Auch wenn Quantentechnologien uns derzeit erst fern am Horizont der technischen Errungenschaften aufzuflackern scheinen, hat SAP diesen Megatrend bereits fest im Blick.
Minus 273 Grad Celsius. So wenig beträgt die Betriebstemperatur eines Quantencomputers. Die hochsensiblen Geräte müssen zudem gegen äußere Einflüsse (wie Temperaturschwankungen und Strahlung) geschützt werden, sonst droht der Betriebsausfall. Schwer vorstellbar, dass diese Maschinen und die Technologien, die durch ihren Einsatz ermöglicht werden, bei einigen Problemstellungen schon bald klassischen Rechnern Konkurrenz machen könnten.
Werden Quantencomputer das goldene Zeitalter der Informationstechnologie einleiten? Welche Technologien kann SAP einsetzen? Im Bereich SAP Security Research beschäftigen sich die Mitarbeitenden mit diesen Fragestellungen und prüfen, wie man die exponentiellen Rechenkapazitäten einsetzen kann. Zugleich muss der Schutz geschäftskritischer Daten ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden, weil konventionelle Verschlüsselungen durch die schnellen und höheren Rechenleistungen von Quantencomputern angreifbarer werden.
„Vor etwa fünf Jahren haben wir bei SAP Security Research das Thema Quantentechnologien aufgegriffen. Inzwischen beschäftigen wir uns mit diversen Fragestellungen zur Datensicherheit und darüber hinaus“, sagt Andrey Hoursanov, Strategy Lead for Quantum Technology bei SAP Security Research.
Quantencomputing: Daten schneller und non-binär verarbeiten
Experten trauen den Quantentechnologien, die Quantencomputing, -kommunikation, -simulation, -sensing und Post-Quanten-Kryptographie umfassen, ein enormes Potenzial zu. Laut einer Studie von McKinsey könnte zum Beispiel Quantencomputing bis 2035 einen weltweiten Marktwert von einer Billion US-Dollar erreichen.
Bereits heute liegen die geschätzten jährlichen Investitionen weltweit bei 22,5 Milliarden US-Dollar und das Analystenhaus IDC prognostizierte, dass Quantencomputing bis 2023 für 25 Prozent der Fortune Global 500-Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil bringen wird.
Quantencomputing bringt einen Paradigmenwechsel in der Datenverarbeitung mit sich. Ein klassischer Computer funktioniert elektronisch und rechnet binär mit Bits, die nur genau einen Zustand annehmen können, 1 oder 0. Die Prozesse eines Quantencomputers geschehen im Gegensatz dazu auf physikalischer Teilchenebene und basieren auf Qubits. Sie folgen den Gesetzen von Superposition, Interferenzen und Verschränkung (Entanglement), das heißt, sie können mehrere Zustände gleichzeitig annehmen und zudem untereinander interagieren – was ermöglicht, Daten simultan und nicht mehr sequenziell zu verarbeiten. Zudem kann die Rechenleistung bei einigen Algorithmen mit jedem zusätzlichen Qubit exponentiell ansteigen.
„Wenn sich Quantentechnologien zunehmend bewähren, könnten wir in Zukunft komplexe Aufgaben lösen, an denen heute selbst die leistungsfähigsten Supercomputer scheitern“, sagt Martin Heinig, Head of New Ventures and Technologies bei SAP.
Konkret könnte das beispielsweise für die Logistik bedeuten, dass an jedem Punkt einer Lieferkette die bestmögliche Route, Verkehrsmittel und Produktmenge zum Auslieferungszweck bereitstehen und sich beständig selbst aktualisieren. Ebenso für andere Branchen ließen sich Geschäftsprozesse maßgeblich besser und schneller simulieren, wie es von den Unternehmenssoftwarelösungen der SAP gefordert wird.
Auch maschinelles Lernen bei SAP-Lösungen kann durch Quantentechnologien enorm beschleunigt werden, denn es lassen sich in kürzerer Zeit viel mehr Trainingsdatensätze einspeisen und somit künstliche Intelligenzen unfassbar schlau machen.
Konventionelle Verschlüsselungen „quantensicher“ machen
Doch die Vorteile der immensen Rechenleistung, die Quantentechnologien versprechen, stellen auch eine große Herausforderung für herkömmliche Verschlüsselungsmethoden dar. Eine Verschlüsselung, die für klassische Computerstandards nämlich bislang als sicher galt, kann für die Rechenparadigmen eines Quantencomputers kein Hindernis mehr darstellen. Quantenhacker könnten mit Hilfe der hohen Rechenleistung den Schlüssel eines konventionellen Kryptografiesystems rasch analysieren, chiffrierte Nachrichten lesen und falsche Signaturen erzeugen. SAP-Kunden erwarten, dass die Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit ihrer geschäftskritischen Daten und Prozesse jederzeit gewährleistet ist. Zur Vorbereitung auf diese neuen Bedingungen gehört für SAP daher die Sicherung kritischer und sensibler Daten durch Post-Quantum- oder quantenresistente Kryptosysteme.
Die SAP analysiert kontinuierlich neue kryptografische Algorithmen und hat bereits mehrere Proofs of Concept entwickelt, um die Praxistauglichkeit von Algorithmen zu testen, die von der Forschung als „quantensicher“ eingestuft werden, und damit Hackerangriffen, Datenleaks und Spionage vorzubeugen.
Wo SAP bereits in der Quantentechnologie aktiv ist
Die SAP forscht bereits seit Jahren im Bereich Quantentechnologien und kann daher mit Expertise aufwarten.
Andrey Hoursanov, der die Initiative Quantentechologien bei SAP von Anfang an vorantreibt, sagt: „Viele Kunden fragen bereits an, wo SAP bezüglich Quantentech stehe. Wir haben gemeinsame Interessen. Es geht um die Optimierung von Lieferketten, logistischem Transport, Lagerverwaltung, vielleicht auch Finanzen mit Portfolio-Optimierung. Und allem voran geht es um Datensicherheit.“
Das Team von SAP Security Research engagiert sich stark in der Quantensicherheits-Community. Die Kollegen entwickelten einen Prototyp für quantensichere Signierung von Softwarepaketen. Um Anwendungsfälle und Schwachstellen im Zusammenhang mit der Quantenkommunikation zu entdecken, untersuchen sie Daten während der Übertragung, Schlüsselverwaltung und Verteilungsinfrastruktur.
Um Quantentechnologien wirtschaftlich zu machen, ist die Zusammenarbeit zwischen industriellen und akademischen Partnern sowie die Beteiligung an multidisziplinären Konsortien erforderlich. So ist SAP am EU Quantum Flagship, eine der größten Forschungsinitiativen der EU, beteiligt. Außerdem ist sie Gründungsmitglied des European Quantum Industry Consortium sowie des Quantum Technology and Application Consortium. Dort tauschen sich SAP-Fachkräfte mit führenden Experten und Akteuren der Quantentechnologie – darunter zahlreiche SAP-Kunden – aus.
Auch wenn Quantentechnologien heute aus praktikablen Gründen noch nicht vollumfänglich eingesetzt werden können, steht also bereits fest, dass sie für die Datenverarbeitung enorme Möglichkeiten versprechen, insbesondere in den Bereichen der sicheren Kommunikation und der effizienten Lösung schwieriger Probleme. SAP ist an dieser Entdeckungsreise beteiligt.
Fragen an den Experten
Andrey Hoursanov, Strategy Lead for Quantum Technology bei SAP Security Research, nimmt Stellung zu einigen häufig gestellten Fragen zu Quantentechnologien.
Werden Quantencomputer klassische Computer ersetzen?
Andrey Hoursanov: Technisch gesehen handelt es sich bei klassischen Computern um Quantengeräte, die nicht die volle Leistung der Quantenmechanik nutzen. Ironischerweise macht der Verzicht auf die Nutzung von Quanteneigenschaften für Berechnungen klassische Computer sehr effizient in dem, was sie am besten können: logische und arithmetische Operationen. Quantencomputer können das nicht besser. Sie sind jedoch besser geeignet bei Aufgaben wie der Suche nach dem schnellsten Lösungsweg bei komplexen Problemen, was für klassische Computer extrem schwierig ist. Es ist also nicht zu erwarten, dass Quantencomputer klassische Computer ersetzen. Sie werden diese vielmehr ergänzen und bei der Lösung spezifischer Probleme, wie beispielsweise Optimierung und Faktorisierung, unterstützen.
Wird Quantencomputing Cloud Computing ablösen?
Quantencomputer sind recht teuer, erfordern spezielle Umgebungen und sind dafür gedacht als Co-Prozessoren für bestimmte Aufgaben eingesetzt zu werden – all das macht sie zu einer sehr gut nutzbaren Rechenressource für spezielle Zwecke in einer Cloud. Es scheint so, als würden alle großen Cloud-Anbieter dies erkennen und in die Entwicklung und Integration von Quantencomputern in ihren Einsatzbereich investieren. Quantencomputer werden das Cloud Computing nicht verdrängen, sondern vielmehr auf eine neue Ebene heben.
Werden Quantentechnologien Blockchain gefährden?
Die Blockchain-Technologie basiert auf Verschlüsselungsverfahren, die durch Quantencomputer bedroht sind. Wenn man für Blockchain nicht neue Verfahren aus der sogenannte Post-Quanten- oder der quantenstarken Kryptografie einsetzt, wird diese Technologie anfällig für Angriffe wie Identitätsdiebstahl und die Durchführung unautorisierter Transaktionen. Das Blockchain-Team im SAP Innovation Center Network hat bereits mit der Entwicklung eines Prototyps für eine quantensichere Blockchain unter Verwendung eines neuen Schlüssels begonnen.
Können Quantentechnologien Bitcoin knacken?
Bitcoin nutzt die Blockchain-Technologie und ist somit anfällig für „Quantenangriffe“. Bitcoins sind starr konzipiert, was eine Migration bestehender Einheiten in ein neues Kryptografiesystem zusätzlich erschwert. Während private Blockchain-Systeme mit überschaubarem Aufwand und minimalen Störungen auf eine neue Verschlüsselung migriert werden können, ist dies bei öffentlichen Blockchains wie Bitcoin kaum durchführbar.