Alexander Röckle ist seit dem 1. Januar 2024 Head of Service Industries bei der SAP Deutschland. Dazu zählen Banken, Versicherungen, Professional Services, Reise- und Transportunternehmen sowie Logistik-, Telekommunikations- und Medienfirmen. In diesem Interview spricht er über die Herausforderungen, vor denen Dienstleistungsunternehmen aktuell stehen und welche neue Chancen Cloud-Computing und verantwortungsvolle KI ihnen bieten können.
Zuvor verantwortete das Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung von SAP Deutschland das Großkundengeschäft für die Business Technology Platform (BTP). Sein Fokus lag dabei auf der datengetriebenen Transformation mit dem Ziel, gemeinsam praxisorientierte Lösungen und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Im Jahr 2006 stieß Alexander Röckle nach dem Studium der Wirtschaftsinformatik zu IBM und betreute dort als Sales Manager unter anderem Kunden wie Daimler, Siemens und Bosch. 2015 wechselte er zum Datenqualitätsspezialisten Informatica, wo er den Vertrieb für Deutschland und die Schweiz verantwortete. 2018 kam er zur SAP Deutschland und übernahm 2021 schließlich die Gesamtleitung des Geschäftsbereichs BTP.
SAP News: Gibt es in dem sehr heterogenen Dienstleistungssektor übergreifende Themen, die aktuell der gesamten Branche unter den Nägeln brennen?
Röckle: Auf jeden Fall. Auf der einen Seite spüren alle den wachsenden Kostendruck und sinkende Margen. Gleichzeitig müssen sie aber ihren Kunden und Mitarbeitenden Innovationen zur Verfügung stellen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Nachhaltigkeit ist ein weiteres Thema, das heute alle betrifft. Aktuell beschäftigen sich die Dienstleister auch sehr stark mit den neuen Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz und ihrer Rolle bei der Business Transformation.
Was steht bei diesem Thema 2024 in den Service Industries auf der Tagesordnung?
Immer mehr Unternehmen fokussieren sich stärker auf ihr Kerngeschäft und lagern deshalb bestimmte Prozesse wie den SAP-Betrieb in die Cloud aus. Und sie beschäftigen sich im Rahmen der notwendigen Veränderungsprozesse mit neuen Geschäftsmodellen, um besser auf die Anforderungen des Marktes reagieren zu können. Die technologische Entwicklung eröffnet hier viele Chancen und weitere Wege zur Monetarisierung von Dienstleistungen. Mit Hilfe der Cloud lassen sich solche Innovationen heute viel schneller gewinnbringend umsetzen.
Laut einer aktuellen Studie zählt die Dienstleistungsbranche zu den Vorreitern beim Cloud-Computing, können Sie sich also zufrieden zurücklehnen?
Auch wenn fast die Hälfte der Dienstleister in Deutschland bereits in irgendeiner Form Cloudanwendungen einsetzen, ist das Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft. Aus den Gesprächen mit unseren Kunden weiß ich, dass nahezu alle Unternehmen der Cloud aufgeschlossen gegenüberstehen. Aber oft werden solche Lösungen heute noch nicht in den geschäftskritischen Bereichen eingesetzt. Gerade in stark regulierten Bereichen wie bei den Finanzdienstleistern gibt es noch Hemmnisse, auch wenn die Veränderung in den letzten Jahren bereits sehr stark Fahrt aufgenommen hat und etliche Banken und Versicherungen mit ihren Kern-ERP-Systemen inzwischen in die Cloud gehen.
Was tun Sie, um eventuelle Vorbehalte auszuräumen?
Mit der SAP S/4HANA Cloud Public Edition bieten wir ein vollständiges ERP-System als Software as a Service-Lösung an, bei der wir uns um alle Updates, Innovationen und die Sicherheit kümmern und auch Wartung und Service erledigen. Dies bedeutet weniger Aufwand für die Unternehmen und geringere Komplexität. Und mit RISE with SAP erfolgt der Umzug in die Cloud mit Hilfe einer ganzen Reihe von Produkten, Tools und Services reibungslos und sicher. Wir holen unsere Kunden bei der Cloud-Transformation dort ab, wo sie jeweils stehen, bieten unterschiedliche Einstiegspunkte an und begleiten sie auch längerfristig auf diesem Weg.
Warum ist denn das Jahr 2024 der richtige Zeitpunkt für den Wechsel in die Cloud?
Natürlich ist der ideale Einstiegspunkt für jedes Unternehmen unterschiedlich. Aber wenn man strategische Innovationen wie Künstliche Intelligenz oder Nachhaltigkeitsmanagement mit dem Green Ledger mit uns umsetzen will, führt heute kein Weg mehr an der Cloud vorbei. Denn wir können solche Lösungen nur für eine breite Kundenbasis entwickeln und nicht unterschiedliche Softwareversionen berücksichtigen.
Ein weiteres Argument, noch im Jahr 2024 den Cloud-Einstieg zu wagen, ist unser bis zum Jahresende begrenztes Incentive-Angebot für Bestandskunden mit einem SAP On-Premise-System. Sie können damit die Migrationskosten um bis zu 50 Prozent verringern und so eine schnellere Wertschöpfung erzielen. Und natürlich sind die generellen Vorteile einer Cloud-Plattform aus einer Hand wie höchste Sicherheit, beste Service-Level-Agreements oder die Konzentration auf das eigentliche Kerngeschäft ebenfalls wichtige Gründe für eine baldige Migration.
Zum Stichwort KI, dass Sie schon mehrfach angesprochen haben: Welche Rolle spielt die Künstliche Intelligenz für die Service Industries?
Ob IT-Dienstleister, Banken, Versicherungen, Medienhäuser oder Transportunternehmen –alle beschäftigen sich intensiv mit generativer KI und evaluieren die passenden Anwendungsfälle. Grundsätzlich sehen wir bereits jetzt schon, dass gerade Service-Unternehmen die größten Potentiale für diese Technologie haben. Etwa im Kundendialog, im Angebotsmanagement oder in den Shared-Service-Funktionen. Hier können die Beschäftigten konkret entlastet und auch die Prozesse noch stark optimiert werden.
Mit unserem SAP-Lösungsportfolio aus KI-Eigenentwicklungen und Partnerschaften – wie zum Beispiel Aleph Alpha oder Nividia – sind wir für diese Herausforderungen auf der Technologie-Seite bereits sehr gut aufgestellt. Weil wir uns aber vor allem auf die Geschäftsprozesse unserer Kunden konzentrieren wollen, sprechen wir auch bewusst von Business AI. Außerdem legen wir großen Wert auf Verlässlichkeit, Vertrauen und ethische Korrektheit.
Haben Sie Beispiele für nützliche KI-Anwendungen im Dienstleistungssektor?
Greifen wir beispielsweise das Transportwesen heraus. Das habe ich selbst gerade persönlich erlebt, als ich kurzfristig einen Flug umbuchen musste. Die generative KI hilft hier bereits sehr gut, schnell auf Veränderungen zu reagieren – auch wenn es sehr komplexe Zusammenhänge und Abhängigkeiten zum Beispiel in einer Lieferkette gibt.
Als ich eine neue Flugroute über mehrere Stationen zusammenstellen musste, hat mich an der Hotline der Airline ein Chatbot unterstützt und tatsächlich sehr schnell einen funktionierenden Vorschlag gemacht. Erst ganz am Schluss kam dann ein Mensch im Call Center dazu. Das ist sehr viel effizienter und geht schneller. Kein Vergleich mehr zu früher, wo ich in ähnlichen Situationen Stunden in der Telefon-Warteschleife zubringen musste.
Oder nehmen wir die Versicherungswirtschaft, die ebenfalls ein großes Potenzial für den KI-Einsatz hat. Angefangen von einer zielgerichteteren Beratung der Kunden im Policen-Dschungel bis hin zur automatisierten Schadensbearbeitung und besseren Betrugserkennung. Die KI ist hier ein Schlüssel für Effizienz- und Ertragssteigerungen und senkt die Kosten, verbessert das Kundenerlebnis und ermöglicht neue Vertriebschancen.
Aber trotz aller Fortschritte in der letzten Zeit steht der Einsatz von KI-Anwendungen in den Service Industries bisher noch ziemlich am Anfang. Da werden wir in Zukunft noch viele spannende Use Cases erleben. Dennoch sind schon jetzt reichlich Vorteile durch den Einsatz der Künstlichen Intelligenz zu erkennen. Immer mehr Kunden kommen deshalb derzeit auf uns zu, damit wir gemeinsam an Lösungen für ihre aktuellen Herausforderungen mit Hilfe der generativen KI arbeiten. Umgekehrt haben wir aber auch viele Ideen, die wir unseren Kunden vorschlagen. Der Markt ist im Augenblick sehr dynamisch.
In Ihrer bisherigen Funktion bei der SAP haben Sie sich vor allem mit der Business Technology Platform sowie dem Daten und Analytics Thema beschäftigt – hilft Ihnen diese Erfahrung in ihrer neuen Aufgabe, wenn Sie zum Beispiel mit Kunden über den KI-Einsatz reden?
Auf jeden Fall! Denn ohne eine zentrale Datenplattform funktioniert die KI nicht. Saubere Daten sind der Knackpunkt, um die gewünschten Ergebnisse zu bekommen. Unsere Business Technology Platform ist dabei das Instrument, um ein einheitliches Datenmodell zu schaffen und KI-Lösungen in alle Geschäftsanwendungen zu integrieren. Von daher wächst ihre Bedeutung weiter und ich kann auch in der neuen Rolle von meinen bisherigen Erfahrungen sehr gut profitieren.
Auf der europäischen Kundenmesse SAP Sapphire vom 11. bis 13. Juni in Barcelona wird es spezielle Sessions für die Service Industries geben. Warum lohnt sich ein Besuch in diesem Jahr besonders?
Vor einem Jahr haben wir auf der Sapphire unseren ersten Use Case für generative KI gezeigt. 2024 wird es bereits eine Vielzahl von spannenden Anwendungen für diese Technologie „zum Anfassen“ geben. Die Sapphire bietet aber nicht nur die Gelegenheit, mehr über aktuelle Trends wie Künstliche Intelligenz, Cloud-Computing oder Nachhaltigkeit und unsere Lösungen für die Dienstleistungsbranche zu erfahren. Sondern es besteht während der Veranstaltung auch die Möglichkeit zu einem intensiven Austausch untereinander. Und natürlich freue ich mich besonders darauf, viele Kundinnen und Kunden aus den Service Industries in Barcelona begrüßen zu können und mit ihnen persönlich zu sprechen.