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Immer häufiger treten Engpässe bei verschreibungspflichtigen Medikamenten auf – oft verschärft durch politische Krisen oder aktuell die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie, die sich auch auf die Arzneimittel-Lieferkette auswirken. Software könnte für mehr Transparenz, Rückverfolgbarkeit und Nachhaltigkeit in einer globalen Lieferkette sorgen.

Nach einer in der Fachzeitschrift The Lancet Diabetes and Endocrinology Journal veröffentlichten Studie können bis 2030 weltweit 40 Millionen Diabetiker nicht mehr mit Insulin versorgt werden.

In den USA werden bis dahin gemäß den Prognosen 32 Millionen Menschen an Diabetes erkrankt sein, das entspricht weltweit der dritthöchsten Diabetes-Rate. Doch in einem Industrieland zu leben, bedeutet noch lange nicht, dass die Menschen hier auch einfacheren Zugang zu Insulin haben. Die Preise für diesen Arzneistoff sind in den USA inzwischen steil angestiegen. Die drastische Verteuerung 2017 war bereits Anlass für eine staatliche Untersuchung der Hintergründe.

Am 29. Oktober 2019 veröffentlichte die amerikanische Federal Drug Administration (FDA) einen Bericht über die Ursachen der Medikamentenknappheit. Sie kam zu genau den gleichen Ergebnisse wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Vereinen Nationen schon Jahre zuvor: Unsere Medikamentenversorgung folgt nicht dem wirtschaftlichen Grundprinzip von Angebot und Nachfrage.

Medikamentenknappheit hat einen Grund

Wie viele andere Produktionsprozesse ist auch die Arzneimittelherstellung in den letzten Jahren von Standorten im eigenen Land immer mehr in Drittländer ausgelagert worden, wo niedrigere Herstellungskosten Arzneimittelkonzernen höhere Gewinne bringen.

Diese Herstellung an Outsourcing-Standorten findet vor allem in China, den Vereinigten Arabischen Emiraten und in der Schweiz statt. Dort werden Medikamente in Massen produziert, bevor sie dann etikettiert und an die Apotheken und Drogerien in unserer Nachbarschaft versandt werden. Vielleicht ist es Ihnen wichtig, ein Originalarzneimittel einzunehmen, anstatt sich mit einem Nachahmerpräparat zufrieden zu geben. Welche Wahl Sie auch immer treffen, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass beide Medikamente in demselben Herstellungswerk unter exakt denselben Bedingungen mit denselben Inhalts­stoffen produziert wurden. Sie sind einfach nur unterschiedlich verpackt.

Schließlich kann ein Auftragsfertiger, der ein bestimmtes Produkt über einen längeren Zeitraum in gleicher Weise herstellt, größere Mengen zu weitaus geringeren Kosten produzieren als bei kürzeren Produktionsläufen mit häufigeren Umstellungen. Genau so haben Pharmaunternehmen ihre Fertigungsanlagen optimiert: Sie produzieren kontinuierlich einige wenige Arzneimittel, die sie dann rund um die Uhr und das ganze Jahr über verpacken, versenden und verkaufen können.

Unsere Arzneimittelproduktion ist überwiegend ausgelagert, und zwar auf wenige Produktions­standorte. Das hat zur Folge, dass die meisten Medikamente, von rezeptfreien Präparaten wie Ibuprofen bis hin zu lebensrettenden, ärztlich zu verordnenden Arzneimitteln wie Penizillin und Heparin, alle in einer kleinen Anzahl von Fabriken auf der Welt hergestellt werden.

Was wir jetzt erleben, ist das vorhersagbare Ergebnis aus der zu geringen Anzahl von Lieferanten und dem wachsenden Bedarf der alternden geburtenstarken Jahrgänge.

Arzneimittelmonopole – entstanden aus profitorientierter Produktion

Wir haben zu viel Macht in die Hände von nur Wenigen gegeben. Und heute sind wir an einem Punkt, an dem diese Wenigen die Angebots- und Nachfragesituation am Markt manipulieren können, um für ihre Produkte beliebige Preise verlangen zu können.

Im Bereich Spezialpharmazeutika tritt dies bereits offen zu Tage. Hier können Unternehmen den Preis für ein Produkt beliebig anheben, einfach weil sie den Markt beherrschen. Nicht auszudenken, welche Konsequenzen das beispielsweise bei Penizillin hätte. Es wäre fatal, und wir sind nicht weit davon entfernt, dass diese Befürchtung Wirklichkeit wird.

Was tun gegen die Medikamentenknappheit?

Der FDA-Bericht empfahl Folgendes:

  • Ein breites Bewusstsein für die Auswirkungen von Medikamentenengpässen auf Patienten sowie die Vergabepraktiken, die der Verknappung Vorschub leisten, schaffen,
  • ein Rating-System entwickeln, um Arzneimittelherstellern einen Anreiz zu geben, in ihren Produktionsstätten in ein ausgereiftes Qualitätsmanagement zu investieren, und
  • an Nachhaltigkeit orientierte privatwirtschaftliche Verträge (z. B. mit Auftraggebern, Einkäufern und Einkaufsgemeinschaften) fördern, um eine zuverlässige Versorgung mit medizinisch wichtigen Arzneimitteln sicherzustellen.

Die WHO hat politische Maßnahmen gefordert, da aus ihrer Sicht das bisherige „Laissez-faire“ ungeeignet sei, um das Problem zu lösen:

„Eine längerfristige Lösung kann durch behutsame Grundsatzentscheidungen herbeigeführt werden, die die Auswahl von Lieferanten nach dem K.o.-Prinzip vermeiden, den Aufbau von nachhaltigen lokalen und globalen Produktionskapazitäten unterstützen und besonders anfällige Märkte identifizieren und schützen. Wie zu erwarten, fordern Liberalisierungs­befürworter eine Aufhebung der Preisregulierungen, um Investitionen zu fördern. Doch die Regierungen haben eine Pflicht, nicht nur die Qualität von Arzneimitteln und den Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten sicherzustellen, sondern auch die nötigen Rahmen­bedingungen für eine nachhaltige, produktive und verantwortungsvolle pharmazeutische Industrie zu schaffen. Angesichts dessen reicht eine Laissez-faire-Politik nicht aus.“

Diese längerfristigen Lösungen erfordern ein fundamentales Umdenken und eine neue Weichen­stellung auf politischer Ebene in den USA und Großbritannien, wo Medikamenten­engpässe und -kostenexplosionen aufgrund der Zölle auf Waren aus China, der Auswirkun­gen des Brexits und des wachsenden Bedarfs der alternden „Baby-Boomer“-Generation bereits ein bedenkliches Ausmaß angenommen haben.

Doch langfristige Lösungen dauern ihrer Natur nach lange. Sie können keine zeitnahen Veränderungen bewirken, denn allein die Verabschiedung und Inkraftsetzung von neuen Gesetzen und Vorschriften würde schon zwei Jahre dauern – wenn nichts dazwischenkommt. Ebenso lange würde es dauern, zur Vermeidung solcher Engpässe die Finanzierung für lokale, qualitätsorientierte Produktionsstätten auf die Beine zu stellen und diese Anlagen zu bauen.

Mehr Transparenz in der Lieferkette

Die beste Lösung für dieses wachsende Problem beruht auf einer Kombination aus kurz- und langfristigen Optionen. Hierzu gehört auch die Schaffung von mehr Transparenz in der Lieferkette und die Anwendung von alternativen Einkaufsstrategien, wie von der FDA und der WHO vorgeschlagen. Und es müssen auch Anreize dafür geschaffen werden, dass Unternehmen eine Kurskorrektur in Bezug auf die Medikamentenlieferkette vornehmen.

Doch mit keiner dieser Maßnahmen können die Engpässe sofort oder kurzfristig beseitigt werden. Notwendig ist, dass die Entscheidungsträger in den Strategiefunktionen das Heft in die Hand nehmen und dafür sorgen, dass diese Unternehmen das Richtige anstreben und diese neue Vision als Vermarktungschance nutzen, um die Verbraucher für sich zu gewinnen.

Beispielsweise könnte ein Pharmaunternehmen damit werben, dass es einen Beitrag zur Beseitigung der Antidiabetika-Knappheit in den USA leistet – vielleicht, indem es sein Insulinpräparat mit Verlust verkauft, damit es für alle Patienten erschwinglich ist. Gleichzeitig könnte die Marketingkampagne des Unternehmens darauf abzielen, bei den Verbrauchern ein positives Image zu erreichen und dadurch die Verkäufe von rezeptfreien Arzneimitteln ihrer Marke anzukurbeln.

Arzneimittel müssen für alle erschwinglich sein

Vielleicht bewirken die Zollerhöhungen im Handel mit China und der Brexit, dass die USA und Großbritannien schneller die politischen Weichen stellen, um kurzfristig zu erreichen, dass Arzneimittel für alle erschwinglich sind und langfristig Anreize für Unternehmen zu bieten, die in lokale Produktionsanlagen investieren. Ohne diesen Politikwechsel riskieren beide Länder im angebrochenen Jahrzehnt gravierende Engpässe bei den grundlegendsten lebensrettenden Medikamenten.

Oder wir überlassen alles dem Markt und hoffen, dass sich wenigstens ein Pharma­unternehmen der Herausforderung stellt und uns mit seiner Vision alle dazu inspiriert, der Qualitätsmarke treu zu bleiben.

So oder so, die Verknappung ist bereits Realität. Wir haben schon zu lange gewartet. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit, um zu handeln.

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