Der Suezkanal ist wieder befahrbar, doch das Logistikchaos hat gerade erst begonnen. Zwei Experten erläutern, wie die SAP bereits einen wichtigen Beitrag zur Lösung dieses Problems leistet.
Gerade als sich die Welt langsam von den Auswirkungen der Corona-Pandemie erholte, sorgte ein Riesenfrachter dafür, dass die globalen Lieferketten auf Grund gesetzt wurden. Die Blockade im Suezkanal durch eines der weltweit größten Containerschiffe zeigte wieder aufs Neue, wie störungsanfällig globale Lieferketten sind.
Etwa 12 Prozent des Welthandels laufen über den Suezkanal. Angesichts dieser Tatsache ist es nicht überraschend, dass die Auswirkungen bereits spürbar sind, noch bevor die bis vor Kurzem gestrandeten Schiffe ihre endgültigen Ziele erreichen. Durch die erwarteten Verzögerungen und Engpässe sind die Energiepreise und die Preise für Verbrauchsgüter bereits gestiegen.
Die Pandemie hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass die SAP eine Führungsrolle bei der Stärkung der Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeit von Lieferketten einnimmt. Weniger bekannt ist jedoch, dass neun der zehn größten Reedereien SAP-Lösungen einsetzen.
Eng vernetzte Logistik braucht digitale Lieferketten
Im Interview erläutern Sabine Hamlescher, Chief Product Owner, SAP Logistics Business Network, und Till Dengel, Head of Digital Logistics Solution Management, die aktuellen Herausforderungen für Reedereien und wie SAP-Lösungen helfen, Lieferketten widerstandsfähiger zu machen.
Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie gesehen haben, dass das Containerschiff einen der wichtigsten Seewege für den Handel blockiert?
Dengel: Es verdeutlicht, wie eng alles vernetzt ist und wie wichtig Widerstandsfähigkeit in der Logistik für den Welthandel ist. Bereits vor dem Zwischenfall auf dem Suezkanal mangelte es in Folge der Pandemie an Containern und es gab Rückstaus in Handelshäfen. Der Welthandel gerät dadurch nur noch mehr unter Druck. Die Logistikabwicklung ist so stark auf Effizienz ausgerichtet, dass es fast keinen Raum für Ausfälle gibt. Das Zeitfenster für Lieferungen von Waren wie Chemikalien und Automobilteilen, die aus China angeliefert werden, beträgt nur wenige Tage. Ein Produktionsstillstand aufgrund von Verspätungen ist für alle Parteien kostspielig.
Hamlescher: Aufgrund eines Desasters von Menschenhand saßen die größten Schiffe der Welt quasi als „schwimmende Warenlager“ fest und selbst die Reedereien wissen mitunter nicht, was in den Containern enthalten ist. Ich kann mir vorstellen, dass einige CEOs sehr nervös werden, da sie nicht wissen, ob ihre Waren an Bord sind, geschweige denn, wann sie an ihr Ziel gelangen. Tatsache ist, dass es noch nicht genug Transparenz in der Logistik- und Transportbranche gibt, um dies herauszufinden. Aber die SAP hat die notwendigen Lösungen parat.
SAP verfügt über Knowhow und Logistiklösungen für verschiedenste Branchen
Inwieweit unterstützt die SAP Kunden im Bereich der globalen Logistik?
Dengel: Als einer der Marktführer im Bereich digitaler Logistik verfügen wir über eingehende Kenntnisse der Lieferketten in allen wichtigen Branchen. Mehr als tausend Kunden nutzen unsere Transportlösung und wir haben mehrere Tausend Kunden aus der Logistik, einschließlich des Lagerwesens. Wir sind an der Logistikabwicklung für viele führende Unternehmen in zahlreichen Branchen beteiligt, darunter Konsumgüter, Chemikalien und Mode; ich denke, dass viele dieser Unternehmen mit Ungeduld auf Waren warten, die an Bord dieser Schiffe sind. Darüber hinaus bedienen wir auch die Linienfrachtverkehr und unterstützen die Seefrachtabwicklung für einige der größten Reedereien der Welt.
2020 war das bisher beste Jahr für unsere Lösung für Transportmanagement. Kunden legen weiterhin großen Wert auf Lösungen, die Konzepte für Probleme hinsichtlich der Streckenplanung und Terminierung bieten sowie für die Steigerung der Transparenz innerhalb der Logistik, wie zum Beispiel SAP Logistics Business Network.
Wie können SAP-Lösungen die Branche in Krisensituationen wie dieser unterstützen?
Hamlescher: Wir wurden von vielen Kunden gebeten, eine Lösung für genau die Art von Problemen zu finden, die durch dieses Ereignis ausgelöst wurden. In den kommenden Wochen geht die neue Option für Intelligent Insights in SAP Logistics Business Network (SAP LBN) an den Start. Kunden können damit Informationen zu allen aktuellen Lieferungen erhalten und erfahren, welche Auswirkungen Störungen dieser Art für ihre Abläufe haben könnten. Kunden, die derzeit die Beta-Version testen, sind sehr zufrieden; sie können feststellen, ob es zu Auswirkungen kommt und können dann auf Alternativen ausweichen, je nachdem, welche Teile ihres Unternehmens betroffen sind.
Die „Ever Given“ ist wieder freigeschleppt. Damit ist alles wieder gut, oder?
Dengel: Leider ist noch lange nicht alles gut. Hunderte von Schiffen, die darauf warten, den Kanal passieren zu können, werden auch in großen Containerhäfen wie Rotterdam und Hamburg Rückstaus auslösen. Sobald diese Schiffe entladen sind, wird es beim Transport der Container an ihre Zielorte hektisch zugehen.
Dabei gibt es zwei Probleme: Die Planung der Transporte und die Rückführung der Leercontainer. SAP Transportation Management kann bei der Umplanung des Transports vom Hafen zum endgültigen Bestimmungsort helfen. Da jeder versucht, ein Transportunternehmen zu finden, das die Container liefern kann, gibt es auch eine Option für Frachtkooperation, mit der Kunden über den Spotmarkt einen Spediteur finden können – auch in Zeiten, in denen diese rar sind, so wie gerade jetzt. Dabei kommt beispielsweise unsere Partnerschaft mit Instafreight ins Spiel, ein Uber-ähnliches Angebot für die europäische Frachtbranche, das in das Logistics Business Network eingebunden ist.
Die Rückführung von Leercontainern stellt ein Problem dar, da es wahrscheinlich eine ganze Zeit lang ein Ungleichgewicht zwischen Europa und China geben wird. SAP Transportation Resource Planning kann dabei helfen, auf optimale Weise wieder Stabilität herzustellen.
Lösungspakete mit Partnern ebnen den Weg zur digitalen Logistik
Was birgt die Zukunft für die SAP im Bereich Logistik und Fracht?
Hamlescher: Wir fördern weiterhin Partnerschaften mit Pionieren in Sachen Technologie für Logistik und Container-Tracking, um Echtzeiteinblicke in Lieferketten zu ermöglichen. Auf Grundlage von Daten bezüglich der Risiken in der Lieferkette sowie Betriebsdaten entwickeln wir eine leistungsstarke Datenschicht, die Logistikexperten dabei hilft, die Auswirkungen von Störungen wie dem jüngsten Ereignis zu bewerten und auf diese zu reagieren.
Dengel: In den letzten 20 Jahren ging es vor allem um Effizienz und Kostensenkungen. Die Schwachstellen sind jetzt jedoch deutlich sichtbar geworden, sodass es mit größter Wahrscheinlichkeit zu einem Umdenken kommt, das zu noch stärkeren Digitalisierungsbemühungen führt. Mit dem neuen Angebot RISE with SAP bieten wir jedem Kunden Zugang zum Logistics Business Network. Gemeinsam mit unserem Partnernetz haben wir auch Lösungspakete entwickelt, mit denen Kunden innerhalb von 90 Tagen vom analogen, papierbasierten Transportmanagement zu einer digitalen Lösung übergehen können.
Was können wir aus dem Zwischenfall mit der „Ever Given“ lernen?
Dengel: Alles, was wir während der COVID-19-Krise umgesetzt haben, kann auf diesen kurzfristigen Vorfall angewendet werden. 2020 haben wir unsere Lösungen und Benachrichtigungsfunktionen neu ausgerichtet und haben Unternehmen deutlich gemacht, dass sie für die nächste Krise gewappnet sein müssen, indem sie ihre Lieferketten robuster, digitaler und transparenter gestalten. Dasselbe gilt für von Menschen verursachte Zwischenfälle wie diesen.
Hamlescher: Trotz der negativen Auswirkungen, die dieses Ereignis auf die Weltwirtschaft hat, bestätigt dies, dass wir bei der SAP an den richtigen Themen arbeiten und Lösungen bereitstellen, die unsere Kunden benötigen. Wir haben die einzigartige Gelegenheit, Unternehmen dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von Mensch und Natur auf globale Lieferketten besser zu bewältigen.