Seit kurzem versorgt SAP S/4HANA die Niederösterreichische Molkerei mit wichtigen IT-Nährstoffen.
„nöm – bleib frisch.“: Den Werbeslogan der NÖM kennen viele Verbraucher aus der Werbung. Er steht aber auch für den IT-Kurs der Niederösterreichischen Molkerei (NÖM). Der Mittelständler aus der Alpenrepublik hat am 1. Mai dieses Jahres sein neues ERP-System SAP S/4HANA nach rund 14 Monaten Vorbereitungszeit in den Produktivbetrieb überführt.
„Mit diesem System haben wir uns an die digitale Spitze von Produktionsunternehmen gesetzt und werden unserer Vorreiterrolle weiter gerecht“, wird CIO Anton Leitner in einer Pressemitteilung zitiert.
Dahinter steckt mehr – etwa viel Zutrauen in das Knowhow der Mitarbeiter. Es ist schon außergewöhnlich, dass der IT-Leiter für die Implementierung keine Heerscharen externer Fachleute engagierte, sondern sich fast ausschließlich auf sein erfahrenes Team verlassen konnte. Leitner selbst beschäftigt sich seit rund drei Jahrzehnten mit SAP.
Bemerkenswert ist die strategische Weitsicht der IT. Als die NÖM ihre Insellösungen mit Einführung der SAP Business Suite 2008/2009 durch eine branchengerechte integrierte Plattform ersetzte, wurden sowohl die Standardprozesse als auch die firmenspezifischen Eigenentwicklungen – mit zirka 700.000 Zeilen ABAP-Code – in Form einer zusätzlichen Schicht „sauber aufgesetzt“ (Leitner). „Unsere Philosophie lautet, das IT-System nicht zu modifizieren“, erklärt der CIO – eine Grundhaltung, die sich nun auszahlt.
Lobenswert: Die Haltung des Vorstands. Trotz neuer Belastungen und schwer einzuschätzender Risiken infolge der Corona-Pandemie stärkten die NÖM-Verantwortlichen ihrer IT-Abteilung den Rücken, als es darauf ankam. Die Systemumstellung wurde nie aus den Augen verloren.
Gut vorbereitet in die Migration
Die Geschichte beginnt mit dem Willen zur Veränderung. „Wir haben vor rund zwei Jahren überlegt, wie wir unser SAP-System weiterentwickeln wollen – ohne uns auf ein konkretes Zieldatum festzulegen“, erzählt Leitner. Damals gingen viele SAP-Kunden noch davon aus, dass 2025 die Regelwartung für die SAP Business Suite enden könnte. „Wir waren auf der Suche nach dem richtigen Zeitpunkt für den Wechsel“, meint der CIO.
So startete Leitners Team zunächst ein Vorprojekt, um den Einsatz von SAP S/4HANA zu evaluieren. Man habe sich „Schritt für Schritt herangetastet“. Dabei habe sich gezeigt, dass der Wechsel auf das neueste SAP-ERP-System mit weniger Aufwand zu bewältigen sei als befürchtet.
Als Aufgabenfelder wurden beispielsweise die Materialnummern sowie kleinere Arbeiten an den Systemstrukturen identifiziert – also Themen, die laut Leitner bei SAP-Umstellungen immer wieder anfallen.
Für Leitner und seine Mannschaft schienen das keine unüberwindbaren Hindernisse zu sein. Folglich gab es keinen Grund, zusätzliche externe Hilfe in Anspruch zu nehmen. Lediglich für die Arbeiten an der SAP-Basis wurde ein langjähriger Mitarbeiter aus einem österreichischen Beratungshaus hinzugezogen, der mit dem NÖM-System vertraut ist.
Weil die NÖM ein zufriedener Kunde ist, stand ein Wechsel des Anbieters generell nicht zur Debatte. Der Hersteller von Milchprodukten betreibt sein SAP-System – wobei nahezu alle produktionsnahen Module eingesetzt werden – seit geraumer Zeit am zentralen Molkerei-Standort in Baden bei Wien. Die ERP-Prozesse sind eng mit der Produktion verknüpft. Der Durchlauf der Milch sei komplett in SAP abgebildet, sagt der CIO.
Beispielsweise erhielten die Abfüllanlagen die Produktionsnummern vom SAP-System, das seinerseits die Mengen zurückmelde. Die Qualität der Inhaltsstoffe werde ebenfalls über sämtliche Herstellungsstufen hinweg kontrolliert und entsprechend abgebildet. Pro Tag verarbeite die NÖM zirka 1,2 Millionen Liter Milch. „In einem solchen Konstrukt ist es naheliegend, dass man SAP intern betreibt“, so Leitner zu seiner On-Premise-Strategie.
Und dann kam Corona …
Die Projektarbeit lief zunächst wie geplant. Das Vorhaben nahm Fahrt auf und machte gute Fortschritte – bis ein Virus es auf der Zielgeraden auszubremsen drohte.
„Ich habe mich schon gefragt, wie wir mit dieser Situation umgehen sollen“, erinnert sich Leitner an schwierige Wochen im März. Damals wurde ganz Österreich in den Lockdown versetzt. Alle nicht in der Produktion tätigen NÖM-Mitarbeiter mussten von zu Hause aus arbeiten. Im Unternehmen gab es allerdings nur wenig Erfahrung mit dem Home Office.
Hinzu kamen Befürchtungen, dass es in der Produktion Infektionsfälle geben könnte – der GAU für einen Lebensmittelproduzenten. Gleichzeitig wurde die Produktion hochgefahren, da Hamsterkäufe die Nachfrage erhöhten. Leitner: „Es herrschte eine große Nervosität.“
Und die SAP-S/4HANA-Einführung? Zu groß schienen die damit verbundenen Risiken in dieser für alle Beteiligten neuen Lage zu sein. Eine vorläufige Unterbrechung der Arbeiten hätte niemanden überrascht. Und doch gab der Vorstand ein klares Bekenntnis zum Projekt und zum ursprünglichen Zeitplan ab. Leitner: „Ich habe das als einen extrem großen Vertrauensbeweis empfunden.“
Problemloser Produktivstart für NÖM
Während der finalen Key-User-Tests, die im Home Office durchgeführt wurden, kam nochmal kurz Spannung auf. Die übertragenen Alt-Daten verhielten sich anders als die in SAP S/4HANA neu eingegeben Daten. Und: Mal fehlte ein Feld im neuen System, mal mussten kleinere Änderungen in den Prozessabläufen sowie in der Tabellenstruktur vorgenommen werden. Allesamt „kleine Dinge, die aber große Auswirkungen in den Prozessen haben können, falls man sie nicht korrigiert“, weiß Leitner.
Leitner glaubt, dass der Ernst der Lage die Sinne der Kollegen geschärft habe. Die Testgenauigkeit im Home Office sei jedenfalls besser als üblich ausgefallen.
So konnte anschließend der vorab mit 36 Stunden Laufzeit veranschlagte Produktivstart am ersten Mai-Wochenende in nur 19 Stunden ohne Produktionsausfall oder andere größere Probleme bewältigt werden. Leitner berichtet lediglich von „Kleinigkeiten, weniger als bei SAP-Upgrades.“ Insgesamt empfand er diesen Prozess als „sehr, sehr positiv“.
Vorsorglich hatte Leitner für die heiße Phase der Migration jede Rolle doppelt besetzt, so dass im Infektionsfall ein komplettes Ersatzteam zur Verfügung gestanden hätte. In den entscheidenden Stunden waren dann aber nur zwischen drei und maximal acht Kollegen im Zentralwerk in Baden bei Wien vor Ort, die sich die Nacht um die Ohren schlugen.
Die erfolgreiche technische Migration ist nun die Basis für weitere Verbesserungen. Der Automatisierungsgrad der Produktionssysteme sei bereits sehr hoch, sagt Leitner. Mit den Digitalisierungsmöglichkeiten des neuen SAP-Systems sollen mehr detaillierte Informationen aus dem Betrieb gewonnen werden, um die Produktion sowie die Instandhaltung zu optimieren.
Leitner erhofft sich in diesem Zusammenhang neue Erkenntnisse durch Künstliche Intelligenz oder Methoden wie Predictive Maintenance. Zudem gibt es Überlegungen, die Lagerverwaltung auf die SAP-Plattform zu bringen.
Auch mit diesen Plänen liegen Leitner und seine Mannschaft weiterhin ganz auf der Linie des Unternehmens: Immer frisch bleiben.