Globale Kunden, die Software auch bei ihren Töchtern einsetzen wollten, brachten SAP nach Australien und später Neuseeland – gemeinsam mit Männern mit reichlich Abenteuerlust.
1987 fing der Niederländer Rudy van der Hoeven an, für SAP International im schweizerischen Biel zu arbeiten. Die Gesellschaft in Biel war 1984 unter der Leitung von Hans Schlegel gegründet worden, um SAP-Lösungen außerhalb von Deutschland zu vermarkten und zu verkaufen. Als van der Hoeven bei SAP anfing, waren in Biel nur rund 20 Mitarbeiter beschäftigt. Es gab jedoch bereits weitere Büros in den Niederlanden, Belgien, Frankreich, Spanien und Österreich.
Die Geschichte der SAP in Australien beginnt – in den Niederlanden
Van der Hoeven wurde zur Schulung in verschiedenen Logistikmodulen nach Walldorf geschickt und sollte sich um globale Kunden kümmern. Lachend erinnert er sich daran, wie er bei einem Kundenbesuch in den Niederlanden einige Mitarbeiter kennenlernte, die offenbar Englisch redeten, deren Aussprache ihm aber völlig fremd war.
„Es stellte sich natürlich heraus, dass sie Australier waren“, berichtet er. „Sie waren aus Moorabbin, einem Vorort von Melbourne, zu einer Schulung gekommen.“
Eines Abends lud van der Hoeven sie nach ein paar Bier ein, die Zentrale von SAP International in Biel zu besuchen. Um ihnen den Besuch schmackhaft zu machen, schlug er vor, dies doch gleich mit einem kurzen Skiurlaub zu verbinden. In einem kleinen Schweizer Skidorf überzeugte er sie, „dass die Logistiksoftware von SAP ein absolutes Muss für ein Fertigungsunternehmen auch in Australien sei“, erzählt er. Da weitere multinationale Konzerne in Down Under bereits Interesse an SAP zeigten, erlaubte Hans Schlegel seinem Mitarbeiter, „Australien vorzubereiten“. Van der Hoeven: „Er ernannte mich zum Geschäftsführer von SAP Australien und trug mir auf, das Projekt zum Erfolg zu führen.“
Scott Russell, President, SAP Asia Pacific Japan, blickt auf 30 Jahre SAP in APJ zurück.
Terra Incognita für SAP in Australien
Mutig machte sich van der Hoeven 1988 gemeinsam mit Bruno Tödtli, dem damaligen Chef des Basis-Teams von SAP International, auf in unbekanntes Terrain. Von dort flogen sie nach Sydney, um SAP R/2 in der IT-Zentrale eines großen Kunden zu installieren. Bei diesem Anlass führte er seine erste Live-Demo eines SAP-Systems durch – über eine äußerst langsame Telefonleitung mit SAP in Deutschland verbunden.
Doch damit das Projekt wirklich ein Erfolg werden konnte, benötigte van der Hoeven Hilfe. Seine neuen Kunden verlangten von SAP „eine klare Zusage“, erinnert sich der damalige SAP-Finanzvorstand Dieter Matheis. „Sie wollten den Vertrag nur unterzeichnen, wenn wir die Gründung einer australischen Niederlassung und die Einrichtung eines SAP-Büros im Land nachweisen konnten.“ So kam es, dass Matheis im Januar 1989 – mitten in der Vorbereitung des Jahresabschlusses – nach Sydney flog. Innerhalb einer Woche schaffte er es, sich eine Gründungsurkunde ausstellen zu lassen und geeignete Büroräume in Chatswood, einem Vorort von Sydney, anzumieten.
Danach ging alles relativ schnell. Die neu gegründete SAP-Niederlassung ließ das gesamte Mobiliar aus Deutschland und eine Gruppe erfahrener Berater aus der Schweizer Landesgesellschaft einfliegen, bevor die ersten australischen Mitarbeiter eingestellt und zur Schulung ein Jahr nach Deutschland geschickt wurden.
1989 schloss das Gründungsteam mit zehn Kunden Verträge für SAP R/2 ab – ein Rekord, der erst vier Jahre später gebrochen wurde. „Wir hatten einen sehr guten Lauf“, sagt Schlegel. Aber alle Vertriebserfolge wären ohne die tatkräftige Unterstützung durch Presales-Kollegen und Berater, die die Software anschließend installierten, nicht möglich gewesen oder verpufft. „Dazu wurden Rudy und das Team sehr gut vom Finance- und-Administration-Team und von Leuten wie Ernie Gunst unterstützt“, ergänzt er.
Selbst der damalige Vorstandssprecher Dietmar Hopp machte der neuen Niederlassung seine Aufwartung. Van der Hoeven, der Australien 1989 verließ und mit der Gründung der SAP-Niederlassung in Singapur sein nächstes Abenteuer in Angriff nahm, erinnert sich: „Dietmar Hopp besuchte uns eines Tages in Australien und wollte sich bei diesem Anlass auch mit einem Kunden treffen. Wir nahmen ihn mit zu einer Aluminiumfabrik, da er auch einen Kurzurlaub auf einer der Ferieninseln am Great Barrier Reef machen wollte. Ich werde nie die Gesichter der Entwickler dort vergessen, als Hopp ihnen persönlich zwei Stunden lang ABAP-Tricks beibrachte. Ich war allerdings selbst überrascht. Später habe ich diese Geschichte immer wieder in Verkaufsgesprächen erzählt.“
Auf Wachstumskurs in Australien
Im Mai 1994 wurde Les Hayman zum Geschäftsführer ernannt. Die SAP setzte ihren Wachstumskurs fort. Zum traditionellen Kundenstamm in der Fertigungsindustrie kamen Kunden aus dem Einzelhandel, der Telekommunikationsbranche und der Versorgungswirtschaft hinzu. Um mit diesem Wachstum Schritt zu halten, eröffnete SAP Australia eine weitere Niederlassung in Brisbane und verdoppelte ihre Bürofläche in Melbourne.
Im April 1995 wurde die Zentrale in das Geschäftsviertel North Sydney verlegt. Das riesige, weithin sichtbare SAP-Firmenlogo in der Skyline von North Sydney war ein klares Zeichen für das Wachstum und die Präsenz der SAP in Australien.
Am 1. Januar 1995 weitete SAP Australia ihre Geschäftstätigkeit offiziell auf Neuseeland aus und eröffnete Büros in Auckland und Wellington.
1996 wurde Hayman zum President für die Region Südostasien-Pazifik ernannt. In diesem Jahr wechselten Australien und Neuseeland außerdem von der Region Amerika in die Region Asien-Pazifik. Laut Hayman war es zu Beginn durchaus vernünftig, Australien und Neuseeland in der Region Amerika zu führen, „da die Marketing- und Vertriebsmethoden der Amerikaner und Australier recht ähnlich sind. Angesichts des Wachstums und der zunehmenden Reife der Unternehmen war es jedoch nicht länger sinnvoll, Australien und Neuseeland vom Rest der Region Asien zu trennen.“
Partnerschaften mit Universitäten
Am 16. April 1997 wurde das Ausbildungs- und Schulungszentrum Sapient College offiziell in Sydney eröffnet. Ziel des Sapient College war es, SAP-Kunden und -Partnern, Studierenden an Hochschulen und Business Schools sowie anderen Interessierten Fachwissen und IT-Kenntnisse zu vermitteln.
Es war das erste SAP-spezifische College weltweit. „Für uns ist das Sapient College eine Möglichkeit, etwas zurückzugeben“, erklärte Hayman 2002 in einem Interview für das SAP-Mitarbeitermagazin. „Indem wir Schulungen für die Gemeinschaft und für Hochschulen anbieten, tragen wir zu einem besseren technischen Verständnis und einer stärkeren Nutzung von Technologien in unserer Gesellschaft bei.“
„Die Anfangsjahre waren sehr hektisch und turbulent“, berichtete Hayman, der im September 2017 verstorben ist. „Aber es waren aufregende Zeiten, und ich bin stolz darauf, dass ich in diesen Anfangsjahren mit dabei sein durfte. Es war sehr spannend, ein Stück Geschichte zu schreiben.“
Rudy van der Hoeven, der heute in Bangkok lebt, sieht es ganz genauso: „Eines können Sie mir glauben: Die SAP war das beste Unternehmen, für das ich je gearbeitet habe. Und das habe ich vor allem meinem Chef Hans Schlegel zu verdanken. Solange ich neue Kunden an Land zog, ließ er mich Cowboy im Wilden Osten sein.