Wie Unternehmen der Coronakrise entgegen treten können und welche Rückmeldung Mitarbeiter dazu geben, zeigt Natalie Lotzmann, Chief Medical Officer der SAP, am Beispiel des SAP auf. Lesen Sie hierzu ihren Blog.
Pandemien sind kein neues Phänomen und wir müssen jederzeit mit ihnen rechnen. Die meisten großen Unternehmen hat diese Krise nicht völlig unvorbereitet getroffen: Pandemiepläne, Business Continuity Vorkehrungen und Krisenstäbe auf Abruf gehören zum Handwerk eines proaktiven Krisen- und Gesundheitsmanagements. Nachdem die Medien am 31.12.2019 von dem Ausbruch eines neuen Coronavirus berichteten, beschlossen der Chief Crisis Manager, Mathias Braje, und ich, Chief Medical Officer der SAP, die Lage zu beobachten. Gleichzeitig aktivierten wir die Global Pandemic Task Force (GPTF). Sie besteht aus Vertretern der Bereiche Sicherheit, Gesundheitswesen, Gebäudeverwaltung, HR, Finanzen, Kommunikation und Reisewesen.
Immer einen Schritt voraus
„Die Sicherheit unserer Mitarbeiter, Kunden und Partner steht für uns an erster Stelle. Uns ist es wichtig, die Gesundheit und das Wohlbefinden unserer Mitarbeiter zu schützen, während wir gleichzeitig die Leistungsfähigkeit und Produktivität der SAP erhalten“, fasste Christian Klein, Vorstandssprecher der SAP, die größte Herausforderung in der Krise zusammen. Auch wenn zunächst die Informationslage noch spärlich und das Ausmaß der Bedrohung nicht absehbar war, stellte die medizinische Abteilung der SAP für die Mitarbeiter Informationen bereit, wie Artikel im Mitarbeiterportal, E-Mails des Vorstands und FAQs. Inzwischen unterstützt ein gut trainierter Chatbot die Arbeit des Krisenteams.
Durch die klare Vision des Vorstands, die Bündelung interdisziplinärer Kompetenz in der Task Force und auch durch die tägliche globale Lageanalyse des Health Teams konnte SAP frühzeitig klare Vorgaben und Empfehlungen an die Mitarbeiter herausgeben. Vielerorts wurden diese erst später von den Behörden verbindlich. Das schaffte Vertrauen – in der Belegschaft, aber auch in der Unternehmensleitung. Auch Anerkennung und Wertschätzung sind wichtige Faktoren, um die außergewöhnliche Belastung der Krisenteams zu balancieren und seine Leistungsfähigkeit auf hohem Niveau sicher zu stellen.
Vertrauen und Agilität – Erfolgsfaktoren für das Krisenmanagement
Besonders zu Beginn war die Krisensituation hochdynamisch und emotional. Gleichzeitig war die Datenlage unzureichend, die Expertenmeinungen widersprüchlich und die politische Gemengelage ebenso wie die Erwartungen in der Belegschaft uneinheitlich. Kompetenz und Diskussionskultur innerhalb des Krisenteams führten zu der Entscheidung, wann es welche Konsequenzen für das Unternehmen gab. Hier ist die Fähigkeit des Teams zu konzentriertem agilem Arbeiten mit klugem „Navigieren auf Sicht“ erforderlich.
Erfolgsfaktoren für ein Team sind große Einsatzbereitschaft, Achtsamkeit im Umgang, gutes Zuhören und gegenseitiges Vertrauen – in die Expertise, aber auch in die Person. Wichtig ist außerdem die Bereitschaft, Zeit in die Konsensbildung zu investieren. Unbedingte Voraussetzung ist ein gelassener und wertschätzender Ton gegenüber allen Beteiligten, auch wenn aufgrund der hohen Belastung mal die Nerven blank liegen. Das ist nur möglich, wenn alle Teilnehmer die menschliche Seite einbeziehen. „We are in this together” ist ein Motto, das mit Leben gefüllt werden will.
In der GPTF haben wir freitags einen Rückblick auf die Woche mit individueller Selbsteinschätzung eingeführt: Auf einer Skala von 1-10: „wie hoch ist mein Stresslevel, wie hoch meine Zufriedenheit?“. Geht der Stresslevel dauerhaft über 8 oder sinkt die Zufriedenheit unter den Stresswert, sind Gegenmaßnahmen angezeigt, wie die Beratung durch Fachkollegen oder Psychologen.
Krise braucht Klarheit
Verwirrung und Unklarheit in den externen Medien belasten alle – Belegschaft, Management und das Krisenteam selbst. Hier gilt es, schnellstmöglich zu einer Linie zu finden; Zu langes Zögern würde die interne Entscheidungsfindung z.B. zu Reisen, Messen, Konferenzen oder Kundenveranstaltungen erschweren.
Treffen wir betrieblich relevante Entscheidungen, erklären wir stets die Gründe, machen dabei unsere Informationsquellen für alle transparent und stellen uns der Diskussion mit der Belegschaft. Klarheit, Glaubwürdigkeit und Nachvollziehbarkeit bleiben dabei zentrale Aspekte der Vertrauensbildung in das Krisenmanagement.
Der Belegschaft zuhören
Zunächst ergaben sich viele Fragen aus den Dialogplattformen. „Was gilt in meiner individuellen Situation, wo finde ich welche Unterstützung, wer sind meine Ansprechpartner?“ Aber auch generelle Fragen: „Wo stehen wir als Firma, wie geht es unseren Kunden, werde ich meine Arbeit behalten?“ Folgerichtig sagte unser HR-Management durch Kinderbetreuung belasteten Mitarbeitern die Anpassung ihrer Leistungsziele zu. Es schloss Kurzarbeit und krisenbedingte Kündigungen für die nächsten Monate aus. Zusätzlich stellten wir gemeinsam ein großes Unterstützungsprogramm bezüglich Arbeiten im Homeoffice und für die Gesundheit zusammen.
Wir begannen im März, monatliche Mitarbeiterbefragungen durchzuführen. Wir nutzten ein eigenes Befragungstool, das wir zudem kostenfrei jedem Unternehmen zur Verfügung stellen. 25.000 unserer Mitarbeiter nahmen initial teil. Trotz Homeoffice unter teilweise schwierigen ergonomischen und psychomentalen Arbeitsverhältnissen, zwischen Kleinkind- oder Elternbetreuung, zwischen Partnerabstimmung und Homeschooling, bewerteten 72% ihre Situation positiv oder neutral. 93% empfanden dabei die Kommunikation des Unternehmens als sehr hilfreich und 91% stimmten der Aussage zu „Ich habe Vertrauen ins Management, dass es in dieser Zeit die richtigen Entscheidungen für SAP trifft.“
In den darauf folgenden Befragungen wurde erstmals der Stress-Satisfaction-Score als Frühwarnsystem für mentale Gesundheit ermittelt. Das Ergebnis ist erfreulich: Trotz aller Widrigkeiten lag bei rund 70% der Teilnehmer die Arbeitszufriedenheit deutlich höher als der wahrgenommene Stress.
Phase der Wiedereröffnungen: Wie geht es weiter?
Selbst dort, wo wir die Standorte unter strengen Sicherheitsvorgaben nach und nach wieder öffnen, wird es keine schnelle Rückkehr zu 2019 geben. Unverändert werden bis auf weiteres die meisten Mitarbeiter von zu Hause arbeiten und Präsenzmeetings und Dienstreisen auf erforderliche Ausnahmen beschränken. Weiterhin unterstützen wir unsere Mitarbeitenden auf der ganzen Welt bestmöglich, damit sie ihrerseits Kunden und Partner weltweit mit gleicher Fürsorge und Engagement ebenfalls gut durch die Krise begleiten können. Trotz allem dürfen wir angesichts der Unklarheit über die künftige Entwicklung der Pandemie zu keinem Zeitpunkt nachlassen: Weiterhin werden wir recherchieren, beobachten, zuhören, unseren Kurs mit gesundem Menschenverstand und Pragmatismus immer wieder hinterfragen und bei Bedarf anpassen – eben kluges agiles Navigieren auf Sicht.