Als die SAP in den 1990ern Standardsoftware nach Korea brachte, war vor allem Samsung schnell elektrisiert. Nicht nur für die Beratung brachen spannende Zeiten an.
Für Christoph Behrendt begann ein frühes Kapitel seiner Karriere bei SAP mit einem Fauxpas: Sein Chef Lutz Kettner hatte den jungen Berater Ende 1994 nach Seoul geschickt, damit er bei einem Projekt nach dem Rechten sieht. Christoph kam nach einer langen Flugreise müde im Hotel Westin Chosun an und erfuhr, dass der Kollege, mit dem er sein Zimmer teilen würde, schon da sei: „Kollege? Zimmer teilen? Ich sagte, dass da wohl etwas schiefgelaufen sein müsse. Zum einen war ich alleine vor Ort, zum anderen wacht man mit sieben Stunden Zeitunterschied halt oft nachts auf“, erzählt Christoph, der heute bei SAP innerhalb der Intelligent Enterprise Group das Team Industry & Cross Development leitet.
Also suchte sich die zwei Meter große „Langnase“ ein paar Straßen weiter ein anderes Hotel. Was Christoph da noch nicht wusste: Es war in Korea üblich, auf Geschäftsreisen sein Zimmer mit einem Kollegen zu teilen. „Ich habe die Koreaner und ihre Gastfreundschaft verletzt“, sagt Christoph und räumt ein, dass durchaus noch weitere kulturelle Herausforderungen auf ihn und seine Kolleginnen und Kollegen warteten, die in den kommenden Monaten das erwähnte Projekt zum Laufen und die Voraussetzungen für die Landesgesellschaft Korea schaffen würden.
Was Christoph auch nicht wusste: Das Projekt beim Kunden Samsung Electronics würde die Grundlage für eine bis heute reichende sehr erfolgreiche Partnerschaft zwischen der SAP und dem Mischkonzern Samsung bilden. Während die SAP mit ihrer Standardsoftware Samsungs globale Expansion erst möglich machte, sorgten die Koreaner dafür, dass die SAP ein globales Betreuungskonzept für ihre Kunden entwickelte, das zur Blaupause für viele weitere Global Player wurde.
Konzept der Standardsoftware eingeführt
Denn in der erst 1989 in Singapur gegründeten Region SAP Asien passierte es noch häufig, dass die Vertriebler von Singapur aus den Unternehmen ihre Software verkauften, ihnen dann aber aus Ressourcengründen nicht erklären konnten, wie sie sie zum Laufen bringen würden. Auf der anderen Seite wussten viele IT-Experten in Korea und anderen asiatischen Ländern mit dem Konzept der Standardsoftware noch nichts anzufangen. Christoph: „Bei Samsung arbeiteten tausende Entwickler, die alle exzellent programmieren konnten. Als ich dort ankam, codierten sie gerade einen Vertriebsauftrag – bis ich ihnen zeigte, dass es das in SAP R/3 längst gab. Sie machten erstmal große Augen, als sie sahen, wie umfassend unsere Funktionalität bereits war. Klar, dass sie dann alle Module erlernen wollten.“
Innerhalb weniger Tage lotste Christoph nun mithilfe seines Chefs mehrere Berater nach Korea, die Schulung um Schulung, Kurs um Kurs hielten. Einer von ihnen war Stefan Eichinger, der das erste Mal nach Asien reiste. Der Applikationsberater für Anlagenbuchhaltung sollte in einem Workshop herausfinden, ob das R/3-Modul die Anforderungen der Koreaner abdeckte. „Das war angesichts der Tatsache, dass keiner von uns koreanisch sprach, nicht so einfach. Aber mit Dolmetschern und Englisch konnten wir uns so gut verständigen, dass ich nach 14 Tagen mit einer großen Liste an Kundenwünschen zur Standard-Entwicklung nach Walldorf zurückkehrte.“
Immer mehr Einheiten des koreanischen Mischkonzerns meldeten sich nun und wollten die deutsche Software nutzen. „Innerhalb der ersten sechs, sieben Monate hatten wir bestimmt weit über 30 Projekte alleine bei Samsung laufen“, erinnert sich Christoph. Und weil sich die Vorzüge von R/3 in der eng vernetzten koreanischen Wirtschaft schnell herumsprachen, klopften bald andere Unternehmen, von Hyundai bis LG, bei Christoph und seinem Team an. „Jetzt konnten wir nicht mehr so hemdsärmelig agieren, jetzt mussten wir das Ganze strukturiert angehen“, so Christoph.
Das sah auch die SAP-Führung in Deutschland so. Der für die Region Asien zuständige Vorstand Peter Zencke räumte ein, dass die SAP hier anfangs nicht genügend in die R/3-Schulung der Mitarbeiter und Kunden investiert hatte. Fortan stellte SAP in mehreren asiatischen Ländern zahlreiche zusätzliche Berater ein und baute in Singapur ein Support-Team mit Verfügbarkeit rund um die Uhr auf.
Eröffnung der Landesgesellschaft
Im Oktober 1995 eröffnete die neue Landesgesellschaft SAP Korea offiziell ihr Büro – noch immer im Westin Chosun Hotel. Lutz Kettner baute gemeinsam mit Christoph und anderen das Geschäft weiter aus, sie holten Partner an Bord und stellten koreanische Mitarbeiter ein. Eine von ihnen war Alice Hee Jeong Hong. „Es fühlt sich an wie gestern, als ich zum Bewerbungsgespräch ins Hotel kam und mir überlegte, ob ich die richtige Entscheidung treffen würde.“
Sie traf sie wohl, denn Alice ist noch immer bei SAP und als Head of Enterprise Support für Kunden in Korea zuständig. Auch sie erinnert sich gerne an die Arbeit für Samsung Electronics, die sie zwei Jahre lang als Technical Quality Manager betreute. „Wir haben damals Tag und Nacht für den Kunden gearbeitet. Aber ich habe so viel gelernt und eine Menge Erfahrung gesammelt.“
Auch die Samsung-Chefs lernten schnell, dass ihr bisheriger Ansatz, die eigenen Leute alles programmieren zu lassen, angesichts der bereits entwickelten Standardmodule wenig sinnvoll und zudem mit ihren Expansionsplänen nicht kompatibel war. Schon im September 1994 hatten Samsung und SAP vereinbart, dass die Koreaner fünf Jahre lang als neutraler Entwicklungspartner agieren würden. Samsung hoffte, bis Juni 1995 zunächst eine koreanische R/3-Version auf den Markt bringen zu können. „Aber sie hatten angesichts der Fülle an Funktionalität und eines nicht abreißenden Stroms an Innovation keine Chance“, sagt Christoph. Das SAP-Globalisierungsteam von Georg Hage-Hülsmann lieferte nun innerhalb weniger Monate eine koreanische Version, die nicht nur in die Landessprache übersetzt war, sondern auch die Steuergesetzgebung und andere rechtliche Anforderungen abdeckte.
Samsung auf Expansionskurs
So konnte auch Samsung Ressourcen umschichten und SAP-Expertise aufbauen. Denn die Koreaner waren längst auf globalem Expansionskurs und profitierten davon, dass die SAP ihre Internationalisierung schon einige Jahre zuvor vorangetrieben hatte. „Egal, wo auf der Welt Samsung neue Niederlassungen eröffnete, die SAP war meist schon da und konnte helfen“, sagt Christoph. „Und ich kann mir nicht vorstellen, wie diese Expansion hätte gelingen sollen, wenn sie alles selbst programmiert hätten.“
Gleichzeitig stiegen die Anforderungen der Koreaner. „Wir mussten komplexeste Prozesse abbilden, alles, was die verschiedenen Branchen brauchten, wollte Samsung haben“, erzählt Christoph, der seine Zelte nie ganz in Asien aufschlug. „Es war unbedingt notwendig, immer wieder in die Zentrale nach Walldorf zurückzukommen, die Anforderungsliste mit der Entwicklung und dem Support zu besprechen und Leute für Asien und für den Kunden zu begeistern.“ So erfand SAP auch die Rolle des Customer Support Managers (CSM), der sich strukturiert um einen Großkunden kümmerte, und entwickelte ein globales Konzept der Betreuung von Kunden der Größenordnung Samsungs. Dazu gehörte, das Partnernetz enger zu knüpfen und verstärkt auf Entwicklerressourcen in den jeweiligen Ländern zurückzugreifen anstatt Programmierer aus Deutschland zu den Kunden zu schicken. „So ließ sich die langfristige Betreuung sicherstellen“, sagt Christoph. Samsung wurde damit zum Vorreiter eines übergreifenden Konzepts, das später auch bei Kunden wie Procter & Gamble oder Nestlé umgesetzt wurde.
Schnelle Entscheidungsprozesse
Zusammen mit seinen Beraterkollegen implementierte Christoph SAP-Software in vielen anderen asiatischen Ländern von Indien über Japan bis Thailand. Sie gaben ihr Wissen weiter und lernten selbst immer wieder dazu. So würde er – wenn er nochmal eine Schulung vor koreanischen ITlern hielte – wohl nicht mehr mit der flachen Hand auf den Tisch schlagen, um die vor sich hindösende Gruppe vor dem kompletten Wegdämmern zu bewahren. Die Koreaner hatten schließlich jeden Tag zwölf Stunden zu arbeiten und noch jeweils zwei Stunden Fahrt nach Hause hinter sich zu bringen.
Die Aufbauarbeit in Korea hat ihn geprägt – und den Umgang mit seinen Mitarbeitern: „Such Dir die Richtigen aus, gib ihnen maximales Vertrauen, entwickle sie weiter und halt ihnen den Rücken frei, falls mal etwas schief geht!“ Die SAP sei „super gut darin gewesen, ihre Leute an der langen Leine zu führen. Und die Bereitschaft, sich gegenseitig auszuhelfen, egal wo und wie, war sehr, sehr hoch.“ Dazu waren die Wege kurz. Christoph: „Wenn Samsung eine Lösung für ihre Schiffsbausparte brauchte, haben wir geschaut, wer bei uns hierzu Erfahrung hat und wie wir die Expertise nach Korea bringen. Wir waren sehr schnell und flexibel. Und wenn wir eine Entscheidung brauchten, haben wir sie bekommen – auf beiden Seiten.“
So wuchsen die Teams zusammen. Wozu beitrug, dass SAPler, Kunden und Partner viel Zeit miteinander verbrachten – auch nach Feierabend und am Wochenende. Wenn Christoph und seine Kollegen in Seoul arbeiteten, übernachteten sie zwar weiterhin bevorzugt in Einzelzimmern. Christoph: „Aber als Team sind wir gemeinsam durch dick und dünn gegangen.“
Die Partnerschaft mit Samsung
Die Zusammenarbeit der SAP mit dem koreanischen Mischkonzern Samsung reicht zurück bis ins Jahr 1994, als man ein erstes Partnerabkommen schloss. Das Tochterunternehmen Samsung Electronics war der erste SAP-R/3-Kunde in Südkorea. Viele weitere Konzerntöchter, etwa Samsung SDS oder Samsung Life Insurance, sind ebenfalls SAP-Kunden. 2016 kaufte Samsung Electronics mit SAP Hybris Merchandising die erste Cloud-Lösung.