Das Projekt NEXT bei Schwäbisch Hall beweist, dass große IT-Umstellungen bei Finanzdienstleistern auch geräuschlos über die Bühne gehen können. Warum die Umstellung nur Step-by-Step möglich war – und wie dabei die Basis für eine innovative Zukunft geschaffen wurde.
In der IT-Welt brauchen weite Reisen ihre Zeit, und gerade anspruchsvolle Ziele lassen sich strukturiert Schritt für Schritt oft sicherer erreichen als mit Hektik. Ein starker Beleg dafür ist das Projekt NEXT – die Einführung eines neuen SAP-Kernbankensystems Kredit bei der Bausparkasse Schwäbisch Hall.
Weit war die Reise hier insofern, als es sich beim bisherigen System um einen Monolithen handelte, der über einen Zeitraum von 40 Jahren im Wesentlichen in Eigenprogrammierung entstanden war – und nicht mehr ertüchtigt werden konnte für sich zügig verändernde Erfordernisse der Branche und ihrer Kunden.
Oder jedenfalls nicht zu vertretbaren Kosten. So hätte sich das Altsystem nur mit erheblichem Aufwand an die aktuellen regulatorischen Anforderungen und an künftige Digitalisierungsnotwendigkeiten adaptieren lassen – vom absehbaren Fehlen der Know-how-Träger für die Programmiersprachen Assembler und Cobol ganz zu schweigen.
One-Stop-Shopping zu Kauf, Neubau und Modernisierung von Immobilien
Hinzu kommt, dass sich die Ansprüche der Kunden in den zurückliegenden Jahren stark gewandelt haben, so Kristin Seyboth, Vorstandsmitglied bei Schwäbisch Hall. „Anstatt lange im Netz zu recherchieren und zu vergleichen, entschieden sich die Menschen in der Vergangenheit recht schnell für einen Anbieter und blieben dann auch dabei. Detaillierte Finanzierungsfragen wurden dann meist im persönlichen Gespräch geklärt.“
Das ist bis heute durchaus gewünscht. Aber erst, nachdem sich der Kunde umfänglich online informiert hat – was bei einem komplexen Produkt wie der Immobilienfinanzierung auch Sinn macht. Schließlich geht es dabei längst nicht mehr nur um die Suche nach dem günstigsten Kredit, sondern auch um Themen wie Energiesparen, staatliche Fördermittel, Vermietung oder Selbstnutzung etc. pp. Schwäbisch Hall möchte alle dafür notwendigen Kompetenzen bündeln, um ihren Kunden ein One-Stop-Shopping zu den Themen Bauen, Modernisieren, energetisch Sanieren und Kaufen von Immobilien zu ermöglichen.
Die Voraussetzungen dafür könnten besser nicht sein, schließlich verfügt das Unternehmen über Daten von 6,5 Millionen Kunden, kennt deren Bedürfnisse und Wünsche in diesem Bereich wie kaum ein zweites.
Den Datenschatz umfänglich nutzbar machen
NEXT sollte also im Ergebnis die über viele Jahre gewachsene IT-Landschaft in die Neuzeit überführen, um die zeitgemäße Automatisierung von Prozessen und digitale Weiterentwicklungen ermöglichen und zunehmende regulatorische Anforderungen erfüllen zu können – und um den beschriebenen Datenschatz umfänglich nutzbar zu machen.
Möglich wurde all das durch die Einführung der modernen Kernbankenplattform SAP Transactional Banking for SAP S/4HANA. Zentraler Umsetzungspartner dabei war SAP Fioneer. Unter diesem Markennamen hatte SAP im September 2021 mit dem Investor DEDIQ ein Joint Venture gegründet, das auf die Finanzdienstleistungsbranche spezialisiert ist. Eine wichtige Rolle spielte auch iBS als Anbieter von Bausparkassen-Software mit seiner Lösung iBS BASS.
Schwäbisch Hall wollte vor allem eine langfristig zukunftsfähige Lösung etablieren, um nicht in Kürze das nächste Transformationsprojekt vor der Brust zu haben. Und um einen Beitrag zur Etablierung eines SAP-basierten Immobilienkreditstandards zu leisten – in Kooperation mit den Wettbewerbern BHW und Wüstenrot.
Zur Entflechtung brauchte es vor allem Kommunikation und Teamwork
Der Startschuss für NEXT fiel 2018. Ab 2019 stellt man zunächst das Kredit-Neugeschäft auf die SAP-Plattform um, ab 2022 dann Step by Step auch das Bestandsgeschäft.
„Wir haben das riesige Projekt ganz bewusst in realistische Zwischenschritte zerlegt, um bei der Transformation die ganze Organisation mitnehmen zu können,“ so Schwäbisch Hall-Vorstandsmitglied Kristin Seyboth. „Außerdem war der Aufwand hoch, weil das Kernbankensystem mit seinem hohen Transaktionsvolumen tief in die Systemlandschaft integriert war.“
„Wir haben das riesige Projekt ganz bewusst in realistische Zwischenschritte zerlegt, um bei der Transformation die ganze Organisation mitnehmen zu können“
Schwäbisch Hall-Vorstandsmitglied Kristin Seyboth
Zur Entflechtung brauchte es vor allem Kommunikation und Teamwork. In der Praxis bedeutete das, die Anwender bei der Ausgestaltung der Bearbeitungsprozesse, der eigentlichen Softwareentwicklung und den anschließenden Tests eng einzubinden. Sie bekamen nicht nur frühzeitig Informationen, sondern auch Schulungen und Trainings-on-the-Job.
Mehr als 50 Anbieter von Speziallösungen wurden angebunden
Durch das neue System konnte der Automatisierungsgrad in der Kreditsachbearbeitung sukzessive deutlich erhöht werden. Hilfreich waren dabei – neben den SAP Transactional Banking for SAP-S/4HANA-Modulen – am Markt vorhandene Speziallösungen zum Beispiel für Bonitätsabfragen und Objektbewertungen. Insgesamt wurden mehr als 50 Softwareanbieter an die SAP-Basismodule angebunden. Funktionen, die nicht verfügbar waren, ersetzte man durch Eigenentwicklungen.
Schwäbisch Hall migrierte mehr als eine Million Kreditverträge – also Bauspardarlehen, Vor- und Zwischenkredite sowie Annuitätendarlehen – und dazugehörige Versicherungsprodukte auf die SAP-Plattform. Auch Schnittstellen zu verschiedenen Anwendungen im Umfeld des Kernbankensystems wurden an dem SAP-Standard angepasst. Dazu gehörten die Beratungssysteme des eigenen Außendienstes und der genossenschaftlichen Partnerbanken, das Kundenportal, die Vertriebsverwaltung sowie die Daten des Finanz- und Risikocontrollings.
Die Transformationsreise ist noch längst nicht am Ende
Bei den Releases waren jeweils zwischen 100 und 300 Mitarbeitende remote und vor Ort im Einsatz, um zwischen Freitag bis Sonntag die Module aufzuspielen. Für die großen Migrationstranchen 2022 und 2023 nutzte man dazu das verlängerte Wochenende um den 3. Oktober – auch um die Systemeinschränkungen für Kunden, Partnerbanken, Innen- und Außendienst so gering wie möglich zu halten.
Mit dem erfolgreichen Release ist die Transformationsreise von Schwäbisch Hall natürlich noch längst nicht am Ende. Nächstes Thema ist die Anbindung des Spargeschäfts. Ähnlich wie bei der Kredittransformation werden die Verantwortlichen dabei schrittweise Vorgehen, um die Organisation nicht zu überfordern.
Abgesehen vom Daily Business verlangen eine sich ständig weiterentwickelnde Regulatorik und geänderte Markterfordernisse von Kreditsystemen im Grunde eine permanente Transformation. Mit dem neuen System ist Schwäbisch Hall in jedem Fall auf alle künftigen Optionen vorbereitet und kann zum Beispiel auch cloud-basierte Lösungen einfacher integrieren.