Die tatsächlichen Auswirkungen der Unternehmensarchitektur werden ersichtlich, wenn wir von der Beschreibung zum Design übergehen. Dass es sich hierbei nicht nur um eine akademische Übung handelt, zeigen die Ergebnisse einer von Tray.ai Ende 2024 durchgeführten Umfrage: 86 % der Unternehmen müssen ihre Technologien aufrüsten, um KI-Agenten implementieren zu können. 

Die Unternehmensarchitektur galt lange Zeit als eher exklusive und akademische Disziplin, ist jedoch in jüngster Zeit wieder ins Rampenlicht gerückt.

Der genaue Zeitpunkt dafür lässt sich nicht ausmachen (ein Kandidat wäre der März 2022, als sich Ardoq 125 Millionen US-Dollar in einer Finanzierungsrunde der Serie D sicherte), doch nahm die Entwicklung 2023 definitiv Fahrt auf, als SAP die Übernahme von LeanIX verkündete.

Ziel dieser Übernahme war es vor allem, Unternehmen dabei zu unterstützen, ihre Transformation voranzubringen und zu steuern, bescheinigte damals Rouven Morato von SAP:

„Die Prozesse und Systemlandschaften von Unternehmen sind in den letzten Jahren hochgradig komplex geworden. Und als sie vor der Aufgabe standen, ihre IT-Systemlandschaft zu transformieren, hatten sie keinen Einblick in diese Landschaft. Wir befassten uns deshalb mit der Frage, wie sich die systembezogenen Aspekte einer Unternehmenstransformation effektiver bewältigen lassen. Das führte zur Übernahme von LeanIX, einem langjährigen SAP-Signavio-Partner und dem unangefochtenen Marktführer im Bereich Unternehmensarchitektur.“

Schon kurz darauf, im Juli 2024, benannte ServiceNow sein Produkt Anwendungs-Portfoliomanagement in „Enterprise Architecture“ um und im September 2024 verkündete Bizzdesign die Übernahme der beiden Unternehmensarchitektur-Anbieter MEGA und Alfabet (Teil der Software AG).

Angesichts der Höhe der Investitionen und der Konsolidierung dieses vormals eher unbekannten Nischenmarktes stellt sich die nicht ganz unberechtigte Frage: „Warum Unternehmensarchitekturen und warum jetzt?“

Um diese Frage zu beantworten, sollten wir uns zunächst genauer damit befassen, was eine Unternehmensarchitektur ist und welche Aufgabe ein Enterprise Architect hat.

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Grundlegende Funktion der Unternehmensarchitektur

Für diejenigen, für die die Unternehmensarchitektur eher ein esoterisches Fachgebiet ist, lässt sich die grundlegende Funktion relativ einfach zusammenfassen.

Jedes Unternehmen zeichnet sich durch bestimmte Fähigkeiten (sogenannte Business Capabilities) aus, d. h. durch die Dinge, die es können muss, um seiner Geschäftstätigkeit nachzugehen. Manche dieser Fähigkeiten sind allen Unternehmen gemeinsam, etwa die Fähigkeit, Personal einzustellen und zu entlohnen, die Fähigkeit, Rechnungen auszustellen und Geld einzutreiben, oder die Fähigkeit, Produkte und Dienstleistungen zu vermarkten.

Andere wiederum sind auf bestimmte Branchen beschränkt. Für Gerätehersteller sind Fähigkeiten wichtig, die für Anbieter von SaaS-Software keine Relevanz haben. (Eine ausführliche Übersicht über die potenziellen Business Capabilities, die ein Unternehmen benötigt, finden Sie hier.)

Mit dem Ist-Zustand beginnen

Die Unternehmensarchitektur kann man sich als Beschreibung und Design des komplexen Geflechts von Technologien vorstellen, die bestimmte Business Capabilities unterstützen. Ich spreche hier von „Beschreibung“, da es in den meisten Unternehmen zunächst gar keinen Enterprise Architect gibt. Die Technologielandschaft wächst vielmehr organisch. Wird eine Technologie benötigt, so erwirbt das Unternehmen diese und macht sich daran, sie möglichst gut in die bestehende Landschaft zu integrieren.

Wenn das Unternehmen wächst, wird die Landschaft irgendwann so komplex, dass ein organischer (sprich: unstrukturierter, ungeplanter) Ansatz im Hinblick auf die Unternehmensarchitektur mehr Probleme schafft, als er löst. Und wie Sie sich sicher denken können, werden diese Probleme zusätzlich verschärft, wenn das Unternehmen im Zuge von Fusionen und Übernahmen gewachsen ist. Man muss nur daran denken, wie mühselig es ist, zwei oder mehr ausufernde Technologielandschaften zusammenzuführen.

Von der Beschreibung zur Rationalisierung

Ein sorgfältig durchdachtes, gezieltes Management der Unternehmensarchitektur muss deshalb oberste Priorität haben. Und der erste Schritt in diese Richtung beinhaltet die Beschreibung des Ist-Zustands. Mit anderen Worten: Am Anfang steht eine Bestandsaufnahme der vorhandenen Technologien. Eine Bestandsliste ist für sich genommen noch nicht sehr aussagekräftig. Deshalb gleichen Enterprise Architects diese Bestandsliste mit der Business Capability Map des Unternehmens ab.

Sie können dabei sehr viel über Ihre IT-Landschaft erfahren, da unter anderem ersichtlich wird, in welchen Bereichen eine bestimmte Business Capability von mehreren Technologien unterstützt wird. Da das Kostenmanagement für viele CIOs und CFOs absoluten Vorrang hat, wird schnell deutlich, welche Vorteile eine einfache Abbildung von Technologien auf Business Capabilities mit sich bringt.

Möglicherweise stellen Sie fest, dass es in Ihrem Unternehmen infolge verschiedener Übernahmen vier Systeme für die Gehaltsabrechnung gibt (so erging es einem SAP-LeanIX-Kunden). Natürlich können Sie nicht einfach drei dieser Systeme ausmustern, sondern müssen sich ein Bild von der Gesamtsituation machen.

Sie müssen sich, wie vom Vice President of IT dieses Kunden empfohlen, folgende Fragen stellen: „Was sind die relativen Stärken und Schwächen einer bestimmten Anwendung, wenn es um die Erfüllung dieser Business Capability geht? Findet sie Anklang bei den Anwendern? Ist die Einstellung der Anwender negativ? Ist ihre Einstellung negativ, aber die Anwendung ist die einzige, die eine bestimmte Anforderung erfüllt?“

Bevor Sie also Änderungen etwa an Ihrem Gehaltsabrechnungssystem vornehmen, die sehr weitreichende Folgen haben können, müssen Sie die Auswirkungen solcher Änderungen sehr genau überschauen können. Diesen Einblick erhalten Sie mit einer Unternehmensarchitektur.

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Entwicklung einer Architektur für die Zukunft

Zwar können Sie sich mit einer Bestandsaufnahme einen ersten Überblick verschaffen, doch die tatsächlichen Auswirkungen der Unternehmensarchitektur zeigen sich, wenn wir von der Beschreibung zum Design übergehen. Dass es sich hierbei nicht nur um eine akademische Übung handelt, zeigen die Ergebnisse einer von Tray.ai Ende 2024 durchgeführten Umfrage: 86 % der Unternehmen müssen ihre Technologien aufrüsten, um KI-Agenten implementieren zu können.

In einem Artikel zu diesen Ergebnissen auf CIO.com brachte Maria Korolov das Problem auf den Punkt: „Bevor KI-Agenten in die Infrastruktur eines Unternehmens integriert werden können, muss diese Infrastruktur erst einmal auf moderne Standards gebracht werden.“

Überlegen Sie, was ein Unternehmen alles tun müsste, um vom Ist-Zustand zu diesen „modernen Standards“ zu gelangen. Die Beschreibung und Bestandsaufnahme des Ist-Zustands wären logischerweise Teil dieses Prozesses. Noch wichtiger wäre jedoch die Definition dieser Standards. In der heutigen Geschäftswelt würden solche Standards unter anderem das Priorisieren von Cloud-Technologie, die Einführung einer serviceorientierten Architektur für intern entwickelte Software und die Nutzung offener APIs beinhalten.

Aufgabe von Enterprise Architects ist es, sowohl die Technologiestandards für das Unternehmen zu definieren als auch die Einführung neuer und zukünftiger Technologien im Einklang mit diesen Standards zu steuern.

Die Strategie als Ausgangspunkt für Standards

Die Definition von Standards erfolgt jedoch nicht im luftleeren Raum, sondern orientiert sich an den strategischen Zielen des Unternehmens. Diese Ziele wiederum können unter dem Blickwinkel der Business Capabilities betrachtet werden.

Insbesondere muss das Unternehmen festlegen, welche Capabilities es für die zukünftige Umsetzung seiner Strategie benötigt. Der Enterprise Architect beginnt dann mit dem Design der Technologielandschaft, die zur Unterstützung dieser neuen Business Capabilities erforderlich ist. Die Standards dienen als Richtschnur für die Technologieentscheidungen, die das Unternehmen treffen muss.

Viele Unternehmen stehen dabei heute vor einer Herausforderung: Mit KI ist eine bahnbrechende neue Technologie aufgekommen. Diese Technologie hat das Potenzial, die Geschäftsabläufe von Unternehmen von Grund auf zu verändern. KI verspricht, die Produktivität und Effizienz schon bald durch die Automatisierung zeitaufwendiger manueller Aufgaben zu steigern.

Mit zunehmender Reife von agentenbasierter KI wird sich eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten eröffnen. KI-Agenten werden dank ihrer Anpassungsfähigkeit und ihrer Fähigkeit, Schlussfolgerungen zu ziehen, nicht nur Arbeitsabläufe vom Kundensupport bis zum Lieferkettenmanagement verändern, sondern auch die Art der Aufgaben, die damit ausgeführt werden. KI kann und wird dabei Unternehmen grundlegend transformieren.

Unternehmensarchitektur und das transformierbare Unternehmen

Es gibt jedoch ein Problem: Die meisten Unternehmen sind für eine Transformation, wie sie für den Einsatz von KI erforderlich ist, nicht bereit. Sie können nicht ohne Weiteres auf die Daten zugreifen, die KI-Tools benötigen, um größtmögliche Wirkung zu entfalten. Noch dazu ist ihre Landschaft nicht so strukturiert, dass Agenten mühelos durch diese Landschaft navigieren können.

Genau aus diesem Grund steht die Unternehmensarchitektur derzeit im Rampenlicht. Im Wesentlichen bedarf es einer Transformation der Unternehmensarchitektur, um von den Vorteilen der KI-Revolution zu profitieren. Enterprise Architects sind bestens positioniert, die erforderliche Architektur zu gestalten und zu definieren. Da sie den Ist-Zustand kennen, sind sie auch in der Lage, die Kursrichtung vorzugeben, wie das Unternehmen den Soll-Zustand erreichen kann. Und da für sie Standards eine zentrale Rolle spielen, können sie die Rahmenbedingungen für die Entwicklung einer Technologielandschaft schaffen, die heutigen und zukünftigen Anforderungen gerecht wird.

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