Unabhängig davon, welche Farbkombination die nächste Bundesregierung haben wird, ein ‚weiter so‘ darf es nicht geben! Als Chief Technology Officer und Vorstandsmitglied von SAP habe ich einige Themen, die mir besonders am Herzen liegen: Digitalisierung, Bildung und die Förderung von nachhaltiger Wirtschaft und Entwicklung.

Digitalisierung

Deutschland fällt im technologischen Wettrennen immer weiter zurück. Im Digital Riser Report 2021 des European Center for Digital Competitiveness in Berlin landete Deutschland kürzlich weit abgeschlagen auf dem drittletzten Platz der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20).

Es braucht fundamentale, strukturelle Änderungen, um die digitale Transformation in Deutschland massiv zu beschleunigen. Gute Ansätze wie beispielsweise das Onlinezugangsgesetz (OZG) sind bereits da. Das OZG erlaubt Bürgerinnen und Bürgern planmäßig ab spätestens Ende 2022, rund 600 Verwaltungsleistungen wie Anträge auf BAföG, Elterngeld oder Geburtsurkunden digital zu nutzen. Das ist gut, aber zu wenig und nicht ambitioniert genug.

Unser Föderalismus ist einer von Deutschlands Erfolgsfaktoren. Aber nicht zuletzt in der Corona-Pandemie haben wir gemerkt, wie schmerzhaft er mitunter sein kann. Deutschland braucht eine klare digitale Agenda, hinter der Bund, Länder und Kommunen gemeinsam stehen. Denn die Liste der Themen ist schier unendlich: Digitalisierung der Verwaltung, Schutz vor Cyberkriminalität, Bereitstellung einer sicheren Cloud-Infrastruktur, Entwicklung offener Standards – „public money – public code falls keine Standardsoftware verfügbar“ –, Interoperabilität, Netzausbau und schnelles Internet, Umgang mit KI, …

Wo besser als in einem neu etablierten Digitalministerium könnte diese digitale Agenda vorangetrieben werden? Ebenso wichtig wie die Einführung eines neues Ministeriums ist es allerdings, den notwendigen Kulturwandel aktiv herbeizuführen.

Bildung

Machen wir uns nichts vor, unser Bildungswesen genau wie unsere Verwaltung und unser Gesundheitswesen, arbeiten im Wesentlichen noch genauso wie 1997.

Nehmen wir die MINT-Berufe, also Tätigkeiten in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Mittlerweile arbeitet laut dem Institut der deutschen Wirtschaft knapp mehr als eine Million Frauen in MINT-Berufen – ein Anteil von 15,4 Prozent. Bei einer Erwerbstätigenquote von Frauen bei 76 Prozent sollte deutlich mehr drin sein. Damit dürfen wir nicht zufrieden sein! Die Förderung für MINT-Berufe darf nicht erst bei der Ausbildungs- oder Studiengangwahl beginnen. Wenn wir Kinder und junge Menschen – und besonders Mädchen und junge Frauen – für MINT-Fächer begeistern wollen, dann muss dies in den ersten Schuljahren, besser noch im Kindergarten, beginnen.

Ohne exzellente Bildung und Forschung können wir die Entwicklung digitaler Zukunftstechnologien abhaken. Wissen ist DIE Ressource, die wir in Deutschland haben. Da müssen wir Weltklasse sein! Die Realität sieht jedoch anders aus: In einer Pisa-Sonderauswertung in 2020 landeten wir bei der Lehrerausbildung auf Platz 76 – von 78!  Dabei stünde auch hier so viel auf der To-Do-Liste: Neben der Vermittlung von Wissen über Technologien, die Förderung sozialer und interkultureller Kompetenzen, Empathie, Teamfähigkeit, Kreativität sowie Strategien zum lebenslangen Lernen…

Als Technologieland darf unser Anspruch nicht weniger als Weltklasse sein – genauso, wie wir nächstes Jahr im Fußball wieder Weltmeister werden möchten!

Förderung von nachhaltiger Wirtschaft und Entwicklung

Es ist völlig klar: Eine innovations- und industriefreundliche Wirtschaftspolitik muss nachhaltig, europäisch, besser noch transatlantisch, gar global sein. Politik und Unternehmen müssen dabei unbedingt an einem Strang ziehen. Warum dies notwendig ist, hat sich auch in Deutschland in den vergangenen Monaten erschreckend gezeigt. Viele Menschen haben in der Flut ihr gesamtes Hab und Gut verloren, und manche Kommunen werden noch jahrelang mit dem Wiederaufbau beschäftigt sein.

Nicht alle Länder tragen gleichermaßen zum Klimawandel bei. Deutschland steht weltweit gesehen auf Platz 6 der CO2-Emittenten. Das bedeutet, dass wir einen signifikanten Beitrag zur Reduktion von CO2 leisten können und müssen. Und hier kann jede und jeder von uns einen Beitrag leisten!

Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts vom April dieses Jahres soll Deutschland nun schon fünf Jahre früher klimaneutral werden als bisher, nämlich 2045. SAP möchte bis 2023 klimaneutral sein. Wenn globale Unternehmen dies schaffen, dann sollte auch der Staat zumindest ambitioniertere Ziele verfolgen.

Fazit

Die vergangenen anderthalb Jahre waren eine Zeit der Kontaktzettel in den Restaurants und der Faxe in den Amtsstuben. Wir haben in der Pandemie deutlich und zum Teil schmerzhaft gesehen: Vor uns liegt ein weiter Weg. Eine klare Digital- und Technologiestrategie und deren Umsetzung bedarf eines Zusammenspiels von Technologieförderung, Verwaltung, Bildung, Gesundheit und Datenschutz – um nur einige Felder zu nennen. Diese Strategie ist daher zentral für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands.

Es braucht sicher nicht einen Jürgen Müller, um dieses zu verkünden. Aber: In meiner Rolle treffe ich viele Unternehmer, Manager, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Menschen, die an einer lebenswerten Zukunft arbeiten. Sie alle eint, dass sie sich einen digitalen „Ruck“ wünschen. Zu diesem möchte ich ermutigen. Und Deutschlands Unternehmen werden der Bundesregierung dabei sicher ein guter Partner sein.

Daher erhoffe ich mir von der nächsten Bundesregierung eine klare, mutige Strategie. Ich möchte, dass wir den technologischen Wandel in Deutschland mit aller Entschlossenheit und dem ‚richtigen Mindset‘ anpacken.