Auf der diesjährigen SAP for Energy and Utilities Conference in Rotterdam diskutierten führende Expertinnen und Experten aktuelle Herausforderungen und Chancen der Energiebranche. Daniela Haldy-Sellmann, Global VP und Head of Energy & Utilities Industries bei SAP, sprach im Interview über wichtige Trends, die Rolle neuer Technologien und ihre Einschätzung zur Zukunft der Versorgungswirtschaft.
Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie aktuell im Energiesektor?
In Deutschland und Europa haben wir einen dezentralen Markt, in dem wir verschiedene Marktrollen bedienen. Dazu gehören Lieferanten, Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber sowie Erzeuger. Für Energieversorger geht es darum, ihre Angebote attraktiver zu gestalten. Sie verkaufen nicht mehr nur Strom oder Gas, sondern versuchen, eine Kundenbindung aufzubauen und die Interaktion zwischen Kunden und Energieversorgern zu fördern. Kunden wünschen sich Transparenz darüber, ob ihr Strom Ökostrom ist und ob sie ihn selbst erzeugen können, etwa mit Solaranlagen. Dies verändert das Angebot der Energieversorger drastisch, erhöht aber natürlich auch den Druck auf die Wettbewerber, wirklich marktführend zu werden und ein Angebot ähnlich dem klassischen Retailer zu schaffen. Auf Seiten der Verteilnetzbetreiber sehen wir viele dezentrale Erzeugungsanlagen, die ins Netz einspeisen – von Solaranlagen für Einfamilienhäuser bis hin zu großen neuen B2B-Anlagen. Der Markt befindet sich im Umbruch, was sich natürlich auf die Energiepreise und die Notwendigkeit auswirkt, nachhaltige Angebote zu schaffen. Da die Margen der Energieversorger dramatisch gesunken sind, werden zusätzliche Energiedienstleistungen künftig die Haupteinnahmequelle sein.

Gerade die Dezentralisierung ist ein großes Thema auf der Konferenz. Könnten Sie den Begriff „distributed energy resources“ einmal allgemeinverständlich erklären?
Früher haben wir in großen zentralen Kraftwerken Energie erzeugt, und dann floss sie in eine Richtung über den Übertragungsnetzbetreiber und Verteilnetzbetreiber schließlich zum Endkunden. Künftig werden wir einen bidirektionalen Energiefluss haben, denn wir haben nicht nur große Erzeugungsanlagen oder zunehmend nachhaltige Erzeugungsanlagen wie Onshore- und Offshore-Parks, Solarparks, sondern auch Endkunden, die ebenfalls Energie erzeugen und ins Netz einspeisen. Letztlich ist der Begriff „distributed energy resources, (DER)“ nichts anderes als die Verteilung von Erzeugungskapazitäten von Endkunden und auch von Geschäftskunden, die in ein Netz einspeisen, das bisher nur eine und künftig zwei Flussrichtungen haben wird.
Welche Rolle spielt SAP bei der Verwaltung von Distributed Energy Resources (DER)?
Wir decken mit unserem Enterprise-Resource-Planning-System bereits alle Kernprozesse eines Unternehmens ab, insbesondere für Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber die gesamten Anlagenkomponenten. Das umfasst die Netze, die Erzeugungsanlagen und die Umspannwerke, bis hin zu den Energieendkunden. Was wir bei SAP jetzt tun, ist, für Messstellenbetreiber, Netzbetreiber und Energieversorger Transparenz darüber zu schaffen, was ein Endkunde heute tatsächlich in seinem Haus installiert hat. Früher waren das sehr unstrukturierte Daten. Mit unserem Messkonzeptmanagement können wir die Daten der Endkunden mit einer Ladebox, einer Solaranlage, einem Batteriespeicher oder einer Wärmepumpe abbilden und zur Planung nutzen. Wie hoch ist die Kapazität und Auslastung einer Solaranlage? Denn bei einer Über- oder Unterlast im Netz kann ich bei Bedarf mit den Kapazitäten arbeiten, die meine Endkunden zur Verfügung haben oder erzeugen, indem ich entweder Energie aus dem Netz ziehe oder einspeise. SAP nutzt dann die Daten der Zähler aus der Cloud, analysiert sie, bereitet sie auf und stellt sie je nach Szenario zur Verfügung. Wir integrieren diese Daten in unsere DER-Plattform, um Transparenz über den Verbrauch, aber auch eine angemessene Kontrolle zu ermöglichen.
Welche Lösungen bietet SAP Unternehmen für das Management von Nachhaltigkeitszielen/-verpflichtungen?
SAP bietet ein breites Nachhaltigkeitsportfolio. Dieses Portfolio ermöglicht im Wesentlichen Antworten auf Fragen wie: „Welche Emissionen entstehen in meiner Lieferkette?“, „Wie viele Emissionen hat ein von mir bereitgestelltes oder hergestelltes Produkt?“. Erstens kann ich einem Prüfer klar nachweisen, dass das Produkt die folgenden Emissionswerte aufweist. Zweitens kann ich dies auch anhand unserer Produkte verfolgen. Wie verändert sich dieser Wert beispielsweise? Wir verfügen über verschiedene Technologien und erfüllen selbstverständlich alle ESG-Standards, die unsere Produkte heute erfüllen müssen. Letztendlich können wir nicht nur die Finanzkonsolidierung, sondern parallel auch die Emissionskonsolidierung durchführen. SAP bietet zum einen den Sustainability Control Tower, außerdem das Sustainability Footprint Management. Dann haben wir unsere Green-Token-Anwendungen, den Green Ledger, der alles konsolidiert.
Ein Anwendungsszenario wurde auf der Energy and Utilities Conference in Rotterdam vorgestellt.
Ganz genau, wir haben das Energie-Dashboard vorgestellt. Es zeigt genau, was erzeugt wird, was von mir kommt und wie ich es nutzen kann. Als Endkunde, Energieversorger und Übertragungsnetzbetreiber möchten Sie genau wissen, mit welchen Energiemengen Sie in Ihrer geografischen Region, die Sie abdecken, arbeiten können/müssen, um die Netzstabilität zu gewährleisten – denn das ist das A und O.

Welche Strategie verfolgt SAP für Utilities?
Wir unterstützen unsere Kunden bei der Migration von ihren bestehenden ECC- und S/4HANA IS-U-Systemen auf eine cloud basierte RISE with SAP-Landschaft. So gewährleisten wir unseren Kunden ein konsistentes Datenlayout. Ergänzt wird dieser digitale S/4HANA Kern mit flexiblen Cloud Lösungen zum Beispiel zum Kundenmanagement. Außerdem geht es bei der Entwicklung der Energiebranche darum, mehr erneuerbare Energien zu nutzen, fossile Brennstoffe auslaufen zu lassen und die Portfoliodiversifizierung voranzutreiben. Wir sehen beispielsweise auch mehr Biodiesel und Biokraftstoffe in der Öl- und Gasindustrie. Wir sehen Technologien zur Kohlenstoffabscheidung und enorme Investitionen in Wasserstoff, die wir drastisch steigern müssen und genau das wird die SAP-Strategie verfolgen. Eine Anwendungslandschaft mit einem klaren Kernmodell, in der Innovationen kontinuierlich genutzt werden können.
Was begeistert Sie persönlich am meisten bei der Arbeit an der Schnittstelle von Technologie, Nachhaltigkeit und Versorgungswirtschaft?
Ich habe in vielen verschiedenen Branchen gearbeitet, darunter in der Automobil- und Fertigungsindustrie, im Hightech- und Gesundheitswesen. Aber der Energiesektor ist die Branche, in der ich die meiste Zusammenarbeit und den meisten Umbruch sehe. Betrachtet man die Net-Zero- und Carbon-Neutral-Ziele, die wir nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa und weltweit erreichen müssen und die Investitionen in erneuerbare Energien und Anleihen, so ist dies eine Branche mit enormen Wachstums- und Investitionsmöglichkeiten. Technologie ist das Rückgrat für alles, und wir bei SAP leisten einen Beitrag zur Energiewende, indem wir Prozesse für Endkunden vereinfachen oder sogar Technologien entwickeln, die ihre Möglichkeiten grundlegend verändern.
Bildquelle: SAP for Energy and Utilities, präsentiert von TAC Insights.