Ein digitaler Zwilling sorgt dafür, dass die weltgrößte Offshore-Lachsfarm keine Schlagseite bekommt und zugleich die marinen Ökosysteme geschützt werden.
„Die weltweite Nachfrage nach Fisch steigt, was bedeutet, dass wir Farmen auf hoher See einrichten müssen“, erklärt Therese Berg, Vorstandsmitglied von Nordlaks. Therese Berg ist auf den Fischfarmen ihres Vaters aufgewachsen und hat miterlebt, wie die Fischindustrie in den norwegischen Fjorden in den vergangenen 30 Jahren gewachsen ist. Sie steht für eine neue Generation umweltbewusster Unternehmer, die es sich zum Ziel gesetzt haben, der weltweit steigenden Nachfrage nach Fisch und Meeresfrüchten gerecht zu werden und zugleich die Meeresökosysteme zu schützen.
Lachs ist nach Thunfisch der meistverzehrte Fisch und wird vor allem wegen seines hohen Gehalts an Eiweiß und Omega-3-Fettsäuren geschätzt. Bis 2026 wird der weltweite Lachsmarkt Prognosen zufolge um mehr als ein Drittel gegenüber dem Jahr 2020 auf 46,8 Mrd. US-Dollar anwachsen. Nachhaltiges Wachstum in der Lachsindustrie hängt jedoch von Umweltfaktoren ab, und bis ein Lachs aus der Fischbrutanstalt auf dem Teller landet, haben Produzenten eine Vielzahl von Herausforderungen zu bewältigen.
Video von John Hunt
Therese Berg weiß, dass es entscheidend für den langfristigen Erfolg von Nordlaks ist, die Gesundheit des Ökosystems sicherzustellen und sich um die grundlegenden Bedürfnisse der Meerestiere zu kümmern. „Eine artgerechte Haltung ist bei Lachsen ebenso wichtig wie bei anderen Tieren wie Schafen oder Kühen“, erläutert sie. „Wenn Lachse so gehalten werden, sodass sie ausreichend Platz zum Schwimmen in einer gut durchströmten Anlage haben, gut gefüttert werden und sich ausruhen können, sind sie von guter Qualität und schmecken.“
Fischfarmen: Ein neues Zeitalter der Aquakultur
Norwegens Fjorde sind auf den ersten Blick reich an Fisch und eingebettet in unberührte, unverbaute Natur. Doch tatsächlich stoßen herkömmliche Aquakulturbetriebe in den Fjorden an ihre Grenzen. Damit Lachse auch in Zukunft gedeihen und die Auswirkungen der Fischzucht auf das Ökosystem und die umliegenden Gemeinden verringert werden können, gehören die norwegischen Umweltvorschriften für Lachszüchter zu den strengsten weltweit. Aquakulturbecken müssen voneinander isoliert sein, um die Gesundheit des Zuchtlachses und anderer heimischer Fischarten zu gewährleisten.
Die Zukunft der Fischzucht liegt deshalb auf hoher See, und das norwegische Ministerium für Handel, Industrie und Fischerei schafft Anreize für Unternehmen wie Nordlaks, nachhaltige Aquakulturlösungen für exponierte Standorte entlang der schier endlosen Küste Norwegens zu entwickeln. Die Fischzucht in exponierten Bereichen gilt als erster Schritt in Richtung Offshore-Fischfarmen.
2017 sicherte sich Nordlaks eine Baugenehmigung für eine riesige Fischfarm, die Küstengewässern standhalten kann. Das Ergebnis ist die 385 Meter lange Plattform „Jostein Albert“, die nach der LNG-Produktionsanlage Prelude die zweitgrößte schwimmende Anlage der Welt und länger als das größte Kreuzfahrtschiff ist. Die sechs Netzgehege der Anlage können bis zu 10.000 Tonnen Lachs fassen. Das entspricht etwa zwei Millionen Fischen. In die Planung sind das gebündelte Know-how der norwegischen Schifffahrtindustrie und Aquakulturwirtschaft eingeflossen. Nordlaks hat bereits rund 400 Mio. Euro in Offshore-Farmen und ähnliche Innovationen investiert.
Sichere und nachhaltige Abläufe dank digitaler Zwillinge
Um die Sicherheit und ökologische Nachhaltigkeit der Zuchtanlage zu gewährleisten, setzt Nordlaks als Vorreiter der Industrie außerdem moderne digitale Technologie ein.
So werden unter anderem Daten von den sieben GPS-Sensoren, die auf dem Stahlrumpf angebracht sind, an ein mathematisches Modell der Plattform übertragen, das die strukturellen Lasten nahezu in Echtzeit präzise misst. Mithilfe dieses digitalen Zwillings kann Nordlaks die Abläufe an geänderte Meeresbedingungen anpassen, etwa wenn bei rauer See der Rumpf angehoben werden muss.
„Wir müssen sicherstellen, dass wir die Fischfarm nicht unnötigen Belastungen aussetzen, wenn wir zum Anheben und Absenken der Plattform den Ballast verringern bzw. erhöhen“, erklärt Trond Jørgen Hanssen von Nordlaks, der für die Anlage verantwortlich ist. „Der digitale Zwilling von SAP ermöglicht es uns, unnötigen Kielbruch zu verhindern.“ Diese Kontrolle ist entscheidend, da es zwischen der Wartungsposition und der Betriebsposition 12,5 Meter Höhenunterschied gibt, was den Tiefgang des Rumpfes betrifft.
Der digitale Zwilling des Rumpfes, der mit der cloudbasierten Lösung SAP Enterprise Product Development entwickelt wurde, überwacht außerdem die Gesamtlast auf der Struktur im zeitlichen Verlauf. So kann die Nutzungsdauer der Plattform maximiert werden. „Wir können sehen, welche Teile der Plattform im Lauf der Zeit den größten Belastungen ausgesetzt sind, und Gegenmaßnahmen ergreifen, um die Lebensdauer der Zuchtanlage zu verlängern“, führt Trond Jørgen Hanssen aus. Designteams können die Daten außerdem nutzen, und ihre Designparameter zu überprüfen und zukünftige Rumpfentwürfe zu optimieren.
Darüber hinaus kann Nordlaks mithilfe der SAP-Lösung laufend die Integrität der elf Anker überwachen, die an einem zentralen Punkt unter dem Bug befestigt sind. Auch die biologische Belastung am Meeresgrund wird überwacht. „Wir können auf der Grundlage von GPS-Daten die Bereiche abbilden, in denen am meisten gefressen wurde, und unsere Probenentnahmen auf diesen Bereich konzentrieren“, erklärt Trond Jørgen Hanssen.
Fischereien tragen zu wirtschaftlichem Wachstum in der Region bei
Die neue Vision von Nordlaks für die Lachszucht und die Investitionen des Unternehmens in der Region haben bereits einen deutlichen Aufschwung für die Wirtschaft vor Ort mit sich gebracht. Die Zahl der Mitarbeitenden von Nordlaks in der Gemeinde Hadsel im Norden des Landes ist in zwei Jahren um mehr als ein Viertel auf rund 700 Beschäftigte angestiegen. Nach Einschätzung von Nordlaks hat dies einen Dominoeffekt auf die wirtschaftliche Aktivität, und das Unternehmen hofft, Menschen aus anderen Teilen Norwegens in die malerische Region nördlich des Polarkreises locken zu können.
Laut Therese Berg werden weitere Arbeitskräfte benötigt. Sie sieht das Wachstum in der Industrie als Chance, Lachs zu einer erschwinglichen Eiweißquelle für die gesamte Welt zu machen. „Wir produzieren noch nicht genug Lachs, was die Preise hochtreibt. Wenn wir mehr erzeugen können, stabilisieren sich die Preise, wovon die ganze Welt profitiert“, erläutert sie. Sie hofft deshalb auf viele Mitstreiter, damit die Lachszucht auf hoher See zum weltweiten Erfolgsmodell werden kann. „Wer einschlägige Fähigkeiten hat, wird in dieser Branche gebraucht!“, bekräftigt sie.
Zu diesem Artikel beigetragen haben Lars Fredrik Martinussen, Thomas Borvik Johnsen und Marit Reiso