Fitness-Apps, Parkassistenten und Online-Banking per Smartphone. Die Digitalisierung ist heute überall. Doch im medizinischen Sektor findet ein Großteil der täglichen Arbeit bisher noch ohne digitale Hilfe statt. Das Projekt OP 4.1 entwickelte einen Prototyp einer intelligenten Plattform für den Operationssaal der Zukunft. Das Förderprojekt ist Teil des Technologieprogramms „Smart Service Welt II“, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) unterstützt wird.
Langsam kommt Bewegung in die Digitalisierung der Medizintechnik. In den letzten Jahren haben sich die chirurgischen Möglichkeiten durch die zunehmende Verknüpfung von Daten erheblich erweitert. Die technologische Entwicklung stellt der Chirurgie eine stetig wachsende Anzahl hochspezialisierter Geräte zur Verfügung. Hierzu gehören hochauflösende Bild- und Videoassistenzsysteme, Softwareanwendungen für die OP-Planung oder Operationsroboter für minimalinvasive Eingriffe. Operationen können mit diesen Assistenten präziser geplant, durchgeführt und nachversorgt werden.
Die Medizintechnik im Wandel
Schon heute profitieren Millionen von Menschen von dieser Entwicklung. Sie bedeutet jedoch auch eine steigende Komplexität im Operationssaal. Jede neue Innovation bedeutet mehr Informationen und Möglichkeiten. Sämtliche Geräte produzieren bei jedem Eingriff eine Menge unterschiedlicher Daten. Dazu kommen die individuellen Informationen des Patienten. Zwar werden diese aktuell gespeichert, sie stehen dem operierenden Arzt im OP aber nicht unmittelbar zur Verfügung. Es obliegt also jedem Arzt, die Daten sinnvoll zu verknüpfen. Prof. Dr. Markus Hohenfellner, Ärztlicher Direktor an der Urologischen Klinik des Universitätsklinikum Heidelberg und Konsortialführer des Projektes, bringt es auf den Punkt: „Alle diese Daten speichern und fusionieren wir als Ärzte kognitiv allein in unserem Kopf und dann stehen wir am OP-Tisch und führen diese Operation durch.“
Der Plattformprototyp ermöglicht es unter anderem, dass dem Arzt während einer OP verschiedene Daten zeitgerecht und zur jeweiligen Situation passend auf einem Dashboard dargestellt werden. Möglich wird dies durch die Verbindung von Applikationen, Datenquellen und Geräten. Ähnlich einem Navigationssystem, das Route, Staus, Umfahrungen und Spritverbrauch vorberechnet und aktualisiert, soll der OP 4.1 Prototyp die richtigen Daten zur richtigen Zeit liefern. „Sinnvoll verknüpfte Daten in der Medizin würden zum Beispiel bedeuten, dass man auch als Chirurg eine Art Leitpfad hat, so dass man direkt zu dem Tumor kommt und dabei möglichst wenig gesundes Gewebe beschädigt oder dass man den Tumor auch an nicht äußerlich sichtbaren Stellen möglichst schnell identifizieren kann“, erläutert Hohenfellner. Durch die intelligente Kombination von Daten können Operationen präziser durchgeführt und Patienten schneller und schonender therapiert werden. Hohenfellner ist sich sicher, dass sich die Ergebnisse des Prototyps durchsetzen werden.
Die Vision des Operationssaals der Zukunft
Der Operationssaal der Zukunft ist vernetzt und integriert sämtliche Daten auf einer intelligenten Plattform. Ein digitaler Assistent versorgt den Chirurgen in Echtzeit mit den wichtigsten Informationen und gibt Empfehlungen. Ein Roboter manövriert Instrumente zielgenau und schnell an die vorgesehene Stelle. Per Sprachbefehl können Informationen steril und intuitiv vom Chirurgen abgerufen werden. Apps auf der Plattform kombinieren sämtliche Daten in Echtzeit und projizieren dem Chirurgen den Tumor und die Blutgefäße im Gewebe dreidimensional direkt ins Sichtfeld. Ein anderes Programm berechnet währenddessen die Belastbarkeit des Gewebes und schlägt gegebenenfalls Alternativen vor. OP-Team, Pflegepersonal und die OP-Manager, die täglich sämtliche Operationen koordinieren, sind per Smartphone oder Tablet immer über den aktuellen Stand im OP informiert.
OP 4.1 – Der digitale Operationssaal kommt näher
Um diesem Ziel näher zu kommen, initiierte die Urologische Universitätsklinik Heidelberg das Projekt OP 4.1. In Kooperation mit der dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), KARL STORZ, mbits imaging, SAP und Siemens Healthineers wurde die prototypische digitale Plattform für den Operationssaal der Zukunft entwickelt. Damit verbunden sind auch viele Hoffnungen: medizinische Innovationen schneller zum Patienten zu bringen, Patienten schonender zu behandeln, effizientere Prozesse in den Krankenhäusern und eine Verringerung der Arbeitsbelastung des medizinischen Personals sind nur einige davon.
Das Projekt dient aber noch einem anderen Ziel: Es soll zeigen, wie die Markteinführung von Software-basierten Innovationen in die klinische Praxis vereinfacht und deren Interaktion mit den vorhandenen Geräten ermöglicht werden kann. Für die meisten Software-Innovationen sind die Markteintrittshürden derzeit noch zu hoch, weshalb sie es nicht bis in den OP und in die tägliche klinische Routine schaffen. Gründe sind häufig der fehlende Zugang zu den Daten der medizinischen Geräte oder die begrenzten Möglichkeiten für professionell umgesetzten Vertrieb und Wartung.
Prototyp ist Technologie- und Geschäftsplattform in einem
Zum Beginn des Projektes hatte sich die Heidelberger Universitätsklinik mit einer Anfrage um Unterstützung an SAP gewandt. Michael Byczkowski, Vice President User Experience bei der SAP erläutert: „Unser Hauptziel bei SAP ist, Partner und Kunden dabei zu unterstützen, ihre Ziele zu erreichen und erfolgreich am Markt zu sein.“ Ein Großteil der neuen Innovationen von Forschungseinrichtungen und Start-Ups sind außerdem Software-basiert. Ziel der Förderung war es deshalb eine Plattform zu entwickeln, auf der Software unkompliziert entwickelt, vertrieben und installiert werden kann. Grundlage für den OP 4.1 Prototyp ist die Business Technology Platform der etablierten SAP Cloud Platform, mit einem OP 4.1 projektspezifischen Datenschutzkonzept.
Der OP 4.1 Plattform Prototyp ist offen und erweiterbar und soll die Implementierung innovativer Apps in der Praxis vereinfachen. Neben der Möglichkeit einer technischen Verbindung zwischen Software und Geräten, ist der Prototyp auch eine Geschäftsplattform. „Konkret bedeutet das, ein Geschäftsmodell für einen mehrseitigen Markt zu schaffen, das Abrechnungsmöglichkeiten und damit echten kommerziellen Mehrwert bietet“ erläutert Byczkowski. Hierdurch sollen die Hersteller und Entwickler einen Anreiz bekommen, um ihre Daten auszutauschen. „Wir vernetzen die verschiedenen Gerätehersteller, die Kliniken und die unabhängigen Software-Entwickler miteinander, so dass sie untereinander Leistung austauschen können und auch entsprechend fakturieren können” ergänzt er.
Für die Gerätehersteller ist diese Geschäftsebene der Plattform attraktiv. Sie können neue und innovative Geschäftsmodelle planen und künftig exakt sehen, wie ihre Produkte im OP-Alltag interagieren und genutzt werden. Auch neue Abrechnungsmodelle sind vorstellbar. So kann ein Hersteller nicht nur seine Geräte selbst, sondern auch deren Nutzung abrechnen lassen (Pay-per-Use). Dadurch entstehen ganz neue Potenziale und Möglichkeiten für eine ergänzende Nutzung zwischen verschiedener Geräteklassen und Software.
Damit diese Potenziale sich entfalten können und im komplexen OP-Alltag ankommen, bedarf es eines tragfähigen Geschäftsmodells, das für alle Beteiligten einen relevanten Mehrwert bietet. „Die Plattform zeigt daher, dass es möglich ist mit einer Plattform einen Markt zu schaffen und die Kommerzialisierung zu unterstützen“, fasst Byczkowski zusammen.
Vier Apps zeigen das Potenzial des OP 4.1 Prototyps
Durch die OP 4.1 Plattform erhalten die Software-Entwickler Zugriff auf Sensordaten und Micro-Services der im OP-Umfeld eingesetzten Geräte und Datenquellen. Der Prototyp OP 4.1 wurde basierend auf dem bewährtem SAP Fiori Designsystem und dem neuen SAP Fiori 3 Quartz Dark Theme entwickelt und dabei an die spezifischen Benutzer-Anforderungen für Anwendungen im klinischen Umfeld adaptiert. Im Rahmen des Co-Innovationsprojektes entstanden auch vier Starter-Apps der Konsortialpartner:
- Kontextsensitive Augmented Realitydes DKFZ: Hilft bei der Navigation während einer OP, indem es Ziel- oder Risikostrukturen (wie z. B. einen Tumor) in Echtzeit bildlich einblendet.
- Live Perfusionsmessung des DKFZ: Wertet Bilddaten verschiedener Spektren aus und visualisiert z. B. den Blutdurchfluss in Gefäßen unter dem Gewebe bzw. die Durchblutung der Organe.
- Präzisionspunktion des DKFZ: Stellt computerunterstützt Lageinformationen der Punktionsnadel mit moderner Bildgebung kombiniert dar. Das ermöglicht eine präzise und navigierte Gewebepunktion.
- Mobiler Informationsservice von mbits imaging: Überträgt aktuelle Informationen über den OP-Verlauf von der Plattform auf mobile Endgeräte, angepasst an den Bedarf des Empfängers.
Instrumentenlandesystem für den OP
Piloten sind heute in der Lage bei minimalen Sichtbedingungen, zum Beispiel durch dichten Nebel oder starken Regen, ein Flugzeug sicher zurück auf den Boden zu bringen. Das gelingt ihnen vor allem dank eines Instrumentenlandesystems. Während der tonnenschwere Koloss durch eine mit bloßem Auge undurchdringliche Nebelwand fliegt, erhalten die Piloten alle relevanten Daten für den Anflug direkt auf ihren Instrumenten im Cockpit angezeigt. Die Genauigkeit der Informationen ermöglicht eine präzise und sichere Landung.
Ähnlich einem Landeanflug bei Nebel haben Chirurgen im OP keine freie Sicht in die Organe des Patienten hinein. Aber nur wenn man auch die genaue Lage z. B. eines Tumors innerhalb eines Organs kennt, kann man diesen so exakt wie möglich entfernen und dabei möglichst viel gesundes Gewebe schonen.
Die OP 4.1 Plattform zeigt prototypisch eine Navigationshilfe für Chirurgen um sicher zu „landen“. Sinnvoll verknüpfte Informationen, ermöglichen beispielsweise aktuelle „Landkarten“ des Patienten. Mittels Augmented Reality bekommen Ärzte Strukturen, Blutgefäße und andere Informationen direkt eingeblendet. Analog zum Landeassistenten können so präzise, sichere und schonende Eingriffe in einem OP-Saal der Zukunft ermöglicht werden.
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