Angesichts der steigenden Anforderungen an unsere Ernährungssysteme stellt die Insektenzucht eine nachhaltige Alternative dar, die die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft unterstützt.
Eine richtungsweisende Verordnung der Europäischen Union hat offiziell den Weg für neue kulinarische Abenteuer bereitet: Seit Februar ist die Verwendung von Mehlwurmpulver in verschiedenen Lebensmitteln wie Brot, Nudeln, Käse und sogar Marmelade erlaubt.
Für manche Kulturkreise, in denen Insekten schon seit Jahrhunderten verzehrt werden, ist das nichts Neues. In anderen reichen die Reaktionen von Verwirrung bis hin zu echter Besorgnis.
Davon unabhängig wird die neue Verordnung Auswirkungen auf Unternehmen und die globale Lieferkette haben. Diese wollen wir im Folgenden ausführlicher beleuchten.
Warum Mehlwürmer nachhaltig sind
Vor dem Hintergrund des weltweiten Bevölkerungswachstums wird die Suche nach nachhaltigen Proteinquellen immer wichtiger. Angesichts der steigenden Anforderungen an unsere Ernährungssysteme stellt die Insektenzucht eine nachhaltige Alternative dar, die die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft unterstützt. Viele Regierungen sehen darin einen positiven, mutigen Schritt, um die Entwicklung alternativer Proteine unter anderem auf Insektenbasis zu unterstützen. Und sogar die Bundesregierung hat in ihrem Haushalt für 2024 insgesamt 38 Millionen Euro für die Förderung pflanzlicher und alternativer Proteinquellen bereitgestellt.
Das Züchten von Insekten hat in den letzten zehn Jahren vor allem deshalb so viel Aufmerksamkeit erregt, weil es eine wichtige Rolle bei der Verringerung der CO2-Emissionen spielt.Schätzungen zufolge werden 12 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen durch die Viehwirtschaft verursacht. Durch Insektenzucht lassen sich hingegen die CO2-Emissionen im Vergleich mit herkömmlicher Viehzucht um bis zu 80 Prozent verringern.
Der Flächen- und Wasserverbrauch ist bei der Produktion von Insektenprotein deutlich geringer als bei der traditionellen Viehwirtschaft. Für die Produktion von einem Kilo Rindfleisch werden rund 15 bis 20 km2 Fläche benötigt. Hierzu zählen sowohl Weide- als auch Ackerflächen für den Futteranbau. Im Gegensatz dazu sind nur rund 0,5 bis 1 m2 Fläche erforderlich, um ein Kilo Grillenprotein zu erzeugen – somit wird 95 Prozent bis 97 Prozent weniger Fläche verbraucht als bei der Rindfleischproduktion.
Was den Wasserverbrauch betrifft, so werden für die Produktion von einem Kilo Rindfleisch rund 15.415 Liter Wasser benötigt. Die Mehlwurmzucht hingegen ist wesentlich effizienter und erfordert nur rund 500 Liter Wasser pro Kilo erzeugtem Protein – und damit 96,8 Prozent weniger als die Rindfleischproduktion.
Larven als Müllverwerter
Mit dem Thema Insektenzucht assoziiert man vor allem auch modulare Zuchtsysteme. Diese lassen sich an verschiedenen Standorten errichten und ermöglichen Landwirten die Zucht und Mast von Insekten mithilfe von Bioabfällen, die vor Ort erzeugt werden. Damit wird auch das Problem der Abfallentsorgung direkt angegangen und eine nachhaltige Proteinquelle geschaffen, während zugleich deutlich weniger Transporte erforderlich sind und Emissionen verringert werden.
Das lässt sich anhand eines einfachen Szenarios veranschaulichen.
Stellen Sie sich ein Unternehmen vor, das ein modulares Insektenzuchtsystem implementiert, um vor Ort aus Küchenabfällen proteinreiche Mahlzeiten auf Insektenbasis herzustellen. Das Unternehmen verwendet die eigenen Abfälle oder Bioabfälle aus Haushalten und Restaurants in der Umgebung zur Fütterung der Insektenlarven und kann diese Larven dann zu wertvollen Produkten wie Tierfutter oder Düngemittel weiterverarbeiten. Dieses System geht nicht nur das Problem der Abfallbeseitigung an, sondern erzeugt zugleich auch eine nachhaltige, lokale Proteinquelle, verringert die Emissionen sowie das Abfallaufkommen und erschließt neue Einnahmequellen.
Falls Sie noch nie von den Larven der Schwarzen Soldatenfliege gehört haben, möchte ich Ihnen diese Meister der natürlichen Abfallbeseitigung kurz vorstellen. Diese Insekten sind sehr gute Verwerter von Lebensmittelabfällen und tragen dazu bei, dass weniger Abfälle auf Deponien landen und weniger Methanemissionen erzeugt werden. Ein weiteres beeindruckendes Insekt ist der Mehlwurm, der sogar Kunststoff verzehren kann. Nebenprodukte dieser Insekten, beispielsweise Insektenkot, können als nährstoffreiche organische Düngemittel eingesetzt werden. Dadurch lässt sich die Bodenqualität verbessern und die Abhängigkeit von chemischen Düngemitteln verringern, wodurch ein nachhaltigeres landwirtschaftliches Ökosystem gefördert wird.
Es ist eine Win-win-win-Situation für Insekten, Unternehmen und die Nachhaltigkeit.
Den Ekelfaktor überwinden
Doch seien wir ehrlich: Insekten sind nicht jedermanns Sache. Wenn ich einen Käfer auf dem Boden krabbeln sehe, schrecke ich instinktiv zurück und hole meine Katze als Notfall-Kammerjäger zu Hilfe. Die Vorstellung, dass Lebensmittel Insekten enthalten, ist buchstäblich schwer zu schlucken. Doch da sich nachhaltige, alternative Proteinquellen weltweit immer größerer Beliebtheit erfreuen, wächst auch die Nachfrage nach essbaren Insekten.
Nachhaltigkeitsinitiativen gepaart mit entsprechenden behördlichen Vorschriften und innovativen Start-ups haben dazu geführt, dass sich die Einstellung der deutschen Verbraucher gegenüber Lebensmitteln auf Insektenbasis verändert. Allein in Deutschland konnte der Markt für essbare Insekten in den letzten Jahren ein jährliches Wachstum von rund 24 Prozent verzeichnen. Die Zulassung von Mehlwurmpulver als sicheres Lebensmittel durch die Regierung ist ein konkretes Beispiel dafür, wie Gesetzesvorschriften Hersteller ermutigen, Insekten als Bestandteil gängiger Produkte zu verarbeiten und damit ihren Verzehr ein Stück weit Normalität werden zu lassen.
Es wird noch dauern, bis diese Produkte weltweit auf breite Akzeptanz stoßen, da sich auch die öffentliche Wahrnehmung nur langsam ändert. Aber vielleicht wird ja Mehlwurmmarmelade der nächste virale Hit, den jeder probieren möchte, und wir dürfen erleben, wie Mehlwürmer schon in wenigen Jahren knapp werden!
Originaltext hier.