Der Umgang mit Fragen der psychischen Gesundheit ist während der Pandemie schwieriger geworden. Ein freier Tag und medizinische Hilfe können Wunder wirken.
Um Mitternacht noch eine E-Mail zu versenden, das galt früher geradezu als Ehrensache. Mittlerweile wurde das klassische „von neun bis fünf“ durch „von Sonnenaufgang bis Mitternacht“ abgelöst. Wer nun seinen Status als überzeugter Workaholic verteidigen möchte, muss sich an diese neuen Standardarbeitszeiten halten, egal welche Auswirkungen sie auf die Gesundheit, zwischenmenschliche Beziehungen und die Leistungsfähigkeit im Job haben. Und als ob dies nicht schon schlimm genug wäre, kam noch die Corona-Pandemie dazu.
Auf Warnzeichen achten
Abstandsgebote, Lockdowns und die neuen virtuelle Arbeitswelt verkomplizieren die Lage zusätzlich. Vor der Corona-Krise gab es zumindest persönliche Kontakte mit Kollegen und Kunden. Man hatte Möglichkeiten, abzuschalten und unter Leute zu kommen. Privat- und Arbeitsleben waren räumlich abgegrenzt – das Pendeln zwischen Wohnung und Büro bot die Gelegenheit, geistig zwischen zwei Welten zu wechseln.
Nun vermischt sich alles. Eltern arbeiten vom Küchentisch aus und versuchen gleichzeitig, ihre Kinder zu Hause zu unterrichten. Auf der ganzen Welt kämpfen die Menschen ununterbrochen damit, Arbeit und familiäre Pflichten unter einen Hut zu bringen.
Die Statistiken sind beunruhigend. Laut Weltwirtschaftsforum leidet einer von drei Erwachsenen aufgrund der Corona-Pandemie an Depressionen oder Angstzuständen. Schlagzeilen wie Quarantäne verstärkt Depressionen und Zunahme von Alkoholismus und Drogenkonsum während Corona-Pandemie warnen vor der aktuellen bedrohlichen Lage.
Die Gesundheitsbehörde der Vereinigten Staaten (Center for Disease Control and Prevention, CDC) geht davon aus, dass depressive Episoden die berufliche Leistungsfähigkeit um 20 Prozent und die kognitive Leistungsfähigkeit um etwa 35 Prozent beeinträchtigen.
DJ Paoni, President von SAP North America, ist beunruhigt über diese Statistiken. Noch mehr Sorgen bereiten ihm jedoch die Ergebnisse der Mitarbeiterumfrage zum Thema Telearbeit bei SAP, die kürzlich mit dem Add-on für Employee Pulse der Lösung SAP Qualtrics Employee Engagement durchgeführt wurde.
Einen Tag freinehmen
„Wir haben herausgefunden, dass ein Drittel unserer Mitarbeiter unzufrieden mit der persönlichen Stressbelastung ist. 61 Prozent gaben an, leicht über ihrer Kapazitätsgrenze zu arbeiten“, meinte Paoni in einem Interview.
Daraufhin entschied er sich zu handeln. Er erkannte das Bedürfnis der Mitarbeiter, einmal abzuschalten. Also arbeitete er mit lokalen und globalen Teams zusammen, um den „SAP Mental Health Day“ also den Tag der physischen Gesundheit ins Leben zu rufen. Dieser vom Unternehmen gesponserte arbeitsfreie Tag gilt für alle Mitarbeiter weltweit und ist für den 27. April geplant. An diesem Ruhetag hat jeder Zeit, etwas für sich selbst oder die Familie zu tun.
„Das ist nicht nur ein weiterer freier Tag“, erklärt Paoni. „Es ist eine klare Botschaft des Unternehmens, dass es in Ordnung ist, einmal zu entspannen. Gesündere Mitarbeiter sorgen für glücklichere Kunden, wovon am Ende wieder das Unternehmen profitiert.“
Bloß keine Schuldgefühle
SAP Chief Medical Officer Dr. Natalie Lotzmann erklärt, wieso die Initiative so wichtig ist. Wie gut wir auf lange Sicht unsere Geschäftsziele erfüllen, hängt von unserem Wohlbefinden ab, meint Lotzmann. Die Pandemie hat die bestehenden Herausforderungen noch verschärft und bedeutet für viele Menschen eine neue Dimension der psychischen Belastung. Mit dem Mental Health Day bekräftigt die SAP das starke Engagement für ihre Mitarbeiter und signalisiert der Gesellschaft im Allgemeinen, dass psychische Gesundheit wichtig und am Arbeitsplatz kein Raum für Stigmatisierung ist.
Lotzmann bestätigt die Zunahme psychischer Erkrankungen während der Corona-Pandemie. Berichte im Rahmen des weltweiten Employee Assistance Program (EAP) von SAP, einem vertraulichen Telefonberatungsservice für Mitarbeiter, haben ergeben, dass die Anzahl der Anrufe im Jahr 2020 um 28 Prozent zugenommen hat. Seit 2017 zeigt sich hier eine ansteigende Tendenz.
Psychische Probleme sind keine Ausnahme. Laut der medizinischen Fakultät des Johns Hopkins Institute gehören Depressionen, Schizophrenie und Zwangsneurosen zu den häufigsten Krankheiten weltweit. Etwa jeder vierte US-Amerikaner über 18 leidet jährlich an einer diagnostizierbaren psychischen Störung.
Wieso kommt es also nach wie vor zu Stigmatisierung?
„Stigmatisierung lässt sich in der Regel auf mangelndes Verständnis oder Angst vor dem Unbekannten zurückführen“, so Lotzmann. „Dass man nicht über das Problem spricht, erschwert das Verständnis zusätzlich.“
Lotzmann sieht in der Förderung des gegenseitigen Erfahrungsaustausches das beste Mittel gegen Stigmatisierung. Es geht darum, die Mitarbeiter zu ermutigen, sich Hilfe zu suchen. Der Austausch von Erfahrungen wird auch dazu beitragen, die Unterstützung und die positive Unternehmenskultur herauszustellen.
Was jeder tun kann
Im Laufe der Jahre hat Natalie Lotzmann eine Weiterentwicklung der Unternehmen im Umgang mit diesem Thema festgestellt. Sie sieht darin eine positive Veränderung, betont aber auch, dass es sich nicht nur um eine lautstarke, vom Arbeitgeber zügig durchgeführte Kampagne handeln darf. Eine solche Veränderung muss organisch wachsen und über eine positive Führungskultur, offene Dialoge und ein Bewusstsein für die verfügbaren Ressourcen Einzug im Unternehmen halten.
Wer auf die psychische Gesundheit der Mitarbeiter achtet, profitiert in zweierlei Hinsicht: Man schafft eine positive Unternehmenskultur und erzielt klare Geschäftsvorteile. Bei der SAP gibt es Programme zur Förderung der psychischen Gesundheit von Mitarbeitern. Sie umfassen Maßnahmen zur Prävention, Früherkennung, Unterstützung bei der Betreuung von Betroffenen sowie deren Wiedereingliederung.
Als Chief Medical Officer der SAP erinnert uns Natalie Lotzmann daran dass wir alle jederzeit vom Thema der psychischen Gesundheit betroffen sein können.