doch als der Krieg seine Heimatstadt Dara’a erfasste, wurden seine Pläne für eine stabile Zukunft mit gesichertem Einkommen zunichte gemacht. Er und sein Vater wurden inhaftiert und gefoltert. Nur Ahmad überlebte.
Seine Familie traf die schwierige Entscheidung, vorübergehend in einer Flüchtlingseinrichtung Schutz zu suchen, zuerst in Za’atari und später im jordanischen Irbid. Entschlossen, seine Schulausbildung abzuschließen, nahm Ahmad seine Bücher mit über die Grenze nach Jordanien. „Ich erinnere mich noch gut daran, wie schlimm es an der Grenze war, meine Bücher mitzuschleppen“, erzählt er. „Ich hielt meine Bücher fest, weil ich zurück wollte, um die Prüfung abzulegen und weiter zu lernen.“
Als Haupternährer für seine 11-köpfige Familie nahm Ahmad einen Job auf der Baustelle an, mit dem er 300 US-Dollar im Monat verdiente. Doch die Arbeit war sehr anstrengend und ließ ihm keine Energie zum Lernen. Da er die Schule in Syrien nicht abgeschlossen hatte, fand er keinen Zugang zum jordanischen Bildungssystem.
In vier Monaten vom Bauarbeiter zum Softwareentwickler
2018 wurde Ahmad schließlich zu einem Bootcamp in Softwareentwicklung zugelassen, das die Organisation ReBootKamp (RBK) anbot, um in kurzer Zeit eine Berufsausbildung zu ermöglichen. RBK arbeitet im Rahmen der Initiative Digital Skills for Today (DSFT) mit der SAP zusammen, um jungen Menschen, Flüchtlingen und Angehörigen von Minderheiten in Krisengebieten digitale Fähigkeiten zu vermitteln. Für Ahmad stellte die Ausbildung einen Wendepunkt in seinem Leben dar.
Heute verdient er als Full-Stack-Softwareentwickler bei einer US-Versicherungsgesellschaft 3.500 US-Dollar im Monat. Während er früher von der Hand in den Mund lebte, kann er seiner Familie heute einen viel höheren Lebensstandard bieten.
In seiner Freizeit hilft er seinen Schwestern, sich ebenfalls für das Ausbildungsprogramm von RBK zu qualifizieren. In seinem Blog schreibt Ahmad über seine Erfahrungen im RBK-Bootcamp: „Ich bin ein neuer Ahmad mit größeren Träumen, größeren Hoffnungen und einer größeren Vision. Ich kann Euch sagen, dass ich mich hier selbst gefunden habe und heute ein besserer Mensch bin.“
Programmieren für eine bessere Zukunft
Maisaa Alkhedr ist auch aus Syrien geflohen und hat ebenso wie Ahmad als Absolventin eines Bootcamps von RBK eine Stelle als Softwareentwicklerin gefunden. Maisaa floh mit ihren Eltern und fünf Brüdern unter ständiger Bedrohung durch Bombenangriffe von Homs nach Palmyra und von dort in Richtung Damaskus. 2014 ließ sie sich mit ihrer Familie in Jordanien nieder, wo sie ihr Studium abschließen konnte. Doch sie fand keine Arbeit.
In einem RBK-Bootcamp fand Maisaa einen Ort, an dem sie sich willkommen fühlte. Schon bald wollten alle mit ihr in einem Team sein. Heute arbeitete sie in Jordanien für ein kanadisches IT-Unternehmen, das sich auf das Gesundheitswesen spezialisiert hat. In ihrem neuen Umfeld kann Maisaa ihre intellektuelle Begabung und ihr Potenzial nutzen, um sich ein Leben in Würde aufzubauen. Sie kann besser für ihre Familie sorgen und hat bessere Zukunftsaussichten.
Manche Bootcamp-Absolventen ziehen es vor, sich selbständig zu machen, um mit ihren neuen Fähigkeiten, ihren geschäftlichen Kontakten und ihrer Kreativität innovative Produkte und Services auf den unersättlichen Markt zu bringen. Einer der neuen Unternehmer in der Region ist der ursprünglich aus Syrien stammende Yusuf.
Yusuf hat ein Programmierer-Bootcamp absolviert, das von der Non-Profit-Organisation Re:Coded, die über die Initiative DSFT mit der SAP zusammenarbeitet, organisiert wurde. Dort erwarb er das technische und geschäftliche Know-how für die Entwicklung mobiler Anwendungen. Nach seinem Abschluss gründete Yusuf Torever, ein Start-up, das mit der App Torever Reisen einfacher und angenehmer machen will. Inzwischen arbeitet er in dem Jungunternehmen mit anderen Bootcamp-Absolventen zusammen.
„Re:Coded war viel mehr als ein Bootcamp“, berichtet Yusuf. „Ich habe mehr über Teamwork, Präsentationsfähigkeiten und Unternehmertum gelernt, als ich mir hätte vorstellen können. Ich konnte neue Kontakte knüpfen und mein Netzwerk ausweiten und bin vor allem selbstbewusster geworden.“
Weltflüchtlingstag
Die Geschichten von Ahmad, Maisaa und Yusuf zeigen die verzweifelte Lage von Flüchtlingen. Der Weltflüchtlingstag am 20. Juni würdigt die Stärke, den Mut und das Durchhaltevermögen, die Menschen aufbringen, die vor Krieg oder Verfolgung aus ihrer Heimat fliehen mussten. Weltweit sind 68,5 Millionen Menschen auf der Flucht. 25,4 Millionen dieser Menschen sind Flüchtlinge, von denen die Hälfte jünger als 18 Jahre ist, berichtet das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Laut dem Flüchtlingshilfswerk kommen die Flüchtlinge überwiegend aus Afghanistan, Syrien und dem Südsudan.
Inmitten der Entwurzelung und des Chaos der Flucht leiden die Menschen unter Traumata und Ungewissheit, denn schließlich wurde ihr Leben abrupt durcheinander gebracht, menschliche Bindungen sind zerbrochen und Zukunftspläne entgleist. Die Flüchtlinge landen in provisorischen Lagern und müssen sich schnell in der neuen Umgebung zurechtfinden, um ihre Familien mit dem Nötigsten zu versorgen.
IKT-Kenntnisse gegen die Jugendarbeitslosigkeit
Im Rahmen der Initiative DSFT werden jungen Menschen digitale Kompetenzen und Fähigkeiten vermittelt, die ihnen helfen, Arbeit zu finden. Auf diese Weise wird den jungen Menschen, zu denen auch Flüchtlinge gehören, ein Weg eröffnet, sich ein neues Leben aufzubauen und in krisengeschüttelten Kriegsregionen eine bessere Zukunft zu haben. Dank DSFT gibt es in Jordanien, der Türkei und dem Irak mehr als 700 frischgebackene IT-Fachleute wie Ahmad, Maisaa und Yusuf, die nun gut ihren Lebensunterhalt verdienen können. Die auf dem Weltgipfel für humanitäre Hilfe 2016 als Refugee Code Week vorgestellte Initiative zielt darauf ab, die nächste Generation von Technologieexperten mit praktischer Ausbildung heranzubilden und ihnen Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu eröffnen. DSFT wird in Partnerschaft mit Organisationen wie UNHCR, Injaz Al Arab, RBK und Re:Coded umgesetzt. Die Initiative ist außerdem Teil der Initiative One Million Arab Coders. Im Rahmen dieser breiter angelegten Initiative, bei der auch Schülerinnen und Schülern digitale Fähigkeiten vermittelt werden, haben mehr als 36.777 junge Flüchtlinge und Einheimische in 10 Ländern der Region MENA (Naher Osten und Afrika) die Grundbegriffe des Programmierens gelernt.
Neben der Vermittlung digitaler Fähigkeiten und praktischer Fertigkeiten an Flüchtlinge und Jugendliche ist ein weiteres Ziel der Initiative DSFT, Einheimische so auszubilden, dass sie die aktuelle Nachfrage nach qualifizierten Fachleuten in der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), dem am schnellsten wachsenden Wirtschaftssektor, decken können. Prognosen von Wirtschaftsexperten zufolge werden in der Region MENA in den kommenden fünf Jahren eine Million neuer IKT-Stellen entstehen. Derzeit ist der Arbeitsmarkt jedoch wirtschaftlich unzuverlässig. Allein in Jordanien sind 30.000 IKT-Fachleute arbeitslos, obwohl es im Umkreis von knapp 100 Kilometern um die Hauptstadt Amman 20.000 offene Stellen in dem Bereich gibt.
„In Krisengebieten neue Kompetenzen und Fertigkeiten aufzubauen ist wichtig für die Entwicklung der Regionen und den Wiederaufbau“, erklärt Batoul Husseini, Director Digital Government and Corporate Social Responsibility sowie Global Lead für DSFT, SAP MENA. „Wir wollen die vielen potenziellen Meisterprogrammierer finden, die nur bisher keine Gelegenheit haben, sich ein besseres Leben aufzubauen und die eigene Zukunft zu gestalten. Mit unseren praxisorientierten Lernmaterialien und unseren Schulungen finden sie schnell ihren Platz im Arbeitsleben. So entsteht eine ganze Generation von technisch versierten Spezialisten.“
Bootcamps für einen Neustart im Leben
Bewerber für die von RBK und Re:Coded organisierten Programmierer-Bootcamps müssen ein Vorauswahlverfahren durchlaufen. Die Bootcamps laufen über 16 bis 18 Wochen und vermitteln den Teilnehmenden die fachlichen und sozialen Kompetenzen, die sie für den Berufseinstieg als Softwareentwickler brauchen.
Die Teilnehmergruppen setzen sich üblicherweise zu je 50 Prozent aus Einheimischen und Flüchtlingen, Binnenvertriebenen oder Asylsuchenden im Alter zwischen 16 und 55 Jahren zusammen. In den Kursen werden Arbeitsteams aus je einem Einheimischen und einem Flüchtling oder Asylsuchenden gebildet. Dieses Konzept der Teambildung erleichtert Flüchtlingen und Asylsuchenden die Integration in die Gesellschaft. Zudem wird in jeder Gruppe auf Chancengleichheit geachtet, sodass ebenso viele Frauen wie Männer an den Bootcamps teilnehmen. 2018 lag der Frauenanteil bei 56 Prozent.
„Wir glauben, dass intensive Schulungen eine hervorragende Möglichkeit darstellen, um das Arbeiten an wichtigen Projekten unter Zeitdruck zu trainieren“, erklärt Husseini. „Außerdem werden damit viele junge Menschen in kurzer Zeit qualifiziert, was sie langfristig effizient macht. Wir können die frischgebackenen Absolventen auf dem Arbeitsmarkt unterbringen und gleich weitere junge Menschen ausbilden.“
Re:Coded: macht aus jungen Menschen aus Krisengebieten führende Technologieexperten
Die in den USA registrierte Non-Profit-Organisation Re:Coded ist im Irak, in der Türkei und im Jemen aktiv. Ihre Mission ist es, von Konflikten betroffenen und benachteiligten Jugendlichen innerhalb ihrer Gemeinschaften den Weg in die digitale Wirtschaft als Softwareentwickler, Unternehmer und Technologieexperten zu eröffnen. Zu den Angeboten von Re:Coded zählen Programmierer-Bootcamps, Schulungen für Unternehmensgründer, ein Co-Working Space sowie Technologie-Workshops und -Veranstaltungen. Im April 2019 organisierte Re:Coded im Irak den ersten landesweiten Hackathon, an dem mehr als 731 junge Menschen in fünf Städten teilnahmen. Die Programmierer-Bootcamps von Re:Coded haben bisher 192 Entwickler hervorgebracht. Mehr als 85 Prozent der Absolventen fanden 2018 innerhalb von 6 Monaten eine passende Arbeitsstelle.
RBK: eXtreme Learning für ein extremes Umfeld
Die im jordanischen Amman ansässige Organisation RBK setzt auf ein Konzept namens „eXtreme Learning (XL)“, um den Lernprozess zu beschleunigen und neue Fähigkeiten zu vermitteln, sodass die Teilnehmenden nach vier Monaten bereit für den Arbeitsmarkt sind. Als Karrierebeschleuniger mit weitreichenden Verbindungen in die Technologie-Community der Region lebt RBK die Mission, Softwareentwickler hervorzubringen, die für den Arbeitsmarkt bereit sind, eine Stelle finden, mit der sie ihren Familien Stabilität bieten können, und zur Entwicklung der lokalen Wirtschaft beitragen. Die Vermittlungsquote von RBK-Absolventen liegt bei 98 Prozent, und das durchschnittliche Einstiegsgehalt beträgt 1.130 US-Dollar, wie die Weltbank bestätigt. Allein 2018 brachte das Programm 67 fertig ausgebildete Softwareentwickler hervor, die zusammen während ihres Arbeitslebens über 268 Millionen US-Dollar zum Bruttoinlandsprodukt beitragen werden.