Bei großen, staatlich finanzierten Infrastrukturprojekten lässt es sich nur schwer nachvollziehen, wofür Gelder ausgegeben werden. Doch das britische Bauunternehmen Costain und das Technologieunternehmen Keytree, das zu Deloitte gehört und ein SAP-AppHaus-Network-Partner ist, haben mithilfe von SAP-Software gemeinsam eine Lösung für das Problem entwickelt.
Für ihr Intelligent Infrastructure Control Center (IICC) wurden die beiden Unternehmen vor Kurzem mit einem SAP Innovation Award 2021 in der Kategorie „Transformation Champion“ ausgezeichnet.
„In der Baubranche ist es ein altbekanntes Problem, dass es sich nur schwer nachverfolgen lässt, wofür Gelder verwendet werden“, erklärt Stuart Clements, Leiter des Teams für Design und Innovation bei Keytree. In Großbritannien werden umfangreiche Infrastrukturprojekte häufig von der Regierung gefördert und haben große Budgets. Da es an Möglichkeiten mangelt, für Dateneinblicke zu sorgen, bleibt es jedoch häufig unklar, wohin das Budget fließt.
Für die Bauindustrie ist Innovation kein Fremdwort. Aber wenn auf einer Baustelle ein innovativer Prozess eingeführt wird – zum Beispiel wenn eine neue Brücke vorgefertigt und dann vor Ort montiert wird –, ist es oft nicht möglich, diese Innovation über ein weitreichendes Infrastrukturprogramm mit vielen Baustellen hinweg zu nutzen, weil die nötigen Einblicke fehlen.
„Viele Prozesse und Daten werden oft auf Papier festgehalten oder befinden sich in den Köpfen von Bauleitern mit 20 oder 30 Jahren Berufserfahrung – und nicht in Systemen“, erläutert Clements. Mithilfe von SAP und Keytree konnte Costain, das die SAP Business Technology Platform (BTP) einsetzt, sich mit der Problematik befassen und in Sachen Innovation eine Vorreiterrolle in der Baubranche einnehmen.
Das SAP AppHaus Partner Network
„Tim Embley, Leiter im Bereich Forschung und Innovation bei Costain, wollte dafür sorgen, dass Costain sich von Wettbewerbern in der Bauindustrie abhebt,” berichtet Clements. Zusammen mit der SAP wandte sich Costain an Keytree als einen potenziellen Technologiepartner, der ihnen dabei helfen sollte, sich innerhalb der Branche als Vorreiter für Innovationen zu positionieren.
Die drei Unternehmen nutzten das AppHaus in London für Workshops und Meetings, um Grundlagen zu erarbeiten und Design-Thinking-Methoden auf das Problem anzuwenden. „Wir führen selbstständig unsere eigenen Sessions und Workshops durch, arbeiten aber eng mit dem Team aus dem SAP AppHaus in Heidelberg zusammen, um den besten Ansatz für die Methodik zu finden“, so Jonathan Maher, Director User Experience für das AppHaus von Keytree.
„Das ursprüngliche SAP AppHaus wurde vor sieben Jahren gegründet“, so Birgit Fien-Schmalzbauer, Global Head des SAP AppHaus Partner Network. „Wir haben schnell erkannt, dass die Nachfrage nach innovativer Zusammenarbeit mit Kunden so groß ist, dass wir uns dafür entschieden haben, zusätzliche AppHaus-Räumlichkeiten von Partnern aus unserem SAP AppHaus Network gestalten zu lassen.“
Heute sind 16 von 21 AppHaus-Räumlichkeiten weltweit partnergeführt. „Dieses Partnernetzwerk ermöglicht es, dass die IT-Abteilungen unserer Kunden unsere Methodik anwenden können. Darüber hinaus ist es unser wichtigster Weg, um zu wachsen“, sagt Fien-Schmalzbauer.
Branchenstandard für Telematik schaffen
Das Projekt wurde Ende 2019 gestartet, bevor die weltweite Pandemie ausbrach. Zum Einsatz kamen dabei die Möglichkeiten und Werkzeuge, die das AppHaus London bot. In diesen Workshops analysierte das Team die Wertschöpfungskette großer industrieller Infrastrukturprojekte, um herauszufinden, wo Innovationen möglich waren.
„Wenn man an einem solchen Projekt teilnimmt, muss man sich auf Bereiche konzentrieren, in denen man schnell Mehrwert demonstrieren kann“ betont Stuart Clements. Der Knackpunkt lag darin, die Produktivitäts- und Effizienzsteigerungen an einem bestimmten Standort zu ermitteln und dann die daraus gewonnenen Erkenntnisse auf das gesamte Portfolio der Infrastrukturprojekte anzuwenden.
Das Team ermittelte drei Bereiche, in denen die gewonnenen Daten zusammengeführt werden konnten: in der Telematik, zum Beispiel bei Daten zum Standort und Kraftstoffverbrauch von Maschinen; in Projektdaten, die aufzeigen, wann und für welche Zwecke die Maschinen verwendet werden; und bei gewerblichen Daten wie Nutzungskosten, Wartung und Leerlaufzeit.
„Wir haben sehr schnell verstanden, dass wir ein leistungsfähiges Werkzeug bei der zukünftigen Entscheidungsfindung für Investitionen hätten, wenn wir all diese Informationen in einer gemeinsamen digitalen Plattform verknüpfen könnten“, meint Clements.
Aber das Team stand sogleich vor einem Problem: „Es erschien einfach zu kompliziert“, so Clements. „IoT-Datenströme von einer Maschine auf eine Plattform bringen und diese Daten mit gewerblichen Daten und Projektdaten verknüpfen, wenn es so viele verschiedene Unternehmen gibt, die in dieser Branche Maschinen bereitstellen, und jeweils unterschiedliche Standards nutzen – bisher hatte niemand dieses Problem erfolgreich bewältigen können.“
Auch hier war es eine Partnerschaft, die letztendlich dazu beitrug das Problem zu lösen. Neben Costain gibt es zwei weitere große Unternehmen für Baumaschinen in Großbritannien. Costain pflegte mit einem dieser Unternehmen eine langjährige Geschäftsbeziehung. „Lynch erklärte sich bereit, für unser Projekt einen Live-Datenfeed zur Verfügung zu stellen, um einen Branchenstandard für Telematik zu schaffen“, sagt Clements.
SAP Business Technology Platform für schnelle Erweiterungen
Der nächste Schritt bestand darin, diesen Datenfeed an eine Plattform zu senden und in einem Dashboard anzuzeigen. Hier kamen die SAP Business Technology Platform (SAP BTP) und SAP Analytics Cloud ins Spiel. Jack O’Brien, verantwortlich für SAP Alliance bei Keytree, weist auf den Nutzen der SAP BTP hin: „Die Datenintegration erfolgt sehr schnell und in Kombination mit SAP Analytics Cloud ermöglicht die Plattform sehr leistungsstarke Visualisierungen, um Dateneinblicke zu ermöglichen.“
Er fügt hinzu: „Die Agilität und Flexibilität der Plattform ermöglicht Iterationen dessen, was eingerichtet wurde. Wenn also die Märkte beispielsweise nach neuen modularen Bereichen oder Schwerpunktbereichen verlangen, die Unternehmen verfolgen und messen möchten, können wir recht schnell neue Funktionen programmieren, um die Plattform nah am Marktgeschehen zu halten.“
Es gibt insgesamt sechs Module im Control Center – Telematik, CO₂-Bilanz, Projekt, gewerbliche Daten, „sozialer Wert“ und Produktivitäts-Engine. Das CO₂-Modul scheint dabei auf die größte Resonanz im Markt zu stoßen. „Verschiedene Behörden sind an dieser Funktion interessiert, genau wie Erdöl- und Gaskonzerne“, berichtet O’Brien. „Das Interesse an den CO₂-Funktionen scheint nicht nur auf Infrastrukturprojekte beschränkt zu sein.“
Mensch im Mittelpunkt des Innovationskonzepts der SAP
Die Projektdauer betrug insgesamt 12 Monate, wobei das Telematikmodul nach nur 4 Monaten an den Start ging. „Da das Projekt äußerst agil und flexibel war, lief alles sehr dynamisch ab“, so Clements. Auch das Innovationskonzept der SAP, bei dem Menschen im Mittelpunkt stehen, war entscheidend für das hervorragende Resultat. „Die Mitarbeitenden von Costain konnten die Leistungsfähigkeit der Plattform sowohl ihren internen Kunden als auch anderen Interessengruppen präsentieren, etwa dem britischen Verkehrsministerium. Das hat wirklich dazu beigetragen, Costain und seine Partner als Vorreiter für Innovationen zu positionieren.“
„Das Keytree-Team war maßgeblich am Erfolg des IICC-Projekts beteiligt. Es hilft uns, aus Daten mithilfe der SAP Business Technology Platform größtmöglichen Nutzen für die Allgemeinheit und den Planeten zu ziehen“, erklärt Tim Embley von Costain. Costain, Keytree und SAP werden auch weiterhin zusammenarbeiten. Zu den nächsten Schritten gehört die Einführung von Blockchain-Technologie in der Logistikkette von Costain.