Inflation entsteht, wenn zu viel Geld zu wenig Waren hinterherjagt. Dazu kommt es, wenn die Geldmenge in einer Volkswirtschaft schneller wächst, als Waren und Dienstleistungen produziert werden können. Die Folge sind steigende Preise. Das Marktgleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage kann durch unterschiedlichste Faktoren gestört werden. Aktuelle Beispiele dafür sind Kriege, Pandemien, die Energiekrise, steigende Kosten, Extremwetter und unbeständige geopolitische Landschaften.
Die letzte große Inflation gab es in den 1970er-Jahren: In dieser turbulenten Zeit hatten Kriege zu sozialen Spannungen und einem explosionsartigen Anstieg der Ölpreise geführt. Das verfügbare Einkommen der Verbraucher sank. Steigende Kosten für Rohstoffe, Arbeit, Energie und Transport führten dazu, dass sich auch die Herstellung und Auslieferung von Waren verteuerte. Kommt Ihnen das bekannt vor? Der wesentliche Unterschied zur heutigen Situation besteht darin, dass das Konzept der Lieferkette damals noch unbekannt war. Heute bilden Lieferketten das Rückgrat der meisten Volkswirtschaften und multinationalen Unternehmen.
Paul Saunders, Chief Evangelist for Cloud ERP bei SAP, hat zwei Webcasts moderiert, in denen sich Experten darüber ausgetauscht haben, mit welchen Best Practices für das Umlaufvermögen und welchen Lieferkettenstrategien Unternehmen den aktuellen Herausforderungen begegnen können.
Anpassung des Produktportfolios
Helen Yu ist Gründerin des Unternehmens Tigon Advisory, das Startups bei der Umsetzung ihrer Strategien unterstützt. Sie rät Unternehmen zu einer besseren Abstimmung ihrer Teams mit der Finanzabteilung. Dabei sollten sie die vier Elemente ihres Umlaufvermögens – Bestände, Forderungen, Verbindlichkeiten und Bargeld – genau analysieren, da diese für CFOs und Treasurer oberste Priorität haben.
„Das größte Problem wird nächstes Jahr darin bestehen, Kredite aufzunehmen“, erklärte sie. „Die Kosten für die Anschlussfinanzierung von Krediten, die 2023 fällig sind, werden sehr hoch sein. Es wird nahezu unmöglich sein, eine Finanzierung zu bekommen. Doch es gibt Wege, wie man die Kreditaufnahme vermeiden kann.“
Laut Helen Yu sollten Unternehmen ihre Produkte und Dienstleistungen auf den Prüfstand stellen. Sie sollten sich zunächst auf diejenigen konzentrieren, die den größten Mehrwert für ihre Kunden bieten, und dann auf die Produkte und Dienstleistungen mit der größten Ertragskraft. Im nächsten Schritt gilt es, das Produktportfolio anzupassen, um den Funktionsumfang von Komponenten zu verringern, bei denen das Unternehmen auf hochpreisige Lieferanten angewiesen ist.
„Es müssen Bereiche ermittelt werden, in denen sich die Kosten und Belastung verringern und zugleich die Produktivität und Rentabilität steigern lassen“, führte Helen Yu aus. Dies könne mit der von ihr entwickelten „Straight-A“-Strategie (Adapt, Adjust, Automate und Accelerate) erreicht werden. Sie erzählte von einem Gespräch mit dem CFO eines Unternehmens, das seine Expansionspläne durch den Bau neuer Fertigungsanlagen in verschiedenen Regionen der Welt umsetzen wollte. Aufgrund der Kostensteigerungen beschloss die Geschäftsführung, die Pläne anzupassen und zu optimieren, indem stattdessen die Kapazitäten in den bestehenden Fertigungsanlagen ausgeweitet werden.
Kosteneinsparungen durch Automatisierung
„Wir dürfen nicht vergessen, dass sich viele Unternehmen mit einer Lohninflation von bis zu 27 Prozent konfrontiert sehen“, betonte Helen Yu. „Die Löhne können nicht weiter verringert werden, aber man kann beispielsweise durch die Automatisierung von Arbeitsabläufen und die Reduzierung von Nachtschichten die Personalkosten insgesamt senken. Automatisierung und Digitalisierung stehen für alle an erster Stelle. Und dabei geht es nicht nur um die Automatisierung von Arbeit, sondern auch um die Automatisierung von Prozessen, um die Transparenz zu verbessern. Transparenz ist hier wirklich der entscheidende Faktor.“
Kevin Permenter von IDC sieht Automatisierung ebenfalls als wirksames Instrument im Wettlauf gegen die Inflation. Sie habe den zusätzlichen Vorteil, dass sie den Beschäftigten Alltagsaufgaben abnehme und so das Mitarbeitererlebnis verbessere. Automatisierung und Transparenz setzen jedoch erstklassige Technologien voraus. In vielen Unternehmen fehlt es noch an der nötigen Infrastruktur, um die Push- und Pull-Faktoren im Zusammenhang mit ihren Forderungen und Verbindlichkeiten effektiv zu steuern.
„Eine detaillierte Finanzanalyse war ein riesiger Aufwand, den Unternehmen vielleicht zweimal im Jahr auf sich genommen haben“, erklärte Kevin Permenter. „Nun zeigt sich jedoch, dass diese Maßnahme wöchentlich durchgeführt werden muss, um auf Mikroebene Einblick in den Liquiditätsstatus zu erhalten. Das Liquiditätsmanagement liefert heute entscheidende Antworten auf sehr einfache Fragen wie: Wo ist mein Geld, und wie viel Geld habe ich?“
Die Experten waren sich einig, dass es immer Verwerfungen geben wird. Die eigentliche Frage lautet jedoch: Wie widerstandsfähig ist ein Unternehmen? Für Kevin Permenter sind Datenmanagement und Analysen die zentralen Aspekte. Unternehmen, die durch Digitalisierung in der Lage sind, Daten und Analyseergebnisse mit ihren Lieferpartnern auszutauschen, können schnell und gezielt intelligente Entscheidungen treffen.
Austausch von Lieferkettendaten
Simon Ellis, Vice President für das Programm IDC Manufacturing Insights, verwies darauf, dass die Lieferkette heute über den Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens entscheidet.
„In einer modernen digitalen Lieferkette werden riesige Mengen an Echtzeitdaten ausgetauscht. Die technologische Entwicklung steht an einem Wendepunkt, der die Lieferkettenverantwortlichen der nächsten Generation prägen wird“, erläuterte er. „Unternehmen müssen ihre Modernisierung vorantreiben oder werden den Anschluss verlieren. Widerstandsfähig gegenüber der Inflation zu sein bedeutet, dass man effizienter werden muss. Man muss besser mit seinen Zulieferern oder seiner Lieferantenbasis zusammenarbeiten. Unternehmen, die das tun, gehen aus diesem Prozess gestärkt und widerstandsfähiger hervor.“
Simon Ellis empfiehlt, den Schwerpunkt auf Technologien und Geschäftsmodelle zu legen, die sowohl stabilere Abläufe sicherstellen als auch eine höhere Kosteneffizienz ermöglichen. Er sieht in den Geschäfts- und Branchennetzwerken der SAP ein wirksames Instrument, das viele Unternehmen bislang nicht nutzen.
Nutzung eines soliden Werkzeugkastens
Wie Helen Yu und Kevin Permenter glaubt auch Simon Ellis fest an Automatisierung, sowohl im Hinblick auf die Entscheidungsfindung mithilfe von KI und maschinellem Lernen als auch hinsichtlich der Automatisierung von Abläufen mithilfe von Robotik und Robotics-as-a-Service.
„Das sind alles Dinge, die Unternehmen tun können. Mir gefällt der Vergleich mit dem Werkzeugkasten“, sagte er. „In dem Werkzeugkasten befinden sich unterschiedliche Technologien, von denen sich einige in bestimmten Situationen einsetzen lassen, andere in anderen Szenarien. Unternehmen müssen dafür sorgen, dass ihr Werkzeugkasten solide ist, damit sie am richtigen Hebel ansetzen können, wenn eine unerwartete Situation eintritt.“
Der Ratschlag von Scott Luton, Gründer der Plattform Supply Chain Now, lautet, den Werkzeugkasten um Funktionen für das Risikomanagement zu ergänzen, mit denen sich beispielsweise Daten zur Wetterlage, zur Wirtschaft und zu den politischen Rahmenbedingungen erfassen lassen. „Wie es so schön heißt, ist die Verantwortung für die Lieferkette nichts für schwache Nerven. Das gemeinsame Thema heute lautet, dass alles mehr kostet“, erklärte Scott Luton.
Er empfiehlt Lieferkettenverantwortlichen, Möglichkeiten zur Senkung der Verpackungs- und Frachtkosten zu ermitteln. „Unternehmen suchen nach neuen Wegen, wie sie durch den Einsatz von Technologie ihre Ausgaben in diesen Bereichen optimieren können. Sie sollten außerdem nach neuen Möglichkeiten suchen, wie sie die Rendite ihrer ERP-Systeme verbessern können. Die SAP verfügt über ein hervorragendes Partnernetz, das unzählige Möglichkeiten bietet. Es ist also eine Kombination aus Neuem, neuer Technologie, die sich auf bestehende Prozesse auswirkt, und einfach althergebrachten Abläufen“, so das Fazit von Scott Luton.
Um der Inflation die Stirn zu bieten, können Unternehmen:
- durch Anpassung, Optimierung und Automatisierung ihre Kosten senken und die Rentabilität steigern
- durch Nutzung einer gemeinsamen Datenebene die Abstimmung mit der Finanzabteilung verbessern
- durch ein optimiertes Datenmanagement und den Austausch von Daten und Analyseergebnissen mit ihren Lieferpartnern ihre Lieferketten widerstandsfähiger machen
- einen soliden Werkzeugkasten mit unterschiedlichen Technologien auf einer digitalen Plattform nutzen
- externe Datenquellen in ihr Risikomanagement einbinden
- Supply-Chain-Netzwerke und die Angebote von Partnern nutzen
- gezielt ihre Kosten in Bereichen wie Verpackung und Fracht senken