>

Das Unternehmen Refratechnik wollte SAP S/4HANA bei seiner neuen Beteiligung, dem Minenunternehmen QMAG in Australien, einführen. Vor Ort. Doch dann kam die Corona-Pandemie. Und Australien ist Deutschland neun Stunden voraus. Die Remote-Einführung entwickelte sich trotzdem zu einem großen Erfolg.

Zu Beginn verlief noch alles normal. Doch das Migrations-Projekt der Unternehmen Refratechnik und QMAG wurde auf einmal zu einem großen Abenteuer. Während die australische Mine QMAG in Queensland im Tagebau kryptokristallines Magnesit abbaut und verarbeitet, stellt die Refratechnik-Gruppe aus München mit 1.700 Mitarbeitern an 27 Standorten Feuerfestwerkstoffe her. Mit Feuerfeststeinen werden weltweit Öfen zur Herstellung von Zement und Branntkalk, Eisen- und Nichteisenmetallen, keramischen Baustoffen und auch Müllverbrennungsanlagen ausgerüstet.

Die Kaufverhandlungen dauerten bis Februar 2020. „Wir hatten in den Verträgen ausgehandelt, dass wir QMAG aus dem bis dahin bestehenden ERP-System des Verkäufers bis Ende des Jahres 2020 komplett herauslösen. Wir hätten also genug Zeit gehabt, in Australien die SAP-Lösung einzuführen“, berichtet Silke Denecke, CFO der Refratechnik Holding GmbH. „Das bisherige ERP-System war in die Konzern-IT des Verkäufers integriert und konnte nicht übergeben werden.“

Dazu kam, dass das australische ERP-System Pronto speziell auf Minengesellschaften in Australien zugeschnitten ist. In Deutschland kannte es kaum einer. Refratechnik hatte im Januar 2020 damit begonnen, für die Unternehmensgruppe einen Prototyp für den Umstieg auf SAP S/4HANA zu erarbeiten, da der Konzern aktuell die Migration vorbereitet. In Deutschland hatte Refratechnik in einem ersten Schritt zunächst die SAP Analytics Cloud eingeführt und nutzt diese für Analyse und Planung. Der zweite Schritt sollte, On Premises, die Einführung von SAP S/4HANA sein.

Gleich auf SAP S/4HANA gesetzt

Refratechnik entschloss sich dann, in Australien im Greenfield-Ansatz gleich das neue SAP S/4HANA einzuführen. „Ich wollte nicht so viel Geld für ein Übergangs-ERP ausgeben“, sagt Denecke. Dazu kam: Die Australier sind mit 140 Millionen australischen Dollar Umsatz im Jahr und rund 200 Mitarbeitern aus Sicht der Refratechnik keine kleine Firma. Zudem wollte der Käufer natürlich sehr schnell Einblick in die monatlichen Daten des neu gekauften Unternehmens haben. Somit sollte QMAG zum ersten Unternehmen in der Gruppe werden, bei dem SAP S/4HANA eingesetzt wird.

Dass die erste Installation des Konzerns im australischen Minenunternehmen mehr oder weniger komplett remote aus Deutschland heraus erfolgen musste, ahnte damals noch niemand. Olga König und Renata Munzel leiteten bei Refratechnik die ERP-Einführung. Ende Januar 2020 war König mit einem Kollegen für drei Wochen nach Down Under gereist, um die Prozesse zu analysieren. „Doch dann kam der Corona-Lockdown“. Bis heute sind die beiden die einzigen des internen SAP-Teams aus Deutschland, die vor Ort gewesen sind.

Geschäftsführerin Silke Denecke klingt heute noch begeistert und stolz zugleich, wenn sie davon erzählt. Alle Mitarbeiter aus dem Projektteam, bestehend aus interner SAP-Abteilung und erfahrenen Key Usern aus verschiedenen Fachbereichen der Unternehmen in München, Göttingen und Düsseldorf, wurden ab März 2020 ins Homeoffice geschickt. Die Prozessanalyse und der Go-live mussten online, via Microsoft Teams-Plattform, weitergehen – in täglichen Gesprächen mit den Key Usern in Australien und der Partnerfirma.

Stolz auf die Leistung des Teams

Dabei muss man wissen, dass es zwischen Deutschland und Australien einen Zeitunterschied zwischen acht und neun Stunden gibt. „Wir mussten deswegen sehr früh aufstehen“, berichtet Projektleiterin König. Konferiert wurde meistens zwischen sechs und acht Uhr morgens – oder spät abends. Für den Go-live gab es sogar zwei Wochen Nachtschicht für die deutschen Kollegen, um den Mitarbeitern in Australien bei den ersten Schritten zu helfen.

„Wir kannten weder SAP S/4HANA noch die Prozesse vor Ort, auch diese Art Mine war für uns neu“, beschreibt Denecke die Herausforderung. Viele hatten damals gesagt: „Das schafft Ihr nicht“ – auch aus der internen SAP-Abteilung waren einige Mitarbeiter zu Beginn skeptisch. „Wir hatten nur sieben Monate Zeit – inklusive Einarbeitung in SAP S/4HANA, Prozessaufnahme, Konzeption, Customizing, Schulung der Kollegen, Migration und Go-live – und das über die Zeitzonen hinweg.“ Doch heute, ein Jahr später, stellt die Geschäftsführerin fest: „Die Einführung hat auch remote prima funktioniert.“

Wie so oft, war es bei der Transformation nicht immer einfach, alle Mitarbeiter vor Ort mitzunehmen. „Bei einer virtuellen Einführung ist es ungleich schwerer, den Kollegen die Prozessänderung verständlich zu erläutern. Vor allem, wenn man ein System ohne viele integrierte Funktionen hat und dann zu einem hochgradig integrierten wechselt“, sagt Denecke. „Für die australischen Kollegen war es eine große Herausforderung, sie haben fantastische Arbeit geleistet.“

Die Menschen mitnehmen

Ohne die Corona-Pandemie wäre es ein sehr schönes Projekt geworden, da sind sich alle einig. „Mit Corona war es zwar anstrengend, hat aber die interne SAP-Abteilung, die Key User und die neuen australischen Kollegen zusammengeschweißt“, sagt Denecke.

Mit erfolgreichem Ergebnis: „Wir konnten nach dem Go-live ohne Unterbrechung ausliefern, und haben nach dem ersten Monat mit dem System direkt den Jahresabschluss durchgeführt“, sagt Denecke. Das neue Look and Feel erleichtere die Arbeit der Mitarbeiter. „Wir können jetzt automatisch kalkulieren, neunstufig. Viele manuelle Tätigkeiten wurden abgelöst.“

Durch das neue System, die neuen Services und Oberflächen, sei vieles unkomplizierter geworden, sagt Munzel. Die sensiblen Bankdaten müsse man jetzt nicht mehr manuell hoch- und herunterladen. Nötige Unterschriften könnten im System geleistet werden, die Daten fließen direkt an die Bank, im Gegenzug kommen die Kontoauszüge ins System zurück. Denecke: „Wir wollen die Daten aller Unternehmen zentral und möglichst ohne große manuelle Arbeit bei uns im System haben, da unsere Verwaltung schlank aufgestellt ist.“

Zukunft: Machine Learning und KI

In Zukunft will Refratechnik verstärkt auf Machine Learning und Künstliche Intelligenz setzen, auf Predictive Planning und Sales Forecasts. Das Unternehmen will seine Logistik-Themen bearbeiten und auch in den E-Commerce einsteigen. Als Grundlage wird in den kommenden drei Jahren SAP S/4HANA auch in allen anderen der fast zwanzig Firmen der Gruppe eingeführt, um die historisch gewachsenen ERP-Systeme abzulösen. Auch die Nutzung in der Cloud will sich Refratechnik bald näher anschauen. In diesem Jahr soll das ERP-System nach Deutschland kommen, danach nach Kanada oder Asien.

„Dieser Erfolg hat uns allen sehr viel Selbstbewusstsein gegeben und das Team zusammengeschweißt“, sagt Munzel. Und Denecke ergänzt, nicht ganz ernst gemeint: „Mit diesem Team führe ich die SAP-Lösung auch auf dem Mars ein.“ Sobald möglich, wollen die Mitarbeiter nach Australien reisen und die Go-live-Party mit den bisher nur vom Bildschirm bekannten Kollegen nachfeiern. „Wir freuen uns schon jetzt, wenn die nächsten Firmen der Gruppe auf SAP S/4HANA migriert sind“, sagt Denecke.

Titelbild: Refratechnik | QMAG Kuwarara Mining