Kleiner Anfang – große Wirkung. Weltweit verfügt die SAP über neun Innovationszentren. Das erste davon wurde im Oktober 2011 eröffnet. Es dient dem Walldorfer Softwarekonzern als Technologieradar, um neue Trends aufzuspüren. Seit der Gründung sind dort viele der innovativsten SAP-Produkte und -Lösungen entstanden.
„Unsichtbare Sphären, die lustige Geräusche machen“, diese Antwort gibt Marcus Krug auf die Frage, woran er sich zuerst erinnert, wenn er an seine Anfangszeit beim SAP Innovation Center (ICP) in Potsdam zurückdenkt. „Unsere Räume waren direkt unter der D-School des Hasso-Plattner-Instituts (HPI). Und wir hörten immer, wie die HPI-Studenten draußen auf der Wiese vor unserem Fenster lustige Eisbrecher-Spiele spielten, um ihre Kreativität anzukurbeln.“ Heute ist Krug Leiter des ICP. Als er seine Laufbahn dort begann, war das Institut gerade mal fünf Monate alt und hatte etwa 20 Mitarbeitende.
Das SAP Innovation Center Potsdam wurde 2011 vom SAP-Vorstand und mit Unterstützung von Professor Hasso Plattner gegründet. Heute ist das ICP die tragende Säule des SAP Innovation Center Network, woraus schließlich die Abteilung New Ventures & Technologies entstand – mit fast 400 Innovatoren im Vorstandsbereich SAP Technology and Innovation.
„Die Idee war, eine spezielle SAP-Geschäftseinheit zu haben, die sich mit neuen Technologien und deren Einsatzmöglichkeiten auseinandersetzt“, erklärt Krug. „Wir wollten nicht riskieren, sowohl technische als auch geschäftliche Chancen zu verpassen.“
Matthias Uflacker, Leiter des SAP Innovation Center München, war damals der erste ICP-Mitarbeiter. Er erklärt, warum sich die SAP bei ihrem ersten Innovation Center für den Standort Potsdam entschied: „Die Zusammenarbeit mit dem Hasso-Plattner-Institut hat uns geholfen, neben der SAP-Standard-Produktentwicklung neue Dinge herauszufinden und auszuprobieren. Das SAP ICP trieb die Forschung voran und bot eine Plattform für die Zusammenarbeit zwischen SAP und Wissenschaftlern. Die SAP konzentrierte sich nicht nur auf die Finanzierung, sondern stellte auch entsprechende Fragen, die es zu lösen galt. Und durch die Nähe zum HPI und zu Berlin, der akademischen Drehscheibe, konnte das ICP im Laufe der Jahre viele außergewöhnliche internationale Talente gewinnen.“
Ein Technologievorreiter für die SAP
„Die ursprüngliche Mission bestand darin, wegweisende Forschungsergebnisse in Innovationen umzusetzen. Von Anfang an hatten wir das Ziel, die neuesten Technologien zu erkunden und zu nutzen, um herauszufinden, wie unsere Kunden und die SAP davon profitieren könnten“, erklärt Krug.
Die enge Zusammenarbeit mit Hochschulen war ein guter Weg, Zugang zu Spitzenforschung zu erhalten. So ist zum Beispiel die In-Memory-Plattform SAP HANA in intensiver Zusammenarbeit mit dem HPI entwickelt worden. Und die Experten beider Seiten wollten ihre Zusammenarbeit fortsetzen – mit Projekten, die sich auf die Anwendungsseite von SAP HANA konzentrierten.
Krug erläutert: „Eines unserer Leitziele war es, neue Anwendungsfälle für SAP HANA zu untersuchen, denn wir wollten herausfinden, was mit der neuen In-Memory-Technologie möglich ist und wie weit wir die technischen Möglichkeiten ausreizen konnten. Dazu haben wir uns neue Anwendungen angesehen, die Data Science und maschinelles Lernen nutzen, um große Datensätze zu analysieren – in zahlreichen Branchen, darunter Gesundheitswesen, Life Sciences und sogar Gaming. Viele dieser Projekte waren klein und es hat viel Spaß gemacht, mit hochqualifizierten Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt an diesen Projekten zu arbeiten.“
„HPI-Studentenprojekte hatten bereits wichtige Beiträge zur Entwicklung von SAP HANA geleistet“, erklärt Michael Perscheid, Vertreter des HPI-Vorsitzenden Hasso Plattner. Nach der Gründung des SAP ICP wurden solche Projekte fortgesetzt, wobei der Schwerpunkt auf die Anwendungsseite verlagert wurde. „Talentierte Studierende des HPI durften gemeinsam mit SAP und einem Branchenpartner an einem bestimmten Geschäftsproblem arbeiten.“ Einige dieser Projekte waren so erfolgreich, dass Hasso Plattner sie auf der SAPPHIRE bei seinen Keynote-Präsentationen vorstellte.
Strategische Weichenstellung für Innovationen
Im September 2013 zog das SAP ICP in ein eigenes Gebäude nördlich von Potsdam, idyllisch gelegen in der Nähe des Jungfernsees. Mit offen gestalteten Räumen und großen Glasfronten ist der neue Standort in Potsdam ganz auf Transparenz ausgerichtet. Dadurch soll eine Förderung von Kommunikation, Ideenaustausch und Zusammenarbeit stattfinden. Die Umgebung soll dazu anregen, gemeinsam über neue Möglichkeiten nachzudenken. Da viele neue Mitarbeitenden eingestellt wurden, wurde im Mai 2016 ein zusätzliches Gebäude eröffnet.
Bereits im Jahr 2013 war die Leitung des SAP ICP an Jürgen Müller übertragen worden, der zuvor Lehrstuhlvertreter für Hasso Plattner am HPI war. Heute ist Müller Mitglied des SAP-Vorstands und leitet den Bereich Technologie und Innovation. Seine Aufgabe war es, eine Innovationsstrategie für die SAP zu erarbeiten.
„Aus dieser Strategie ging unter anderem das SAP Innovation Center Network hervor“, fügt Krug hinzu. „Jürgen Müller etablierte die erforderlichen Strukturen und setzte neue Schwerpunkte. So konnte das Innovation Center innerhalb der SAP-Familie mehr und mehr Verantwortung übernehmen und in den darauffolgenden Jahren deutlich wachsen.“
Start-up-Agilität und unternehmerische Kompetenz
Inspiriert durch seine Arbeit mit Start-ups und Risikokapitalgebern aus dem Berliner Partnernetz entwickelte Krug die Idee eines unternehmerischen Bereichs innerhalb der SAP. Mitarbeitende sollten dort die Möglichkeit haben, neue Ideen für Unternehmensgründungen mit denselben Grundsätzen und Strukturen zu entwickeln wie Start-ups außerhalb der SAP. So entstand das Konzept für das SAP-Intrapreneurship-Programm, das 2014 in die Innovationsstrategie von Jürgen Müller aufgenommen wurde. Es war die Grundlage für die weitere Entwicklung der Innovationsziele der SAP und ein weiterer großer Schritt nach vorn.
Über 1.000 Mitarbeitende beteiligten sich und reichten mehr als 400 Ideen für Unternehmensgründungen ein. Damit war klar, dass das Programm bei den Mitarbeitenden großen Anklang gefunden hatte. Um bei der Ausarbeitung des Programms auch eine externe Sichtweise einzubringen, waren Risikokapitalgeber eingeladen worden, die von der Qualität der Beiträge beeindruckt waren. Und der Vorschlag stieß auch beim Vorstand auf großes Interesse. Rückblickend ist sich Krug sicher: „Die Idee auf den Tisch zu bringen, sie weiterzuentwickeln und schließlich den Auftrag und die Freiheit zu bekommen, das Programm so zu aufzubauen, wie wir es getan haben – das war nur beim ICP möglich.“
Aus der engen Zusammenarbeit mit Start-ups entstand auch eine gewisse ICP-spezifische Denkweise in Bezug auf die Entwicklung neuer Ideen. „Denke in großen Dimensionen, fange klein an. Scheitere oft, scheitere früh“, fasst Krug sie zusammen. „Wie bei einem Start-up. Dies ist in der Regel nicht möglich, wenn man Teil eines großen Unternehmens ist.“
Mit Lean Startup, Design Thinking und First-Principles Thinking befassen sich die Experten des SAP ICP mit einem Geschäftsproblem direkt in der Zusammenarbeit mit SAP-Kunden. Während die meisten großen Probleme bereits im Markt angegangen wurden, ermöglichen neue Technologien eine völlig neue Herangehensweise an ein Problem. Maschinelles Lernen und Blockchain sind zwei gute Beispiele für Technologien, die SAP für die Entwicklung ganz neuer Funktionen nutzen konnte, nachdem sie im Innovation Center Network erforscht worden waren.
Die Struktur der Co-Innovationsprojekte, die das SAP ICP mit Kunden durchführt, erinnert sehr an die Vorgehensweise bei einem Start-up. Man beginnt mit einem kleinen, agilen Team und erarbeitet gemeinsam, wie Kunden von der Innovation profitieren können. Da sich das SAP ICP bei seiner Arbeit in der Regel eng mit den Geschäftsbereichen der SAP abstimmt, besteht immer die realistische Chance, dass eine erfolgreiche Lösung letztendlich zu einem SAP-Standardprodukt werden könnte.
Ausblick in die Zukunft
Die Mission des SAP Innovation Center Potsdam fühlt sich auch nach zehn Jahren immer noch frisch und lebendig an. Inzwischen Teil der großen „New Ventures and Technologies“-Familie versucht es nach wie vor, die großen Herausforderungen von Kunden mit den neuesten Technologien zu lösen – etwa mit neurosymbolischer KI, semantischen Technologien und Blockchain.
Das ICP setzt unter anderem auf dezentrale Technologien, um so das Geschäftsnetzwerk der Zukunft aufzubauen. Es soll Kunden ermöglichen CO2‑Emissionen der Kategorie Scope 3 nahtlos auszutauschen. Zudem bettet es, mit intelligenten Verträgen und einem dezentralisierten Finanzwesen, Finanztechnologie in Geschäftsprozesse ein. Außerdem sollen neue, KI-gestützte Simulations- und Entscheidungstools zum Einsatz kommen, die Geschäftsereignisse kontextualisieren und Benutzer von SAP S4/HANA Finance unterstützen.
„Wir können die Zukunft natürlich nicht mit absoluter Sicherheit voraussagen“, sagt Marcus Krug. „Aber ich bin mir sicher, dass wir noch viel mehr von den Themen KI-gestützte Kontextualisierung, menschliche Augmentation, Smart Contracts, Tokenisierung und Tokenomics hören und sehen werden. Unser Ziel ist es, den Wandel voranzutreiben, der durch diese neuen Funktionen möglich wird, um so eine bessere Welt zu schaffen und unsere Kunden bei der Bewältigung ihrer größten Herausforderungen zu unterstützen.“