Mit dem Ausscheiden Hasso Plattners aus dem SAP-Aufsichtsrat im Mai 2024 geht die Ära der Gründerväter bei SAP endgültig zu Ende.
„Seinen Nutzen kann man nicht beziffern, aber die SAP wäre ohne ihn niemals so erfolgreich geworden“, hat SAP-Mitgründer Dietmar Hopp einst über Hasso Plattner gesagt. Mit der Hauptversammlung am 15. Mai wird Hasso nach 21 Jahren als Vorsitzender aus dem Aufsichtsrat ausscheiden.
Ein Blick auf wichtige Meilensteine in Hassos insgesamt mehr als 52 Jahren bei SAP macht deutlich: Hasso hat gemeinsam mit Dietmar Hopp und den Mitgründern den Markt für betriebswirtschaftliche Realtime-Software geschaffen, er hat SAP erfolgreich durch mehr als fünf Jahrzehnte IT-Geschichte gesteuert, er hat die globale Expansion vorangetrieben und SAP von einer Ein-Produkt-Firma zum weltgrößten Anbieter von Unternehmensanwendungen entwickelt. Unermüdlich hat Hasso dem Unternehmen und seinen Mitarbeitenden immer wieder neue Horizonte eröffnet, hat technologische Trends aufgespürt und mit seinem Forschergeist nicht nur den Umgang mit Daten revolutioniert.
1972: Die Anfänge
Nachdem Hasso Plattner mit Dietmar Hopp die erste Realtime-Bildschirmanwendung in Deutschland realisiert hat, gründen sie am 1. April 1972 gemeinsam mit den IBM-Kollegen Claus Wellenreuther, Klaus Tschira und Hans-Werner Hector die Firma Systemanalyse Programmentwicklung.
1973 wird die erste Finanzbuchhaltung, das System RF, fertiggestellt. Dabei steht das „R“ für Realtime. Das unter Führung von Hasso entwickelte System RF bildet den Grundstein für die kontinuierliche Entwicklung weiterer Softwaremodule des Systems, das erst später den Namen „SAP R/1“ trägt. „Ich habe vorher nichts von Finanzbuchhaltung verstanden und danach konnte ich Seminare halten vor CFOs. Und nicht, weil ich so viele Bücher gelesen habe oder so schlau bin, sondern weil ich bei den Kunden gelernt habe, wie man ein solches System baut. Ich bin jeden Tag beim Kunden gesessen.“
1976:Die Aufbaujahre
Die Firma Systemanalyse Programmentwicklung wird in SAP umbenannt. Noch betätigen sich die Gründer und ihre gerade mal rund 30 Mitarbeiter gleichzeitig als Entwickler, Verkäufer und Berater. Hasso Plattner und Dietmar Hopp spornen sich bei der Programmierung und beim Verkauf ihrer Lösungen zu immer neuen Höchstleistungen an. Hopp habe einmal „mehr verkauft als ich, was mir sehr gestunken hat“, erzählt Hasso. Beide hätten in den Bereichen, in denen sich ihre Fähigkeiten und Aufgaben überlappten, „intern erbittert darum gerungen“, den anderen hinter sich zu lassen. Aber beide wissen auch, wie sie ihren Ehrgeiz und ihr Faible für sportlichen Wettkampf zum Wohle der jungen Firma in die richtigen Bahnen lenken.
1988: Umwandlung und Börsengang
Die SAP GmbH wird in eine Aktiengesellschaft, die SAP AG, umgewandelt. Mit dem Gang an die deutschen Börsen in Frankfurt und Stuttgart im Oktober erhält SAP die Finanzmittel für die weitere Expansion.
1991: Entwicklung von R/3
Hasso erzählt 1997 anlässlich des 25. SAP-Geburtstags über „die wohl dramatischste Situation“ in der SAP-Geschichte, die sich Ende Januar 1991 abspielte: „Ein Jahr vor dem endgültigen Liefertermin von R/3 stellten wir im Test fest, dass die Performance auf unserem Großrechner völlig unzureichend und die Testbedingungen unakzeptabel sind. Sechs Wochen vor der geplanten Präsentation auf der CeBIT in Hannover war das Projekt so gut wie gescheitert.
In der folgenden Krisensitzung, sie fand angesichts der Brisanz im Stehen statt, stoppten wir die Entwicklung für die Mainframesysteme und sahen unsere letzte Chance in den neuen hochperformanten Unix-Workstations, die wir bis dato nur in der Entwicklung nutzten.
Die Präsentation auf Unix schlug wie eine Bombe ein. Anderthalb Jahre später begann die Auslieferung von R/3. Das war die Geburtsstunde des R/3. Eine kaufmännische Anwendung für netzwerkbasierte Rechner.“
1992: Auf nach Amerika
Als es Anfang der 1990er-Jahre ums Tempo der Einführung von SAP R/3 geht, sorgt sich Mitgründer Dietmar Hopp um die R/2-Umsätze in Deutschland. Hasso erinnert sich: „Dietmar und ich standen in seinem Zimmer und er sagte: Es sieht nicht gut aus, aber das Einzige, was ich mir vorstellen kann, Du packst das System ein und gehst nach Amerika.“ Sie vereinbaren, dass die Firma in Deutschland weiter die Mainframe-Software R/2 propagiert, aber in den USA alles auf die Karte R/3 setzt.
Auf der wenig später folgenden Sapphire im September 1992 in Orlando kündigt Hasso an: Wer jetzt das System R/3 bestellt, erhält es innerhalb von sechs Wochen. Kurz danach im Oktober unterschreibt der Computerhersteller Convex einen Vertrag als erster R/3-Kunde in den USA. Und als sich wenig später auch die zehntgrößte amerikanische Firma, die Ölfirma Chevron, für R/3 entscheidet, macht sich die eigentlich für den Mittelstand konzipierte Software endgültig zu ihrem globalen Siegeszug auf.
1993: Partnerschaft
SAP beginnt die Zusammenarbeit mit Microsoft, dem größten Softwarehersteller der Welt.
Bill Gates kommt eigens zur Vertragsunterzeichnung nach München eingeflogen und verkündet: „Wir freuen uns, dass die SAP als einer der erfolgreichsten Anbieter von Standardsoftware Microsofts Client-Server-Betriebssystem unterstützt. Wir sind davon überzeugt, dass viele Unternehmen das Engagement von SAP als Anstoß sehen, sich gleichermaßen für Windows NT zu entscheiden.“
Im Jahr 2010 gratuliert der Microsoft-Gründer seinem „Freund und Kollegen“ zur Auszeichnung mit dem „Transatlantic Partnership Award“. „Ich kenne Hasso seit mehr als drei Jahrzehnten und bin immer wieder beeindruckt von seinen Kenntnissen, seiner Energie und seinen Visionen.“
1997: SAP feiert 25. Geburtstag
Hasso wird zum Vorstandssprecher ernannt. In seiner Rede anlässlich des 25. SAP-Geburtstags spricht er über die Faktoren des Erfolgs: „Die Konzentration auf das Produkt ist eine Säule des Erfolgs der SAP, denn der Erfolg eines Produktes einer Firma wird auch zum persönlichen Erfolg ihrer Mitarbeiter, der mindestens ebenso wichtig ist wie die finanzielle Entlohnung. Die Identifikation unserer Mitarbeiter mit dem Produkt war stets die Triebfeder für außergewöhnliche Leistungen. Wie stark die Meinungsverschiedenheiten auch immer waren, wir haben uns stets auf das Produkt zurückbesinnen und neue Kräfte sammeln können. Über 25 Jahre haben die Gründer und die Mitarbeiter der SAP die ursprüngliche Produktvision nie verraten und nach anderen Beschäftigungsfeldern gesucht.“
1998: SAP erobert New York
Am 3. August 1998 erscheinen die Buchstaben SAP erstmals am „Big Board“ der New York Stock Exchange, der größten Börse der Welt. Vorstandsprecher Hasso Plattner bezeichnet die Börseneinführung an der Wall Street als eine „strategische Notwendigkeit und konsequenten Meilenstein in der Geschichte der SAP“.
Im selben Jahr gründet Hasso das Hasso-Plattner-Institut für Softwaresystemtechnik (HPI) in Potsdam. „Dieses Institut hier in Potsdam ist mein Beitrag, international wettbewerbsfähigen Führungskräftenachwuchs auszubilden, der die digitale Welt mitgestaltet und voranbringt.“
Hasso bildet nach dem Wechsel der beiden Gründer Dietmar Hopp und Klaus Tschira vom Vorstand in den Aufsichtsrat zusammen mit Henning Kagermann die SAP-Führungsspitze.
1999: Revolution mySAP.com
Im Mai kündigt Hasso die neue Strategie mySAP.com an und läutet damit eine komplette Neuausrichtung des Unternehmens sowie seines Produktangebots ein. mySAP.com verbindet E-Commerce-Lösungen mit den bestehenden ERP-Anwendungen auf der Grundlage modernster Webtechnologie.
Den Erfolg im Internet erklärt Hasso zur „Überlebensfrage“. Nach der Live-Demo von mySAP.com auf der Sapphire in Philadelphia im September 1999 – eingeleitet durch den von Hasso an der E-Gitarre gespielten Queen-Song „I want to break free“ – lassen sich die Kunden schnell auf die SAP-Webstrategie ein. Hasso denkt schon wieder weiter: Über das Hosten von Anwendungen auf SAP-Servern und die Abwicklung von Geschäften online sagt er: „Ich bin mir sicher, dass das die Zukunft des Software-Verkaufs ist.“
2003: Vom Vorstand in den Aufsichtsrat
Hasso zieht sich aus dem Vorstand zurück und wird zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats gewählt.
Bei der Hauptversammlung sagt Hasso: „Aus dem Shootingstar der 90er-Jahre ist ein Weltklasseunternehmen geworden, das auf einer Stufe mit IBM, Microsoft und Oracle steht.“
Mit großer Leidenschaft und dem Blick für technologische Trends treibt Hasso auch nach seinem Wechsel 2003 in den Aufsichtsrat als „Chief Software Advisor“ sein Unternehmen voran. Im selben Jahr gründet er das Hasso Plattner Institute of Design an der Universität Stanford und führt mit Design Thinking einen neuen Ansatz ein, kreative Lösungen für komplexe Probleme zu finden.
2006: Die In-Memory-Datenbank
2006 beginnt Hasso mit Studierenden an seinem Hasso-Plattner-Institut, an den Grundlagen einer revolutionären In-Memory-Datenbank zu arbeiten. Das Ergebnis ist SAP HANA (High-Performance ANalytic Appliance), eine von Grund auf neu entwickelte spaltenorientierte In-Memory-Datenbank.
Hasso: „Es ist nicht so einfach, als großes Unternehmen auszubrechen und etwas radikal anderes zu machen. An der Universität hat man die Freiheit.“
2011: Treiber des Wachstums
Die ersten Kunden implementieren die SAP-HANA-Plattform. Die Nachfrage nach SAP HANA lässt sich mit der Nachfrage nach der SAP-R/3-Software zur Zeit ihrer Markteinführung vergleichen.
Zwei Jahre später wird die komplette SAP Business Suite auf SAP HANA umgestellt. In den drei Jahren seit seiner Einführung erzielt SAP HANA knapp 1,2 Milliarden Euro Umsatz und wird zu einem der wachstumsstärksten Produkte in der Geschichte der Unternehmenssoftware.
In einem Interview mit dem deutschen Handelsblatt sagt Hasso 2020 über SAP HANA: „Die Hana-Datenbank ist in der Praxis so überlegen, dass es dazu keine Alternative gibt. Und ganz ehrlich: Sie hat SAP das Leben gerettet, weil wir damit unser ERP-System erst einmal ohne viel Änderung um einen Faktor beschleunigt und gleichzeitig physisch verkleinert haben – für unsere Kunden eine Riesenkostenersparnis.“
2015: Die Stiftung
Hasso engagiert sich auch im Bildungs- und Kultursektor. Zu diesem Zweck gründet er 2015 die Hasso Plattner Foundation.
Zu seinem Engagement für wohltätige Zwecke gehört etwa die Förderung der Gesundheitsversorgung und gesundheitlichen Aufklärung in Südafrika. Auch die Stadt Potsdam hat Hasso viel zu verdanken. Das Hasso-Plattner-Institut ist die größte Investition einer Einzelperson in die Stadt Potsdam und gleichzeitig das Projekt, das am meisten seine Handschrift trägt. Das von ihm wieder aufgebaute Museum Barberini vervollständigt das Stadtbild Potsdams und bietet seiner beeindruckenden Sammlung impressionistischer Gemälde (der größten außerhalb Frankreichs) ein Zuhause. Mit dem Kunsthaus MINSK rettete er eine der wenigen architektonischen Ikonen der DDR-Zeit und schuf ein Zuhause für seine DDR-Kunstsammlung.
Auf die Frage nach seinem gesellschaftlichen Engagement antwortet Hasso: „Das Rüstzeug für mein Leben verdanke ich meinen Eltern und vor allem meinem Studium an der staatlichen Universität Karlsruhe. Deshalb möchte ich im Bereich der Bildung etwas zurückgeben, damit auch andere davon profitieren können.“
2022: Von den Kunden lernen
Zum 50. Geburtstag der SAP rät Hasso: „Ich empfehle, zurück zu den Anfängen der SAP zu gehen und die SAP-Teams zum Kunden zu schicken. Sie sollen nicht unsere Standardsysteme implementieren, sondern herausfinden, was der Kunde mit Tools von SAP und anderen Anbietern macht. Dann können wir gezielt dort ansetzen. Es gibt viele interessante Unternehmen da draußen, von und mit denen wir lernen können. Wir müssen zu den Kunden gehen und mit ihnen zusammenarbeiten.“
Und er ergänzt in Richtung der Mitarbeitenden: „Behandelt die Kunden gut – wenn wir sie erst einmal gewonnen haben, müssen wir sie halten. Das ist eine der Stärken der SAP. Und denkt niemals, es sei geschafft. Ihr müsst euch immer weiter anstrengen. Denn geschafft ist es nie.“
2024
Hasso verlässt den Aufsichtsrat. Die Gründerära bei SAP geht endgültig zu Ende.