Als ich noch zur Schule ging, standen bei vielen meiner Klassenkameraden Arzt und Anwalt ganz oben auf der Liste ihrer Traumberufe – auch deshalb, weil ihre Arbeit sichtbarer und gefragter war als die anderer Berufsgruppen. In meiner Familie war meine Tante Ärztin und meine Mutter Krankenschwester.

Wie Sie bereits wissen, bin ich kein Arzt geworden. Mit der Digitalisierung am Arbeitsplatz begann eine Veränderung. Mein eigener Weg und der Weg derjenigen, die im medizinischen Bereich arbeiten, gehen heute durchaus in dieselbe Richtung. Welche Laufbahn auch immer wir einschlagen, am Ende arbeiten wir alle für ein Technologieunternehmen.

Technologie steht im Mittelpunkt der Geschäfts- und Customer-Experience-Strategie jedes Unternehmens. In der jüngsten “State of the CIO”-Umfrage von IDG gaben 82 Prozent der Befragten an, dass ihr Fokus auf der Implementierung neuer Technologien und Methoden liegt, um neue Umsätze zu erzielen, Abläufe zu optimieren und das Kundenerlebnis zu verbessern. Unternehmen sind auf der Suche nach raffinierteren Möglichkeiten, kundenspezifische Software zu aktualisieren und Anwendungen schneller bereitzustellen.

Die Sache hat allerdings einen Haken. Die meisten IT-Teams sind bereits damit ausgelastet, die Vielzahl der vorhandenen Anforderungen zu erfüllen und die Supportanfragen zu beantworten, sodass ihnen wenig Zeit für Innovationen bleibt. Darüber hinaus ist die Nachfrage nach Mitarbeitenden für Software höher als das globale Bewerberangebot.

Innovationsengpässe angehen mit Citizen Developers

Um den Innovationsstau aufzulösen, reicht es einfach nicht aus, das IT-Team zu vergrößern. CIOs müssen über ihre Abteilung hinausgehen und die Mitarbeitenden im gesamten Unternehmen dazu ermutigen, als Citizen Developer (Entwickler:innen ohne Programmierhintergrund) an der Anwendungsentwicklung teilzunehmen.

Dies ist mit der Low-Code/No-Code-Anwendungsentwicklung (LCNC) möglich. Mitarbeitende ohne oder mit geringer Programmiererfahrung können Workflows automatisieren und Apps entwickeln, indem sie auf der visuellen Oberfläche Bausteine per Drag-and-drop, mit Point-and-click und Flowcharts zusammenfügen, anstatt klassischen Programmcode zu schreiben. Sie können experimentieren und in Zusammenarbeit mit der IT-Abteilung Prototypen, Apps und Automatisierungen erstellen – so wie es das Governance-Modell vorsieht. Die Entwicklung dauert nur wenige Wochen, manchmal sogar nur ein paar Tage. Und sie erhalten Anleitung in den Bereichen Anwendungsdesign, Sicherheit, Datenschutz, Versionskontrolle und Systemintegration.

Wenn Citizen Developers mit dabei sind, kann sich das IT-Team auf die Steuerung und Governance der Anwendungsentwicklung und -automatisierung konzentrieren, um Innovationen zu skalieren und zu beschleunigen.

Durch Low-Code/No-Code-Tools und Governance-Modelle erhöht sich die Anzahl der Personen im Unternehmen, die mithilfe neuer Apps und Erweiterungen geschäftliche Herausforderungen meistern können. Die Zahl der Mitarbeitenden, die eigene Lösungen entwickeln und anpassen, obwohl sie nicht der IT-Abteilung angehören, beläuft sich bereits auf 41 Prozent. Laut Gartner wird bis 2023 die Zahl der Citizen Developer in Unternehmen mindestens viermal so groß sein wie die der professionellen Entwickler:innen.

Citizen Development im Aufwind

Das Potenzial ist enorm. Mit Low-Code/No-Code-Lösungen lässt sich Software zehnmal schneller entwickeln als mit herkömmlichen Methoden, so Forrester. Innovation wird Teil der Arbeit aller.

Beispielsweise hat das Logistikunternehmen DHL Freight mit SAP AppGyver – ohne Programmieraufwand – eine Anwendung für das Flottenmanagement erstellt. Das Team wollte die Fahrer der Flotte besser verwalten und den Wartungsbedarf der Anhänger während ihrer Fahrt durch Europa nachverfolgen. Dazu gehören Echtzeitberichte von Fahrern bei der Übergabe und Übernahme von Anhängern. Ist ein Schaden am Anhänger entstanden, kann der Fahrer genaue Informationen dazu übermitteln. Die App läuft auf mobilen und webbasierten Plattformen und ist in mehreren Sprachen verfügbar. Bei der Zugriffskontrolle sind rollenbasierte und regionsspezifische Einstellungen möglich.

Der Elektromotorradhersteller Verge steuert sogar die gesamte Fabrik – von der Bestandsführung über Montagebänder bis hin zu Smart-TV-Dashboards – über Apps, die mit SAP AppGyver ohne eine Zeile Code erstellt wurden. Die Apps dienen als Schnittstelle zum Backend-ERP-System und bieten Formelfunktionen mit denen sich Berechnungen für die Montagebänder einfach und präzise erstellen lassen.

Der Zugriff auf Formelfunktionen ist ein Grund dafür, dass die Anwendungsentwicklung mit Low-Code-/No-Code-Tools zu mehr Digitalkompetenz, wie das Erstellen von Präsentationen und Tabellenkalkulationen, führen wird.

Einheitliches Erlebnis – weitreichende Auswirkungen

Die Zusammenarbeit von professionellen und nicht-professionellen Programmierern mit Low-Code/No-Code-Tools kann die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens in eine andere Dimension katapultieren. Profi-Entwickler:innen haben mehr Zeit, um sich auf ihre Hauptaufgaben und komplexere Initiativen zur Unternehmenstransformation zu konzentrieren. IT-Teams lernen außerdem besser zu verstehen, wie Anwendungen von Kollegen und Kunden benutzt werden und wo Innovationsbedarf besteht.

Um das Innovationspotenzial von Low-Code/No-Code voll ausschöpfen zu können, benötigen Citizen Developer und professionelle Entwickler:innen gleichermaßen ein einheitliches Erlebnis. Es sollte die Anwendungsentwicklung und Prozessautomatisierung mit Low-Code/No-Code für Angestellte aus Fachabteilungen unterstützen und professionellen Entwickler:innen die Möglichkeit geben, bei Bedarf mitzuwirken und beizutragen. Unternehmen müssen das richtige Gleichgewicht finden zwischen hochflexiblen, komplexen Tools für die professionelle Entwicklung und benutzerfreundlichen Tools. Jeder Entwickler sollte in der Lage sein, Apps schnell zu entwickeln und Zugriff auf die richtigen Tools zu haben.

Alle für den Einstieg relevanten Schritte werden unter Low-Code/No-Code SAP Learning Journey erklärt. Hier erfahren Citizen Developer alles über die die grundlegenden Konzepte der Softwareentwicklung und die Entwicklung mobiler Apps. Ich habe die Website den medizinischen Fachkräften in meiner Familie gezeigt. Und sie hatten auf einen Schlag mehrere Ideen, wie die Patientenversorgung verbessert werden kann.

Stellen Sie sich vor, was Ihr Unternehmen erreichen kann – und was wir gemeinsam für unsere Gesellschaft erreichen können – wenn Mitarbeitende zu Entwickler:innen werden.

Mehr dazu erfahren Sie im Video:

SAP TechEd in 2021: Executive Keynote

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Jürgen Müller ist Chief Technology Officer und Mitglied des Vorstands der SAP SE.