Lesen Sie hier, was neue Regelungen zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten für uns und unsere Geschäftspartner bedeuten.
“Neues Lieferkettengesetz: Erste Entschädigungen für Wanderarbeiter“, titelte die Tagesschau, die bekannteste Nachrichtensendung des deutschen Fernsehens, Ende Januar auf ihrer Internetseite. Die Investigativeinheit des Senders hatte aufgedeckt, dass taiwanesische Unternehmen, die für deutsche Automobilzulieferer wie Bosch, Continental oder Hella produzieren, nun erste Entschädigungszahlungen an Wanderarbeiter leisten.
Viele dieser Arbeiter kommen aus Vietnam und mussten in der Vergangenheit für die Vermittlung der Jobs das Drei- bis Vierfache des in Vietnam geltenden Mindestjahreslohns bezahlen. Einige sollten zusätzlich umgerechnet 950 Euro hinterlegen, die sie nur dann zurückerhalten, wenn sie die dreijährige Vertragslaufzeit erfüllen. Die meisten Arbeitnehmer und ihre Familien nahmen dafür erhebliche Schulden auf, berichten die Betroffenen.
Erste Erfolge des LkSG
Angestoßen wurden die Untersuchungen über die Zwangsarbeit schon letztes Jahr durch Berichte in „Le Monde Diplomatique“ und „The Diplomat“. Die europäischen Automobilzulieferer gingen daraufhin den Anschuldigungen nach, deckten Menschenrechtsverletzungen auf und vereinbarten mit den betroffenen Geschäftspartnern in Taiwan, dass die Arbeitenden nun Rückzahlungen erhalten und künftig keine Anwerbegebühren mehr bezahlen müssen.
Dass die Menschenrechtsverletzung aufgedeckt und zumindest teilweise abgestellt wurde, scheint ein erster Erfolg des Deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) zu sein, das am 1. Januar 2023 in Kraft trat. Es regelt die Sorgfaltspflichten von in Deutschland tätigen Unternehmen und verpflichtet diese zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards innerhalb ihrer weltweiten Wertschöpfungsketten. Die im Gesetz definierten Sorgfaltspflichten beziehen sich sowohl auf die Geschäftstätigkeiten der betroffenen Unternehmen als auch auf die ihrer Lieferanten. Das Gesetz will somit die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verbindlich umsetzen. Gesetze in weiteren Ländern, wie der Modern Slavery Act bzw. Bill in Großbritannien und Australien oder der California Transparency in Supply Chains Act, zielen in eine ähnliche Richtung.
Achtung von Menschenrechten und Umwelt entlang der Lieferkette
Das LkSG verweist auf internationale Menschenrechts- und Umweltstandards, auf die bei der Erfüllung der Sorgfaltspflichten zu achten ist. Dazu zählen unter anderem das Verbot von Kinderarbeit, der Schutz vor Sklaverei und Zwangsarbeit, die Freiheit von Diskriminierung, der Schutz vor widerrechtlichem Landentzug, der Arbeitsschutz und damit zusammenhängende Gesundheitsgefahren, das Verbot des Vorenthaltens eines angemessenen Lohns, das Recht, Arbeitnehmer*innenvertretungen zu bilden, der Schutz vor Folter und das Verbot der Herbeiführung einer schädlichen Bodenveränderung oder Gewässerverunreinigung. Bei Verstößen drohen hohe Bußgelder und der Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen. Der Entwurf des EU-Lieferkettengesetzes, das momentan verhandelt wird, ist in mancherlei Hinsicht sogar deutlich strenger als das deutsche.
Das LkSG sieht vor, dass alle Unternehmen ab einer bestimmten Größe Verantwortlichkeiten festlegen, z.B. über die Ernennung eines Menschenrechtsbeauftragten. Diese oder dieser hat die Aufgabe, die Umsetzung und Ausführung des Risikomanagements zu überwachen. Hierzu gehört es unter anderem, die Risikoanalyse und die Abhilfe- und Präventionsmaßnahmen zu überprüfen.
Als Menschenrechtsbeauftragte der SAP wurde zum 1. Januar 2023 Stephanie Raabe aus dem Corporate Sustainability Team benannt, die sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema auseinandersetzt und es vorantreibt. „Alle Unternehmen, die sich ernsthaft mit Nachhaltigkeit beschäftigen, kommen am Thema Menschenrechte nicht vorbei. Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (UN SDGs) sind so formuliert, dass sie das Leben von Menschen verbessern und damit Menschenrechte fördern sollen, beispielsweise Ziel 1 (Keine Armut), 2 (Kein Hunger), 3 (Gesundheit und Wohlergehen), 8 (Menschenwürdige Arbeit), und Ziel 10 (Weniger Ungleichheiten). Menschenrechte sind ein Teil unserer Nachhaltigkeits-Ambition: „Null Emissionen. Null Abfall. Null Diskriminierung,“ sagt Raabe.
„Kein Unternehmen, das ich kenne, hat jemals gesagt: ‚Wir respektieren die Menschenrechte nicht‘. Meine Frage war: ‚Woher wissen Sie, dass Sie die Menschenrechte achten? Und können Sie beweisen, dass Sie es tun? Verfügen Sie über Systeme, mit denen Sie diese Behauptung untermauern können?‘“
John Ruggie, Sonderbeauftragter für Wirtschaft und Menschenrechte des ehemaligen Generalsekretärs Kofi Annan.
LkSG rechtsgültig umsetzen
Als sich vor ca. zwei Jahren die Einführung des LkSG abzeichnete, haben Raabe und ihre Kolleg*innen zunächst ein Projektteam gegründet, zu dem sie u.a. Kolleginnen und Kollegen von Sustainability, Einkauf, Global Risk and Assurance Services und People and Operations einluden. Die Aufgabe des Teams war es, die gesetzlichen Anforderungen zu analysieren und die Umsetzung zu organisieren. Es ist dem Projektteam gelungen, pünktlich zum 1.1.2023 die nötigen gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen. Hierbei geht es um fest definierte Verantwortlichkeiten, die Einführung eines Beschwerdemechanismus, sowie Risikoanalysen des eigenen Unternehmens und der Lieferkette.
Zudem haben sie die Zusammenarbeit mit anderen Betroffenen angestoßen, etwa über Branchenverbände. „Nur wenn wir, etwa bei der Beschaffung von Hardware, mit anderen Unternehmen an einem Strang ziehen, können wir wirklichen Einfluss geltend machen. Zum Beispiel, wenn es um den menschenrechtlich unbedenklichen Abbau von Rohstoffen in Entwicklungs- und Schwellenländern geht,“ sagt Raabe.
Das LkSG verpflichtet Unternehmen also einerseits, Strukturen und Abläufe sowie Strategien und Verhaltensweisen zu etablieren, in denen Menschenrechte respektiert werden. Andererseits geht es bei konkreten Vorfällen darum, Abhilfe zu schaffen. Dies wäre der Fall, wenn ein Unternehmen eine Verletzung von Menschenrechten verursacht oder dazu beigetragen hat.
Menschenwürdige Bezahlung
Raabe kann dafür ein eigenes Beispiel nennen: „Durch eine Analyse, die wir 2022 gemacht haben, stellten wir fest, dass sechs Mitarbeitende in Brasilien, die durch eine Übernahme zur SAP kamen, so entlohnt wurden, dass sie damit keinen angemessenen Lebensstandard erreichen konnten – obwohl sie den lokalen Mindestlohn verdienten. Als wir das herausgefunden haben, hat HR gehandelt und die Löhne in der nächsten Gehaltsrunde angehoben. Leider liegt in einigen Ländern der gesetzliche Mindestlohn unter einem existenzsichernden Lohn. Dieser Fall zeigt außerdem, dass wir auch bei Übernahmen auf menschenrechtliche Aspekte achten müssen.“
Dennoch kam die Analyse zu dem Ergebnis, dass unser Unternehmen durch die angemessenen oder guten Gehaltszahlungen in den meisten Ländern einen sehr positiven Einfluss auf das Leben ihrer Angestellten hat. „Die Abweichung in Brasilien konnten wir durch die Analyse erkennen und beheben,“ sagt Raabe.
Sie erklärt, dass wir durch das LkSG stets gefordert sind, basierend auf unserer Risikoanalyse wirksame Präventions- und Abhilfemaßnahmen anzustoßen. Dabei dürfen wir auf Basis des erhöhten Risikos priorisieren. „Für unsere Lieferkette bedeutet dies konkret, dass wir z.B. risikobehaftete Lieferanten genauer unter die Lupe nehmen, mit ihnen ins Gespräch gehen. Wir müssen aber auch unsere eigenen Einkaufspraktiken kritisch hinterfragen, z.B. ‚ist es bei einem bestimmten Preis, der uns angeboten wird, überhaupt möglich, angemessene Löhne zu zahlen?‘“ erläutert Raabe.
Einen Schritt weiter
Für die Menschenrechtsbeauftragte reicht es aber nicht aus, allein die gesetzlichen Anforderungen umzusetzen. Sie sagt: „Als Vordenker und Vorreiter der Nachhaltigkeit können wir nicht bei gesetzlichen Vorgaben stehen bleiben, sondern müssen uns darüber hinaus mit der Frage beschäftigen, wo überall Menschenrechte für SAP eine Rolle spielen. Zum Beispiel geht es auch um die Frage, welche Auswirkungen wir in Zusammenhang mit unseren Lösungen beim Kunden haben – zum Beispiel im Bereich der künstlichen Intelligenz. Hiermit beschäftigt sich seit einigen Jahren unser AI Ethics Programm.“
Das Corporate Sustainability Team hat das Ziel, SAPs Einfluss auf Menschenrechte zu analysieren und ganzheitlich zu verstehen. So arbeiten sie auch mit den Kolleginnen und Kollegen auf der Produktseite zusammen, damit sie voneinander lernen, wie SAP Lösungen dazu beitragen können, Menschenrechte zu achten, die Umwelt zu schützen und gesetzliche Anforderungen noch einfacher und besser zu erfüllen.
„Offensichtliche Lösungen sind SAP Ariba Supplier Risk oder das SAP Business Network, die zu mehr Transparenz in der Lieferkette beitragen können. Dies wollen wir auch selbst nutzen und arbeiten mit SAP Partnern zusammen, die uns hilfreiche Daten für Analysen in SAP Ariba Supplier Risk zur Verfügung stellen,“ sagt Raabe und ergänzt: „Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten enden allerdings nicht mit Risikoanalysen von Lieferanten. Daher arbeite ich mit Kolleginnen und Kollegen auf Produktseite zusammen, um in unseren Lösungsangeboten auch die anderen Bereiche wie Incident Management, Arbeitssicherheit, Reporting oder Stakeholder-Analysen im Kontext menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht zu positionieren und voranzutreiben.“
Relevanz für alle Mitarbeitenden
Raabe sieht es als eine ihrer wichtigsten Aufgaben an, allen Mitarbeitenden weltweit bewusst zu machen, welche Rechte sie selbst genießen, aber auch welche Rechte sie mit ihrer Arbeit berühren, zum Beispiel wenn sie mit Lieferanten zusammenarbeiten. Ihr Team hat deshalb die Infosession „Respecting People and their Rights” entwickelt, die in vielen Sprachen verfügbar ist und Teilnehmende dafür sensibilisiert, wie sie selbst behandelt werden und wie sie andere behandeln sollten – immer mit Respekt vor der Würde der anderen. Zudem sollen sie wissen, wohin sie sich wenden können, wenn sie das Gefühl haben, dass ihre Rechte verletzt werden. „Wir haben mit dem Office of Ethics and Compliance, People Compliance und SAP Global Security zusammen gearbeitet, um Speak Out at SAP auch für Hinweise zu Verletzungen von Menschenrechten oder umweltrechtlichen Verpflichtungen zu öffnen,“ sagt sie.